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  • 11 February 2020

Interview mit Die Welt

Interview mit Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Anja Ettel und Holger Zschäpitz am 10. Februar 2020 und veröffentlicht am 11. Februar 2020

Sie haben sich vorgenommen, mit Missverständnissen über die EZB aufzuräumen. Würden Sie sagen, Sie sind  jetzt auf einer Art Blauhelm-Mission als Vermittlerin zwischen Zentralbank und deutscher Öffentlichkeit?  

Nein, das trifft es nicht. Ich stehe ja nicht zwischen zwei Parteien, sondern bin jetzt Teil des EZB-Direktoriums. Mir ist es in meiner neuen Rolle aber wichtig, für mehr Verständnis in der Bevölkerung zu werben und mit Missverständnissen aufzuräumen. Wenn die Menschen immer wieder hören, dass die EZB ihnen mit ihrer Politik schade, ist das irreführend und gefährdet das Vertrauen. Das macht mir Sorgen. 

Mit welchem Missverständnis wollen Sie denn ganz besonders aufräumen?

Die Enteignung der Sparer ist das größte Missverständnis. Schon der Begriff ist juristisch falsch. Das würde ja bedeuten, dass die EZB den Menschen etwas wegnimmt, das ihnen zusteht. Das ist aber nicht der Fall. 

Sondern?

Das reale Zinsniveau – also der Zins abzüglich der Inflation - ergibt sich langfristig aus der Wachstumskraft der Wirtschaft. Es sind große makroökonomische Trends, die weltweit dazu geführt haben, dass die Realzinsen fallen. Dazu gehören beispielsweise die Alterung der Gesellschaft und das schwache Produktivitätswachstum. Die EZB kann an diesen grundlegenden Entwicklungen nichts ändern, sondern sie kann die Leitzinsen nur um den Trend herum steuern. Wenn sie bei zu einer geringen Inflation ihr Mandat erfüllen und die Wirtschaft stimulieren will, muss sie den Zins also noch weiter nach unten bewegen. Wenn dann der Leitzins in die Nähe der Null kommt, wird es immer schwieriger, mit konventionellen Instrumenten das Ziel zu erreichen. Das ist eine Konstellation, die sich weltweit beobachten lässt.

Sie suggerieren, dass die EZB bei den Minuszinsen Opfer und nicht Täter ist. Gibt es belastbare ökonomische Studien darüber?

Es gibt unzählige Studien, die den Gleichgewichtszins schätzen, wobei verschiedene Methoden zur Anwendung kommen, die auch unterschiedliche Ergebnisse liefern. Aber die Tendenz der Entwicklung ist eindeutig und weist nach unten. Ich verstehe die Frustration über niedrige Sparerträge, doch das ist nicht das ganze Bild. Kreditnehmer und Immobilienbesitzer haben ebenso profitiert wie der Staat und die Arbeitnehmer. Es gibt Analysen, die untersucht haben, was ohne die lockere EZB-Geldpolitik passiert wäre. Danach wäre die Wirtschaft deutlich langsamer gewachsen, die Inflation wäre niedriger und die Arbeitslosigkeit höher. Die einseitig negative Darstellung der Folgen der EZB-Politik ist irreführend. Insgesamt hat Deutschland von der EZB-Geldpolitik profitiert.

Sie sagen, die Enteignung der Sparer gibt es so gar nicht. Aber faktisch hat die Minuszinspolitik der EZB dazu geführt, dass man traditionelle Anlageformen wie das Sparbuch oder die Lebensversicherung vergessen kann. Gleichzeitig rät man den Leuten, für ihr Alter vorsorgen. Wie soll das gehen? 

Würde die EZB im derzeitigen Umfeld die Zinsen erhöhen, wäre dies zum Schaden aller – nicht zuletzt zum Schaden der Sparer. Ich kann den Bürgern keine Anlagetipps geben. Aber es ist im derzeitigen Zinsumfeld sicherlich nicht besonders sinnvoll, sein gesamtes Geld als Spar- oder Termineinlage zu halten. Da ist auch die Politik gefordert, den Bürgern zu vermitteln, dass es Alternativen zu Zinsprodukten gibt. 

