Jahresrückblick
Die Wirtschaft des Euroraums hat 2020 durch die Covid-19-Pandemie einen außerordentlichen und schweren Schock erlitten. Lockdown-Maßnahmen und eine erhöhte Risikoaversion ließen die Wirtschaftstätigkeit in der ersten Jahreshälfte einbrechen. Im zweiten Halbjahr stabilisierte sich die Lage u. a. dank weitreichender, koordinierter geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen sowie positiver Meldungen über Impfstoffe. Insgesamt schrumpfte das reale BIP des Euroraums im Berichtsjahr um 6,6 %. Die jährliche Gesamtinflation ging von 1,2 % im Jahr 2019 auf 0,3 % im Jahr 2020 zurück. Vor allem fallende Energiepreise, aber auch pandemiebedingte Faktoren waren der Grund für diese Entwicklung. So trugen z. B. die von der Krise am stärksten getroffenen Sektoren, wie etwa Transport und Gastgewerbe, dazu bei, dass sich die Inflation im zweiten Halbjahr abschwächte.
Die EZB lockerte ihren geldpolitischen Kurs massiv, um den negativen Folgen der Pandemie auf die Wirtschaft des Euroraums entgegenzuwirken. Sie schnürte ein umfassendes Bündel an Maßnahmen, die im Lauf des Jahres rekalibriert wurden. So wurden u. a. ein neues, zeitlich begrenztes Pandemie-Notfallankaufprogramm aufgelegt, die Kriterien für die Notenbankfähigkeit und für die Zulassung von Sicherheiten gelockert und neue längerfristige Refinanzierungsgeschäfte angeboten. Die geldpolitische Reaktion hatte einen ganz wesentlichen stabilisierenden Effekt auf die Märkte. Sie trug auch dazu bei, den schwerwiegenden Risiken entgegenzuwirken, die die Pandemie für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus, die Konjunkturaussichten des Eurogebiets und letztlich das Preisstabilitätsziel der EZB darstellt. Hinzu kamen makroprudenzielle Maßnahmen, die vor allem die Kreditversorgung der Wirtschaft aufrechterhalten sollten. Die Bankenaufsicht der EZB ergriff ihrerseits mikroprudenzielle Maßnahmen, um die Folgen der Krise abzumildern und die Widerstandsfähigkeit des europäischen Bankensektors zu stärken.
Im Januar gab der EZB-Rat den Startschuss für die Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB, mit der sichergestellt werden soll, dass diese auch in Zukunft ihren Zweck erfüllt. Seit der letzten Überprüfung im Jahr 2003 haben sich tiefgreifende Veränderungen vollzogen, deren Auswirkungen nun eingehend analysiert werden sollen, z. B. der anhaltende Rückgang der Inflation und der Gleichgewichtszinsen. Auch die Folgen von Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel werden untersucht. Die Überprüfung, deren Abschluss für das zweite Halbjahr 2021 vorgesehen ist, wird Aufschluss darüber geben, ob und wie die EZB auf diese Veränderungen reagieren und ihre geldpolitische Strategie anpassen sollte.
Die EZB sondiert derzeit Mittel und Wege, wie sie im Rahmen ihres Mandats dazu beitragen kann, die potenziell schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Klimawandels zu begrenzen. In diesem Zusammenhang müssen u. a. die relevanten Handlungsfelder sorgfältig analysiert und Investitionen im Rahmen des Pensionsfonds und der Eigenmittelportfolios der EZB verantwortungsvoll und im Sinne der Nachhaltigkeit getätigt werden, und auch der betriebliche CO2-Fußabdruck der EZB selbst muss auf den Prüfstand gestellt werden. Die EZB hat vor Kurzem das Kompetenzzentrum Klimawandel eingerichtet, um ihre Klima-Agenda zu gestalten und zu steuern.
Das Eurosystem hat eine umfassende Strategie für den Massenzahlungsverkehr ausgearbeitet, um das Innovationspotenzial der Digitalisierung auszuschöpfen. Dabei konzentriert es sich auf die Bereitstellung von Echtzeitzahlungen, die Entwicklung einer europaweiten Zahlungslösung und die mögliche Ausgabe eines digitalen Euro. Im Oktober 2020 wurde eine öffentliche Konsultation zu einem digitalen Euro eingeleitet. So soll sichergestellt werden, dass neue Geldformen und Zahlungsarten, die das Eurosystem in Zukunft anbieten könnte, ebenfalls das Vertrauen der Bevölkerung genießen.
Die EZB weitete 2020 ihre Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit aus, um die Herausforderungen der Pandemie zu bewältigen und mehr über die wirtschaftlichen Sorgen und Anliegen der Menschen in Europa zu erfahren. So veröffentlichte sie im Berichtsjahr 19 Beiträge in ihrem neuen EZB-Blog, von denen sich viele mit der Reaktion der EZB auf die Krise befassten. Im Oktober 2020 fand die erste Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Die EZB hört zu“ statt, und über das eigens hierfür eingerichtete Portal gingen fast 4 000 Kommentare zur geldpolitischen Strategie ein.
2020 war ein arbeitsreiches Jahr, in dem wir permanent gefordert waren. Wir haben eng mit europäischen Institutionen, aber auch mit internationalen Zentralbanken zusammengearbeitet, um dem gewaltigen exogenen Schock für die Weltwirtschaft entgegenzutreten. Die EZB hat ihre Rolle erfüllt.
Frankfurt am Main im April 2021
Christine Lagarde
Präsidentin
Das Jahr in Zahlen
1 Wirtschaft von außergewöhnlichem und massivem Pandemieschock getroffen
Die Weltwirtschaft machte 2020 im Zuge noch nie dagewesener Herausforderungen eine tiefe Rezession durch. Verglichen mit den vorangegangenen Krisen der Jahre 2008 und 2011-2012 wurde der Covid-19-Schock stärker durch exogene Ereignisse ausgelöst. Während in vorherigen Krisenzeiten spezifische Probleme im Finanzsektor im Vordergrund standen, hatte die 2020 eingetretene Rezession keine ökonomischen Ursachen. Die Ausbreitung von Covid-19 hatte äußerst gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit, und zwar zunächst in China und dann weltweit. Der internationale Handel brach ein, das Funktionieren der globalen Wertschöpfungsketten wurde massiv beeinträchtigt und die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten stieg drastisch an.
Auch die Wirtschaft des Euroraums wurde von den enormen Auswirkungen der Pandemie in Mitleidenschaft gezogen. Sichtbar wurden diese beispielsweise anhand der Konsumausgaben, die in der ersten Jahreshälfte infolge der großflächigen Lockdown-Maßnahmen und der erhöhten Risikoaversion deutlich sanken. Auch die Konjunktur schwächte sich – insbesondere im Dienstleistungssektor – vor dem Hintergrund der fehlenden Nachfrage und der Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit deutlich ab. Infolgedessen verringerte sich das reale BIP im zweiten Quartal 2020 außerordentlich stark. Zugleich reagierten Geld- und Fiskalpolitik unverzüglich und entschlossen, um dem Zusammenbruch der Nachfrage und der hohen Unsicherheit entgegenzutreten. So wurden u. a. günstige und stabile Finanzierungsbedingungen und ein fortwährender Zugang zu Liquidität sichergestellt. Seit Beginn der Covid-19-Krise wurden die Erwartungen bezüglich Tiefe und Dauer der Rezession stark von den Aussichten auf eine medizinische Lösung – vornehmlich einen Impfstoff – beeinflusst. Durch die entschlossenen und koordinierten politischen Maßnahmen wurde zusammen mit den positiven Meldungen zur Impfstoffentwicklung im Spätherbst das Vertrauen schrittweise wiederhergestellt. Zwar entwickelte sich das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte, als eine erneute Ansteckungswelle verzeichnet wurde, weiterhin volatil, aber die Wachstumserwartungen kräftigten und stabilisierten sich. Auch die Preisentwicklung wurde durch die Pandemie massiv beeinflusst. Aufgrund der stockenden Nachfrage, niedrigerer Ölpreise und der schwächeren Wirtschaftstätigkeit nahm die HVPI-Inflation im Jahresverlauf ab und bewegte sich seit August im negativen Bereich. Andere Faktoren, wie die vorübergehende Reduktion der Mehrwertsteuersätze in Deutschland im zweiten Halbjahr, wirkten ebenfalls inflationsdämpfend. Gleichzeitig wurden die Aussichten auf einen Anstieg der Teuerungsraten durch die Erwartung einer soliden Erholung 2021 sowie die Umkehr vorübergehender Faktoren wie die Mehrwertsteuersenkung in Deutschland gestützt. Dank entschlossener politischer Maßnahmen wurden günstige Kredit- und Finanzierungsbedingungen aufrechterhalten, sodass die von der Verschlechterung des Risikoumfelds ausgehende Verschärfung der Kreditrichtlinien der Banken weitgehend kompensiert wurde. Obschon die durch den Pandemieschock ausgelösten Marktstörungen im März zu einer beträchtlichen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen führten, trug das rasche politische Handeln dazu bei, dass die Renditen für Staatsanleihen im Eurogebiet 2020 insgesamt sanken und sich die Aktienkurse im Euroraum in der zweiten Jahreshälfte gegenüber ihren während der Pandemie erreichten Tiefständen allmählich wieder erholten. Die Phase hoher Unsicherheit führte überdies zu einer Beschleunigung des Geldmengen- und Kreditwachstums, worin sich eine starke Präferenz der Unternehmen und privaten Haushalte für das Halten bzw. den Aufbau von Liquidität widerspiegelte.
1.1 Pandemie löste tiefen Wirtschaftseinbruch aus
Covid-19 verursachte größten weltwirtschaftlichen Abschwung seit der Großen Depression, aber das Vertrauen wurde durch positive Impfstoffmeldungen schrittweise wieder aufgebaut
Der globale Wachstumstrend wurde maßgeblich vom Verlauf der Covid-19-Pandemie sowie von den damit einhergehenden Eindämmungsmaßnahmen und politischen Hilfsmaßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie bestimmt. Die Weltwirtschaft wurde von einem massiven externen Schock getroffen, und Regierungen reagierten durchwegs mit umfangreichen Stützungsmaßnahmen, um die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft abzumildern. Nachdem die Weltkonjunktur im zweiten Quartal 2020 aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen auf einem Tief angelangt war, setzte im dritten Quartal eine Erholung ein, da sich die Pandemie abschwächte, die Maßnahmen gelockert wurden und erste Meldungen über wirksame Impfstoffe bekannt wurden. Im Schlussquartal 2020 hingegen verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum infolge der zweiten Pandemiewelle und der in einigen Industrieländern erneut eingeführten strengen Eindämmungsmaßnahmen wieder merklich (siehe Abbildung 1). In den großen Schwellenländern war das Quartalswachstum in der ersten Jahreshälfte 2020 negativ, zog in der zweiten Hälfte aber wieder deutlich an.