Was halten Sie dann von den Plänen von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, nun auch noch eine Steuer auf Aktiengeschäfte einzuführen?

Diese Maßnahme ist vor allem politisch motiviert. Aus ökonomischer Perspektive sehe ich diesen Vorschlag eher kritisch. Allerdings ist der geplante Umfang so klein, dass das die Finanzwelt auch nicht wirklich verändern wird. 

Eine weitere große Kritik ist, dass die Politik der EZB dazu geführt hat, dass schwache Unternehmen wie Zombies dank niedriger Zinsen künstlich am Leben gehalten werden. Fühlen Sie sich da auch zu Unrecht angegriffen?  

Der Anteil der unrentablen Unternehmen ist in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Das spricht gegen die These einer „Zombifizierung“. Wenn man sich trotzdem darüber Sorgen macht, ist es umso wichtiger, eine gute Regulierung des Bankensektors anzustreben. Denn schwache Banken sind eher geneigt, Kredite an schwache Unternehmen zu vergeben. Die EZB hat in ihrer Rolle als europäische Bankenaufsicht Druck gemacht, sodass der Anteil der notleidenden Kredite in den Bilanzen der Banken deutlich gesunken ist. Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Sie haben sich auch für eine härtere Regulierung von Staatsanleihen in den Bankenbilanzen ausgesprochen. Der Vorstoß scheint an Italien zu scheitern.

Dass Banken Staatsanleihen halten, ist gar nicht das Problem, sondern die Konzentration in Staatsanleihen des Sitzstaates. Italienische Banken halten vor allem italienische Anleihen, deutsche Institute deutsche Anleihen. Eine Lehre aus der Eurokrise ist, wie wichtig es ist, Bankenrisiken und staatliche Risiken zu entkoppeln. Politisch ist das ein äußerst heikles Thema, aber es ist für die Stabilität des Euroraums zentral. Dasselbe gilt für die gemeinsame Einlagensicherung. Deswegen habe ich mich über den Vorstoß von Finanzminister Olaf Scholz gefreut, der diese Themen bei der Vertiefung der Bankenunion angehen will. Das politische Problem muss die Politik lösen.

Das tut sie nur leider nicht. 

Vielen scheint die Dringlichkeit der Vervollständigung der Bankenunion nicht klar zu sein. Das Ziel muss es sein, die Instrumente so auszugestalten, dass sie den Euroraum stabilisieren, ohne dabei Fehlanreize zu setzen. Nur so wird es gelingen, die Bankenunion zu vollenden.

Verstehen Sie darunter auch, dass es möglich sein muss, dass einzelne Staaten pleitegehen?

Wenn man die europäischen Verträge mit der No-Bailout-Klausel ernst nimmt, dann muss es möglich sein, staatliche Schulden notfalls zu restrukturieren. Aber das darf nicht das gesamte Finanzsystem in Mitleidenschaft ziehen. Nur wenn eine geordnete Restrukturierung keine Gefahr für das Bankensystem darstellt, ist eine solche Maßnahme glaubwürdig.

Wäre es nicht viel hilfreicher für die Banken, wenn die EZB endlich die Strafzinsen abschaffte? Diese bringen die Finanzhäuser doch vor allem in die Bredouille.  

Für die geringe Profitabilität sind die Banken vor allem selbst verantwortlich. Schon vor der Finanzkrise hatten viele Institute eine geringe Kosteneffizienz. Sie müssen nun sehen, wie sie sich effizienter aufstellen können, um im Wettbewerb bestehen zu können – sei es durch Fusionen oder andere Maßnahmen. Der vor kurzem eingeführte Staffelzins, der wie ein Freibetrag wirkt und einen beträchtlichen Teil der Einlagen der Banken vom Negativzins ausnimmt, entlastet die Banken bereits merklich.