Abbildung 1
Globales BIP-Wachstum
Die drastische globale Wachstumsverlangsamung war vor allem auf einen Produktionseinbruch im Dienstleistungssektor – der von den Eindämmungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie besonders stark betroffen war – und auf einen Rückgang der Handels- und Investitionstätigkeit zurückzuführen. Im verarbeitenden Gewerbe konnte sich das Produktionswachstum rascher erholen als im Dienstleistungssektor. Unterstützend wirkten hierbei staatliche Konjunkturmaßnahmen, die höhere Nachfrage nach elektronischen Erzeugnissen, Computern und medizinischen Erzeugnissen sowie die Tatsache, dass die Eindämmungsmaßnahmen im verarbeitenden Gewerbe rascher aufgehoben wurden als im stärker im direkten Kundenkontakt arbeitenden Dienstleistungsbereich.
Handels- und Investitionstätigkeit 2020 infolge von Eindämmungsmaßnahmen und Handelsstörungen beträchtlich verringert
Die Störungen und Unsicherheit im Zusammenhang mit Covid-19 stiegen stark an und blieben auf hohem Niveau, was das Weltwirtschaftswachstum schwächte. Zudem führte die Pandemie zu Beeinträchtigungen im internationalen Handel und in globalen Wertschöpfungsketten. Da die Eindämmungsmaßnahmen in der zweiten Jahreshälfte 2020 nur zum Teil wieder aufgehoben wurden, ließen diese Störungen nur moderat nach. Eine Reihe unterschiedlicher Indikatoren zeigte, dass die Handelsspannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China trotz des zwischen ihnen abgeschlossenen „Phase-1-Handelsabkommens“ weiterhin hoch waren. Vor dem Hintergrund erhöhter Handelsspannungen lösten der pandemiebedingte Nachfrageschock und die zuvor eingeführten Zölle einen gravierenden Handelsrückgang aus. Zugleich wurde die Investitionstätigkeit durch die gestiegene Unsicherheit und das sich verschlechternde Wirtschaftsklima gebremst (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2
Wachstum des Welthandels (Importvolumen)
Gesamtinflation sank stärker als Kerninflation
Die globale Teuerung war im Jahr 2020 rückläufig, was auf die schwache weltweite Nachfrage im Zusammenhang mit der Pandemie (siehe Abbildung 3) und den kräftigen Preisrückgang bei zahlreichen Rohstoffen zurückzuführen war. Im OECD-Raum ging die am Verbraucherpreisindex gemessene jährliche Gesamtinflation von rund 2 % in der zweiten Jahreshälfte 2019 auf 1,2 % im Dezember 2020 zurück. Ursächlich hierfür waren sinkende Energiepreise und ein langsamerer Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Die Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) sank auf rund 1,6 % Ende 2020 und damit weniger stark als die Gesamtinflation.
Abbildung 3
Anstieg der Verbraucherpreise im OECD-Raum
Rohölpreise schwankten aufgrund erwarteter weltweiter Nachfrageschwäche
Infolge des Einbruchs der globalen Nachfrage waren die Rohölpreise in der ersten Jahreshälfte stark rückläufig, vor allem da der Ölverbrauch aufgrund von Reisebeschränkungen und Homeoffice-Regelungen sank. Der Preis für Rohöl der internationalen Referenzsorte Brent schwankte stark zwischen 20 USD je Barrel (der niedrigsten Notierung seit zwei Jahrzehnten) und 70 USD je Barrel im Jahr 2020. Der Preis für Rohöl der US-Referenzsorte West Texas Intermediate fiel im April für kurze Zeit unter null.
Euro wertete gegenüber den Währungen wichtiger Handelspartner des Euroraums auf
Der nominale effektive Wechselkurs des Euro stieg im Verlauf des Jahres 2020 um rund 7 %. Bilateral war hierfür eine Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar ausschlaggebend. Auch gegenüber dem Pfund Sterling stieg der Euro-Kurs, schwankte aber vor allem aufgrund der wechselhaften Erwartungen im Zusammenhang mit dem Brexit im Jahresverlauf 2020 erheblich.
Weltweite Wirtschaftstätigkeit mit Abwärtsrisiken behaftet, aber Aussichten auf Impfstoffe könnten Wirtschaftsaufschwung beflügeln
Vor dem Hintergrund positiver Entwicklungen bei den Impfstoffen gegen Covid-19 wurde Ende 2020 in Bezug auf die globalen Wachstumsaussichten eine kräftige Erholung für 2021 erwartet. Diese Aussichten waren jedoch mit hoher Unsicherheit behaftet. Auf globaler Ebene überwogen die Abwärtsrisiken für die konjunkturelle Entwicklung, da sich der sprunghafte Anstieg der Neuinfektionen und weitere Eindämmungsmaßnahmen in wichtigen Volkswirtschaften auf das Tempo der Erholung niederschlugen.[1]
1.2 Wirtschaft im Euroraum entwickelte sich in engem Gleichlauf zur Weltwirtschaft[2]
Nach der 2019 beobachteten Konjunkturabschwächung schrumpfte das reale BIP des Eurogebiets im Berichtsjahr um 6,6 % (siehe Abbildung 4). Ursächlich für den dramatischen Wirtschaftseinbruch und seine uneinheitliche Verteilung im Jahresverlauf 2020 waren die Auswirkungen des von der Covid-19-Pandemie ausgelösten Schocks und der damit verbundenen Lockdown-Maßnahmen zur Viruseindämmung. Die erste Pandemiewelle traf die Euro-Länder hauptsächlich im März und April, und zwar in beispiellosem Tempo und mit noch nie dagewesener Wucht. Damit einher gingen in den meisten Ländern strenge, die gesamte Wirtschaft umfassende Eindämmungsmaßnahmen. Infolge dieser Maßnahmen schrumpfte die Konjunktur im Eurogebiet in der ersten Hälfte des Jahres 2020 kumuliert um 15,3 %. Die Eingrenzung der Pandemie und die ab Mai 2020 in den meisten Ländern erfolgte Aufhebung von Eindämmungsmaßnahmen führten im dritten Quartal zu einer kräftigen konjunkturellen Wiederbelebung. Allerdings setzte bis zum Herbst des Jahres eine erneute Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit ein, und der sprunghafte Wiederanstieg der Infektionszahlen löste im Schlussquartal eine weitere Lockdown-Runde aus. Die entsprechenden Maßnahmen waren allerdings zielgerichteter als in der ersten Welle der Pandemie. Obwohl die Pandemie vor allem ein gemeinsamer Schock für sämtliche Volkswirtschaften war, fielen ihre wirtschaftlichen Auswirkungen in den einzelnen Euro-Ländern zuweilen unterschiedlich stark aus. Dies war insbesondere auf die unterschiedlich hohe wirtschaftliche Bedeutung von den am stärksten von den Abstandsregeln betroffenen Sektoren zurückzuführen; zudem spielten auch Differenzen hinsichtlich der Intensität der Gesundheitskrise selbst und in Bezug auf Ausmaß und Art der ergriffenen Unterstützungsmaßnahmen eine Rolle. Ende 2020 lag die Wirtschaftsleistung 4,9 % unter dem vor der Pandemie im Euroraum beobachteten Niveau, wobei die Entwicklung in den einzelnen Ländern höchst uneinheitlich verlief. So verzeichnete Spanien ein um 9,1 % niedrigeres Niveau als vor der Pandemie, während die Niederlande das Vorpandemieniveau nur um 3,0 % unterschritten.
Abbildung 4
Reales BIP im Euroraum
Verglichen mit den jüngsten lang anhaltenden Rezessionsphasen (wie der weltweiten Finanzkrise 2008-2009 oder der Staatsschuldenkrise im Euroraum 2011-2012) war der durch die Pandemie ausgelöste Wirtschaftsabschwung in den Frühphasen akuter. Zugleich wurden wesentlich zeitiger als in anderen Krisen kräftige Anzeichen für eine Erholung beobachtet, und auch eine Verbesserung der Erwartungen setzte wesentlich früher ein. Hierin spiegelten sich vor allem die exogene Natur des Covid-19-Schocks, die Bedeutung der raschen und entschlossenen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen sowie der Fortschritt bei der Impfstoffentwicklung wider. Eine Rolle spielten auch die – im Vergleich zu vorangegangenen Krisenphasen wesentlich moderateren – Rückkopplungen mit dem Finanzsektor, wozu auch die gezielten Zentralbankmaßnahmen beitrugen.
Die privaten Konsumausgaben im Euroraum gingen 2020 um 8,0 % zurück. Besonders ausgeprägt war die Abnahme in der ersten Hälfte des Berichtsjahrs, wofür vor allem die Lockdown-Maßnahmen verantwortlich waren. Da die durch die Lockdowns verursachten Verluste beim real verfügbaren Einkommen durch beträchtliche öffentliche Transferzahlungen abgefedert wurden, führte die Konsumzurückhaltung auch zu einem drastischen Anstieg der Sparquote. Mit der im dritten Quartal 2020 vorgenommenen deutlichen Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen zogen die privaten Konsumausgaben kräftig an. Allerdings wurde diese Entwicklung im Schlussquartal im Zuge der zweiten Pandemiewelle unterbrochen. Vor dem Hintergrund des Schocks an den Arbeitsmärkten und der hohen Unsicherheit blieben die privaten Konsumausgaben bis Ende 2020 durchweg niedriger als vor der Pandemie.
Auch die Unternehmensinvestitionen brachen in der ersten Hälfte des Jahres 2020 ein. Aufgrund der eingeführten Lockdown-Maßnahmen und der damit verbundenen gravierenden Einnahmeverluste schoben die Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen auf. Darüber hinaus belastete die schwache globale und inländische Nachfrage weiterhin die Investitionen. In der zweiten Jahreshälfte waren die Aussichten für die Unternehmensinvestitionen durch erneut steigende Unsicherheit vor dem Hintergrund der zweiten Pandemiewelle geprägt. Zum Tragen kam auch die Tatsache, dass angesichts eines schwächeren außenwirtschaftlichen Umfelds, einer geringeren Endnachfrage und der festgestellten Verschlechterung der Unternehmensbilanzen eine dauerhaft gedämpfte Entwicklung der Unternehmensinvestitionen erwartet wurde.
Auch der Außenwirtschaftssektor leistete 2020 per saldo einen negativen Beitrag zur Wirtschaftsleistung des Euroraums. Der zur Eindämmung von Covid-19 verhängte Lockdown in China belastete zu Beginn des Berichtsjahrs den Handel des Eurogebiets. Überdies ließen die Maßnahmen zur Begrenzung des Virus in Europa im zweiten Quartal sowohl die Importe als auch die Exporte einbrechen. Auf die Ausfuhrwirtschaft schlug sich die vorübergehende Aussetzung der Geschäftstätigkeit am stärksten nieder. In den Sommermonaten erholten sich die Handelsströme im Zuge der Lockerung der Beschränkungen wieder, aber in den am stärksten betroffenen Sektoren Reiseverkehr, Tourismus sowie Hotel- und Gastgewerbe verbesserte sich die Lage nicht so rasch. Die neuerliche Pandemiewelle verlangsamte den Aufschwung des Handels im Eurogebiet, sodass sich dieser bis Jahresende nur teilweise erholte.