Ohnehin hat sich die Geldpolitik der EZB auf die Gewinne der Banken nicht nur negativ ausgewirkt. Denn die gute wirtschaftliche Entwicklung hat zu geringeren Kreditausfällen und zu einer gesunkenen Risikovorsorge geführt.

Statt sich ständig über die niedrigen Zinsen bei der EZB zu beschweren, sollte man sich lieber an die Politik wenden, damit sie Maßnahmen umsetzt, die das langfristige Wachstum nach oben bringen. Die EZB ist hierfür der falsche Adressat. 

Aber war es nicht die EZB, die nach der Jahrtausendwende schon einmal mit zu niedrigen Zinsen erst einen künstlichen Boom und dann eine Krise im Süden des Euroraums verursacht hat?

Diese Diagnose teile ich nicht. Die Krise hatte viele verschiedene Ursachen in den einzelnen Ländern. Eine Schwäche lag aber sicher in der Bankenregulierung und -aufsicht, die ein enormes Kreditwachstum bei sinkendem Eigenkapital zugelassen haben. Das kann man nicht der EZB anlasten. Sie war damals nicht zuständig für die Bankenaufsicht. 

Vor ein paar Monaten haben einige namhafte ehemalige Notenbanker, allen voran Otmar Issing und Jürgen Stark, ein Manifest veröffentlicht, in dem sie sehr harsche Kritik am Kurs der Geldpolitik üben. Fühlen Sie sich da auch ungerecht behandelt? 

Es steht jedem zu, die EZB zu kritisieren, und man muss diese Kritik auch sehr ernst nehmen. Ich war zu der Zeit allerdings noch keine Notenbankerin und fühle mich daher auch nicht direkt angesprochen. Aus meiner Sicht war diese Kritik aber sehr einseitig und hat die positiven Seiten der Geldpolitik nicht ausreichend gewürdigt. 

Es drängt sich auch der Eindruck auf, dass die EZB immer versucht, die Argumente der Kritiker zu entkräften, aber nie mit den Kritikern selbst spricht.

Das ist eine Fehlwahrnehmung. Wir laden beispielsweise zu unseren Konferenzen regelmäßig Kritiker ein. Und auch bei der Neuausrichtung der Strategie werden wir darauf achten, dass Wissenschaftler mit verschiedenen Sichtweisen zu Wort kommen. 

Wenn vor allem Bürger und Medien der EZB mit ihrer Kritik Unrecht tun – können Sie uns dann erklären, warum gleich mehrere gestandene deutsche Notenbanker, darunter auch Ihre Vorgängerin, die Brocken bei der EZB hingeworfen haben? Haben die auch einfach nur alles Mögliche falsch verstanden? 

Es gab jeweils sehr individuelle Gründe für die Rückzüge, die vor meiner Zeit bei der EZB geschehen sind. Was ich beurteilen kann, ist die jetzige Situation, und da empfinde ich den Führungsstil durch EZB-Präsidentin Christine Lagarde als sehr konstruktiv. Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendeine Position im EZB-Rat systematisch benachteiligt wird. Es gibt eine offene Debatte.

Wie sehen Sie die Rolle der Bundesbank, gerade mit Blick auf die Kommunikation zwischen EZB und Öffentlichkeit: Trägt die Bundesbank Mitschuld an der Entfremdung? 

Ich bin mir bei diesem in den Medien so beliebten Bild der Entfremdung gar nicht so sicher. Wenn man die Umfragen sieht, ist der Euro in Deutschland unheimlich beliebt und hat höhere Zustimmungswerte als im restlichen Euroraum. Interessanterweise ist auch das Vertrauen in die Institution EZB in Deutschland höher als im Durchschnitt des Euroraums.