In den einzelnen Sektoren waren die Folgen von Covid-19 ebenfalls unterschiedlich stark zu spüren. Den größten Anteil am Rückgang der realen Bruttowertschöpfung hatte der Dienstleistungsbereich, was auf die erheblichen Auswirkungen der Abstandsregeln für diesen Sektor, aber auch auf die sektorale Struktur der Wirtschaft im Euroraum zurückzuführen war (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5
Reale Bruttowertschöpfung im Euroraum nach Wirtschaftszweigen
Arbeitsmarktlage im Euroraum trübte sich ein, obwohl Auswirkungen der Pandemie auf die Beschäftigung durch staatliche Maßnahmen abgefedert wurden
Beschäftigungsverluste hielten sich 2020 aufgrund von Programmen zur Arbeitsplatzsicherung in Grenzen
Zwar wirkte sich die Pandemie auch deutlich auf das Beschäftigungswachstum aus, prägend für die Arbeitsmarktentwicklung im Euroraum waren 2020 jedoch arbeitspolitische Maßnahmen (siehe Abbildung 6). Verglichen mit dem kräftigen und raschen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit im ersten Halbjahr 2020 (um etwa 15 %) fiel der Beschäftigungsrückgang weniger stark aus, war aber dennoch sehr signifikant. Die Gesamtbeschäftigung verringerte sich im selben Zeitraum um rund 5 Millionen Personen, sodass das Beschäftigungsniveau auf den Stand von vor 2018 sank. Durch die in den Euro-Ländern ergriffenen staatlichen Hilfsmaßnahmen konnten u. a. Kündigungen begrenzt werden (siehe Kasten 1 zu den verschiedenen Programmen zur Arbeitsplatzsicherung). Im Vergleich zu früheren Wirtschafts- und Finanzkrisen erhöhten die Regierungen der Euro-Länder die Anzahl der Beschäftigten, die in Programme zur Arbeitsplatzsicherung eingebunden waren, wodurch der Abbau von Arbeitsplätzen deutlich in Grenzen gehalten und infolgedessen unternehmens- und arbeitnehmerspezifisches Humankapital erhalten werden konnte. Dennoch ging die Erwerbsbeteiligung während der Pandemie merklich zurück. So schieden rund 3 Millionen Personen in der ersten Jahreshälfte 2020 aus der Erwerbstätigkeit aus. Die anhaltende Dynamik am Arbeitsmarkt betraf die Erwerbstätigen in unterschiedlichem Maße, da die aktuelle Krise für den Dienstleistungsbereich und die Unternehmen, die am stärksten von den Abstandsregeln und Mobilitätseinschränkungen betroffen sind, besonders schwerwiegend ist. Im Einzelnen verringerte sich die Anzahl der Erwerbspersonen bei den Geringqualifizierten um knapp 7 % und bei den Personen mit mittlerer Qualifikation um 5,4 %, wohingegen sie bei den Hochqualifizierten um 3,3 % zunahm.
Abbildung 6
Arbeitsmarktindikatoren
Arbeitslosenquote stieg weniger stark als in früheren Rezessionen
Die Beschäftigung fiel im Berichtsjahr um 1,9 %, und die Arbeitslosenquote erhöhte sich auf 8,4 %. Der Anstieg der Arbeitslosenquote fiel geringer aus als in früheren Rezessionen, z. B. jenen der Jahre 2008-2009 und 2011-2012. Zurückzuführen war dies auch auf die zeitnahe und umfassende Reaktion der Regierungen im Euroraum. Zugleich lag das Wachstum der Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde 2020 im Schnitt bei rund 1 % und wurde durch die beträchtliche Reduzierung der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden im Rahmen der Programme zur Arbeitsplatzsicherung gestützt.
Kasten 1
Die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19
Die Arbeitsmärkte des Euroraums haben sich gegenüber den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie bislang als recht widerstandsfähig erwiesen. Stützen konnten sie sich hierbei auf wirtschaftliche Maßnahmen wie Programme zur Arbeitsplatzsicherung und Kreditgarantien, die dazu beitrugen, Beschäftigungsverluste zu begrenzen und ein abruptes Ansteigen der Zahl von aus dem Markt ausscheidenden Unternehmen infolge der Pandemie zu verhindern. Allerdings sind die Ausgestaltung und der Zeitrahmen der Strategien zur Aufhebung dieser Maßnahmen ebenso wichtig wie die Hilfspakete selbst, damit langfristige Krisenschäden abgewendet werden können und die notwendige wirtschaftliche Umstrukturierung nicht behindert wird. Die langfristigen Folgen der Pandemie für die Mobilität der Arbeitskräfte und die wachsende Digitalisierung könnten in Zukunft beträchtliche Arbeitsplatz- und Unternehmensumschichtungen erforderlich machen.