Die Bundesbank spielt als Mittlerin zwischen der EZB und der deutschen Bevölkerung eine sehr wichtige Rolle, und bei aller Kritik gab es nie Zweifel an ihrer Unterstützung der gemeinsamen Währung.

Wer ist dann schuld an der Entfremdung zwischen Bundesbürgern und EZB?

Die EZB hat in der Vergangenheit vielleicht zu wenig mit den Bürgern kommuniziert, aber genau das wollen wir ja ändern, etwa durch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Strategieüberprüfung der EZB.

Wie nehmen Sie die Debatten in der EZB denn bisher wahr - geht es harmonischer oder streitbarer zu als im Rat der Wirtschaftsweisen? 

(lacht) Ich hatte bisher noch nicht so viele Gelegenheiten, mich zu streiten. Ich sehe aber, dass man durchaus abweichende Standpunkte in die Debatte einbringen kann und dass dabei auch zugehört wird. Das ist sehr wichtig.

In anderen Notenbanken ist es üblich, dass über Zinsentscheidungen abgestimmt und das Ergebnis veröffentlicht wird. Sollte es das in Zukunft auch bei der EZB geben?

Diese Frage wird auch bei der Strategieüberprüfung der Geldpolitik diskutiert werden. Gegen offene Abstimmungen spricht, dass die nationalen Notenbank-Gouverneure ja nicht Vertreter ihres Mitgliedsstaates sind, bei solchen Voten aber der öffentliche Druck auf die Zentralbanker zunehmen könnte. Das würde dem europäischen Gedanken widersprechen.

Auch der Klimaschutz ist Thema bei der Strategiereform der EZB. Sollte die Notenbank künftig grüne Geldpolitik betreiben? 

Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Kein Akteur kann sich dem entziehen, auch eine Notenbank nicht. Sofern es das Preisstabilitätsmandat der EZB nicht gefährdet, hat die Notenbank durchaus Spielraum, um sich darum zu kümmern - etwa, indem sie ihr eigenes Portfolio nachhaltig gestaltet.

Wollen Sie auch bei den Käufen von Unternehmensanleihen nur noch Papiere von grünen Firmen erwerben?

Das wäre gar nicht möglich, dafür ist der Markt ja viel zu klein. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft viel mehr grüne Anleihen auf den Markt kommen werden, weil dieser Sektor voraussichtlich stark expandieren wird. Selbst wenn die EZB weiterhin marktneutral agiert, wird der Anteil grüner Anleihen also zunehmen. 

Das Coronavirus aus Wuhan versetzt derzeit die Welt in Angst. Wie schätzen Sie die Gefahren für die Ökonomie ein, insbesondere hier in Europa?

Die Unsicherheit ist enorm, sowohl was die Gefahr einer Ansteckung als auch die Letalität dieser Krankheit angeht. Die häufig als Vergleich herangezogene SARS-Krankheit vor 17 Jahren hat damals einen scharfen Wachstumseinbruch ausgelöst, allerdings war dieser Effekt rasch wieder vorbei, weil SARS zügig eingedämmt werden konnte. Ob es diesmal schlimmer wird als damals oder nicht, kann im Moment niemand seriös sagen. 

Zumindest hat die EZB ihre Prognosen bisher nicht verändert.

Die nächsten Projektionen werden im März vorgelegt. Bis dahin beobachten wir sehr genau, wie sich die Lage entwickelt.  

Ihre private Situation hat sich mit dem Start bei der EZB sehr verändert. Was hat sich in Ihrem Arbeitsalltag am meisten geändert? 

Es ist ein ausgesprochen intensiver Job, das muss ich wirklich sagen. Ich hatte immer schon viele Termine, auch in meiner Zeit beim Sachverständigenrat. Wenn da das Jahresgutachten vorbereitet wird, ist es besonders anstrengend. Dort heißt diese Zeit “Kampagne”. Momentan befinde ich mich in einer Art Dauerkampagne.

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