Im Rahmen einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter führenden Unternehmen im Euroraum wurde u. a. insbesondere erfragt, inwieweit die Pandemie die Einführung digitaler Technologien beschleunigt hat, die auf lange Sicht zwar produktivitätssteigernd, zugleich aber beschäftigungssenkend wirken.[3] Die Befragten wurden gebeten, nach Wichtigkeit geordnet maximal drei Möglichkeiten anzugeben, wie sich die Pandemie langfristig auf ihr Unternehmen auswirken könnte. Am häufigsten wurden Veränderungen im Zusammenhang mit der wachsenden Nutzung von Homeoffice und der rascheren Einführung digitaler Technologien genannt. Zu den sonstigen, ebenfalls häufig aufgeführten Veränderungen zählten eine dauerhaftere Verringerung des Geschäftsreiseverkehrs und/oder das vermehrte Abhalten virtueller Sitzungen sowie ein verstärkter Onlinehandel (oder – in B2B-Segmenten – virtueller Verkauf). Eine große Mehrheit der Befragten gab zudem an, dass ihr Unternehmen aufgrund der in der Pandemie gemachten Erfahrungen effizienter und/oder widerstandsfähiger sein werde. Laut rund drei Viertel der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen werde außerdem ein wesentlich höherer Anteil ihrer Beschäftigten auf lange Sicht in Telearbeit tätig sein. Die Unternehmen gaben ferner an, dass ihrer Meinung nach durch Telearbeit die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten nicht sinken werde. In diesem Zusammenhang wurde zwar der Rückgang informeller persönlicher Kontakte als Nachteil empfunden, aber es wurden auch zahlreiche Vorteile wahrgenommen. Hierzu zählten der Zeitgewinn aufgrund des gesunkenen Pendelbedarfs, bessere Vereinbarkeit privater und beruflicher Pflichten sowie eine stärkere Vernetzung durch Kommunikationssysteme (Konnektivität). Im Einklang damit gaben über die Hälfte der Befragten an, dass die Produktivität in ihrem Unternehmen oder Sektor zunehmen werde, während so gut wie niemand von einem Rückgang der Produktivität als langfristige Folge der Pandemie ausging. Im Gegensatz dazu rechneten mehr als die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen mit negativen langfristigen Auswirkungen auf die Beschäftigung, während nur rund 10 % einen positiven Langfristeffekt auf die Beschäftigung sahen. Die erwarteten langfristigen Effekte der Pandemie auf Umsatz, Preise, Kosten und Löhne waren uneinheitlicher, per saldo jedoch negativ.
Die durch die Pandemie ausgelöste Krise hatte beträchtliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt des Euroraums. Verglichen mit dem Rückgang der Wirtschaftstätigkeit zeigt die Arbeitslosenquote im Eurogebiet (siehe Abbildung A, blaue Linie) eine gedämpfte Reaktion und gibt die Folgen von Covid-19 für den Arbeitsmarkt nicht vollständig wieder. Um das Ausmaß der in der Covid-19-Krise aufgetretenen Unterauslastung am Arbeitsmarkt besser messen zu können, kann die herkömmliche Arbeitslosenquote angepasst werden, sodass sie die Anzahl der entmutigten Erwerbspersonen, die derzeit erwerbslos sind, wiedergibt (siehe Abbildung A, gelbe Linie). Daneben zeichnet sich die Krise noch durch die großflächige Nutzung von Programmen zur Arbeitsplatzsicherung aus, im Rahmen derer durch Reduktion der Arbeitszeit und des Einkommens Arbeitsplätze geschützt wurden. Im April 2020 befanden sich rund 30 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (und damit etwa 19 % der Erwerbsbevölkerung) in Programmen zur Arbeitsplatzsicherung. Wird die herkömmliche Arbeitslosenquote mit den entmutigten Erwerbspersonen sowie der Anzahl der an Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung teilnehmenden Beschäftigten kombiniert (siehe Abbildung A, rote Linie), ergibt sich ein repräsentativeres Bild der Unterauslastung am Arbeitsmarkt.
Abbildung A
Herkömmliche und spezifische Messgrößen der Arbeitslosigkeit
Insgesamt ist durch den Covid-19-Schock der Anteil der ausfallgefährdeten Unternehmen gestiegen, was auf lange Sicht weitere Beschäftigungsverluste nach sich ziehen könnte. Die auf den Einbruch der Wirtschaftsleistung vom zweiten Quartal 2020 folgende Erholung im dritten Jahresviertel ließ darauf schließen, dass der Pandemieschock weitgehend eine vorübergehende Erscheinung sein könnte. Allerdings wurde durch die zweite Welle der Lockdown-Maßnahmen die Gefahr verstärkt, dass Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze langfristig Schaden nehmen. Die einzelnen Sektoren wurden vom Covid-19-Schock unterschiedlich stark getroffen. Einen schwächeren Effekt verzeichneten Firmen, die verstärkt digitale Technologien zum Einsatz brachten, während Unternehmen mit direktem Kundenkontakt stärker betroffen waren. Für Letztere besteht möglicherweise ein Marktaustrittsrisiko, das davon abhängt, wie lange die Pandemie dauert und ob Liquiditätsengpässe erfolgreich durch nationale politische Maßnahmen begrenzt und überbrückt werden können. Kennzeichnend für den Pandemie-Schock ist zudem, dass er von einem exogenen Ereignis ausgeht, was impliziert, dass durch den Schock sowohl produktive als auch unproduktive Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen werden. So wird der Bereinigungseffekt – d. h. das Ausscheiden aus dem Markt von weniger produktiven Firmen, die in der Regel stärker von einem Produktivitätsschock betroffen sind – geringer ausfallen als in früheren Krisen, da produktivere Firmen, die vorübergehend mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen haben, ebenfalls ausfallgefährdet sein können.[5]
1.3 Finanzpolitische Maßnahmen als Reaktion auf die Krise
Covid-19-Pandemie stellte öffentliche Finanzen vor enorme Herausforderungen
Die öffentlichen Finanzen im Euro-Währungsgebiet standen 2020 im Zeichen der tiefgreifenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Dies stellte die Regierungen vor enorme Herausforderungen, hatte aber auch eine starke Reaktion der Politik zur Folge. Die Staatshaushalte wurden sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Zum einen war dies durch einen Anstieg der Aufwendungen infolge der Krisenbewältigung bedingt und zum anderen durch entgangene Staatseinnahmen. Beides spiegelte die schwere Rezession und die ausgabenseitigen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und privaten Haushalten wider. Infolgedessen stieg die gesamtstaatliche Defizitquote im Eurogebiet gemäß den gesamtwirtschaftlichen Projektionen des Eurosystems vom Dezember 2020 von 0,6 % im Jahr 2019 auf 8,0 % des BIP im Berichtsjahr (siehe Abbildung 7). Die umfangreichen Wirtschaftshilfen der Regierungen bewirkten also einen Wechsel des fiskalischen Kurses[6] von leicht expansiv im Jahr 2019 zu hoch akkommodierend im Folgejahr (mit 4,8 % des BIP). Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Umfang der finanzpolitischen Maßnahmen und damit auch die fiskalische Ausrichtung in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausfiel. Unter dem Strich haben die Regierungen im Eurogebiet mit ihren Unterstützungsmaßnahmen jedoch gezeigt, dass sie in der Lage sind, schnell, umfassend und koordiniert auf Krisen zu reagieren. Ermöglicht wurde dies durch die im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerte allgemeine Ausweichklausel.
Abbildung 7
Öffentlicher Finanzierungssaldo und fiskalischer Kurs
Die meisten Zusatzausgaben ergaben sich aus direkt mit der Gesundheitskrise verbundenen Kosten und aus der Unterstützung von privaten Haushalten und Unternehmen
Schätzungen der Europäischen Kommission[7] zufolge beliefen sich die Kosten der fiskalischen Krisenbewältigungsmaßnahmen 2020 auf 4,2 % des euroraumweiten BIP. Der größte Teil dieses Werts ergab sich aus den direkten Kosten der öffentlichen Hand für die Bekämpfung der Gesundheitskrise und aus Unterstützungsmaßnahmen für private Haushalte und Unternehmen (siehe Abbildung 8). Vorrangiges Ziel dieser Maßnahmen war der Erhalt von Arbeitsplätzen und Produktionskapazitäten, damit die Wirtschaft bei Abklingen der Pandemie gut gerüstet in eine rasche Erholung gehen kann. Entsprechend dieser Zielsetzung wurden die privaten Haushalte hauptsächlich in Form von Kurzarbeitsregelungen und befristeten Freistellungen unterstützt, um so Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Lediglich in geringerem Umfang wurden auch direkte Transferzahlungen an Privathaushalte geleistet.[8] Gegen Ende der ersten Pandemiewelle wurden einige eher begrenzte Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Erholung ergriffen, so etwa Senkungen indirekter Steuern oder eine Ausweitung öffentlicher Investitionsprojekte. Da die Pandemie 2020 mit dem Ausbruch der zweiten Welle im Herbst längst nicht beendet war, dürften Maßnahmen dieser Art allerdings erst im weiteren Verlauf eine größere Rolle spielen.
Abbildung 8
Geschätzte Zusammensetzung der Covid-19-Maßnahmen im Jahr 2020
Umfangreiche staatliche Liquiditätshilfen für die Wirtschaft
Neben der fiskalischen Unterstützung für die Wirtschaft stellten die Regierungen der Euro-Länder auch Kreditgarantien in großem Umfang zur Verfügung, um die Liquiditätslage der Unternehmen zu verbessern. Dies galt insbesondere für kleine und mittlere Firmen, deren Zugang zu Außenfinanzierung oft erschwert ist. Solche Liquiditätshilfen spielten besonders zu Beginn der Krise eine bedeutende Rolle, bevor im weiteren Verlauf auch andere Unterstützungsprogramme hinzukamen. Die Garantien hatten einen Gesamtumfang von rund 17 % des euroraumweiten BIP.[9] Kreditgarantien sind Eventualverbindlichkeiten der Staaten und führen somit bei Inanspruchnahme zu öffentlichen Mehrausgaben in entsprechender Höhe. Viele Regierungen gewährten auch Steuerstundungen, Kredite und Kapitalspritzen an Unternehmen. Diese Liquiditätszuführungen und andere Liquiditätshilfen sind generell nicht im Finanzierungssaldo enthalten, schlagen sich aber zum Teil in der Staatsverschuldung nieder.
Öffentliche Schuldenstände stark gestiegen, doch Tragfähigkeitsrisiken hielten sich weiter in Grenzen
Die Krise hatte eine spürbare Ausweitung der öffentlichen Schuldenstände im gesamten Euroraum zur Folge. Dies zeigten auch die gesamtwirtschaftlichen Projektionen des Eurosystems vom Dezember 2020, wonach die aggregierte Schuldenquote im Berichtsjahr auf schätzungsweise 98,4 % des BIP stieg, was gegenüber dem Wert von 2019 eine Zunahme um 14,5 Prozentpunkte bedeutet. Die Staaten gingen zudem umfangreiche Eventualverbindlichkeiten in Form von Kreditgarantien ein. Wenngleich es Zeit brauchen wird, die Schuldenstände wieder deutlich zu senken, gibt es keine Hinweise darauf, dass die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen im Eurogebiet infrage stehen könnte. Diese Einschätzung beruht auf gestiegenen Erwartungen hinsichtlich einer Konjunkturerholung im Jahr 2021 und stützt sich nicht zuletzt auf positive Nachrichten zu verschiedenen Covid-19-Impfstoffen. Darüber hinaus spielen aber auch die Finanzierungsbedingungen eine große Rolle, die auf absehbare Zeit unterstützend bleiben dürften. Von den auf EU-Ebene koordinierten fiskalischen Maßnahmen dürfte ebenfalls ein stabilisierender Effekt ausgehen (siehe Kasten 4). Ungeachtet dessen ist jedoch nach wie vor entscheidend, dass die Mitgliedstaaten zu soliden Haushaltspositionen zurückkehren, sobald sich die Wirtschaft erholt hat.
1.4 Inflation wegen Ölpreisverfall und Wirtschaftsrückgang beträchtlich gesunken[10]
Die Gesamtinflation im Euroraum lag 2020 im Schnitt bei 0,3 % nach 1,2 % im Jahr zuvor. Betrachtet man die Komponenten des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), so standen hinter diesem Rückgang im Wesentlichen die niedrigeren Beiträge der Energiepreisentwicklung, in der zweiten Jahreshälfte aber auch jene der Teuerung nach dem HVPI ohne Energie und Nahrungsmittel (siehe Abbildung 9). Getrieben wurde der disinflationäre Prozess von der drastisch sinkenden Wirtschaftsleistung, die mit einer massiv abgeschwächten Verbrauchernachfrage und gravierenden Abwärtsrisiken für die Wirtschaftsaussichten einherging. Maßgeblich für den Disinflationsdruck waren auch einige Faktoren, die speziell mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und den entsprechenden Gegenmaßnahmen zusammenhingen. Beispielsweise war der weitere Rückgang der Inflation in der zweiten Jahreshälfte zum Teil eine Folge des Preisverfalls bei den Dienstleistungen im Reiseverkehr (vor allem Transportleistungen und Hotels), die am stärksten von der Krise betroffen waren. Aber auch die Auswirkungen der vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuersätze in Deutschland spielten hier eine Rolle.
Abbildung 9
Teuerungsrate nach dem HVPI und Beiträge der Komponenten
Volatile HVPI-Komponenten wiesen zum Teil gegenläufige Entwicklungen auf
Mit dem Ölpreisverfall zu Beginn der Pandemie trug die Energiepreisentwicklung 2020 wesentlich zum gegenüber dem Vorjahr verzeichneten Rückgang der durchschnittlichen Gesamtinflation bei. Im Gegensatz dazu stieg der entsprechende Beitrag der Nahrungsmittelkomponente insgesamt gegenüber 2019 leicht an und erreichte im Berichtsjahr 0,4 Prozentpunkte. Dies war zum Großteil darauf zurückzuführen, dass sich in der Pandemie vor allem die Preissteigerung bei unverarbeiteten Nahrungsmitteln vorübergehend beträchtlich beschleunigte (und im April 2020 mit 7,6 % eine Spitze erreichte).[11]
Zugrunde liegende Inflation im Jahresverlauf 2020 rückläufig
Die Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation waren im Jahresverlauf 2020 rückläufig. Die Teuerung nach dem HVPI ohne Energie und Nahrungsmittel, die 2019 bei 1,0 % gelegen hatte, betrug im Berichtsjahr durchschnittlich 0,7 %, wobei in den letzten vier Monaten des Jahres 2020 ein Rekordtief verzeichnet wurde. Das gedämpfte Wachstum dieses HVPI-Teilindex war unter anderem auf die schwache Entwicklung der Preise sowohl der Industrieerzeugnisse ohne Energie als auch der Dienstleistungen zurückzuführen. Die Preissteigerungsrate der Industrieerzeugnisse ohne Energie kehrte sich im August 2020 ins Negative und fiel im Dezember 2020 auf ein Allzeittief. Die Teuerung bei den Dienstleistungen war im Oktober 2020 mit 0,4 % so niedrig wie nie zuvor, erholte sich im Anschluss jedoch leicht. Auf diese beiden Komponenten wirkte zwar eine Reihe gemeinsamer Faktoren ein, dies allerdings in etwas unterschiedlichem Maße. Die in der zweiten Hälfte des Jahres verzeichnete Aufwertung des Euro schlug stärker auf die Preise der Industrieerzeugnisse ohne Energie durch als auf die Dienstleistungspreise. Dasselbe gilt für die Änderungen indirekter Steuern, da für einige Dienstleistungskomponenten wie Mieten keine Mehrwertsteuer erhoben wird. Die im Zuge der Pandemie verhängten Lockdowns und Eindämmungsmaßnahmen haben sich stärker auf die Dienstleistungspreise ausgewirkt. Besonders sichtbar wurde dies anhand des Inflationsrückgangs bei den Dienstleistungen im Reiseverkehr und im Freizeitbereich. Am deutlichsten wurde der Preisauftrieb bei den Industrieerzeugnissen ohne Energie und den Dienstleistungen allerdings von der drastisch sinkenden Nachfrage infolge der Pandemie geprägt. Denn die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen sowie Einkommens- und Arbeitsplatzverluste lösten erhöhte Unsicherheit und Risikoaversion aus. Die in bestimmten Sektoren beobachteten Aufwärtseffekte durch Lieferengpässe wurden durch die beschriebene Entwicklung mehr als ausgeglichen. Überdies wurde durch die Pandemie die Preiserhebung im Rahmen des HVPI behindert. Infolgedessen nahm der Anteil imputierter Preise im HVPI im April sprunghaft zu. Danach verringerte er sich wieder, und von Juli bis Oktober 2020 wurden Preisimputationen nur für wenige Produkte herangezogen. Im November und Dezember wurde wieder ein erhöhter Anteil imputierter Preise verzeichnet, der jedoch unter dem Niveau vom Frühjahr lag.[12] Die nachfrage- und angebotsseitigen Effekte dürften auch den Schluss zulassen, dass 2020 die Anteile einzelner Waren und Dienstleistungen am Konsum von jenen abwichen, die dem Aufbau des HVPI zugrunde liegen.
Inländischer Kostendruck gestiegen
Der anhand des BIP-Deflators gemessene inländische Kostendruck nahm im Jahr 2020 im Schnitt zu; die Steigerungsrate lag über dem Mittelwert 2019 (siehe Abbildung 10). Das Jahreswachstum des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer hingegen ging 2020 rasch zurück und lag mit −0,6 % deutlich unter dem Vorjahreswert. Zugleich deutete der sogar noch stärkere Rückgang des Produktivitätswachstums auf merklich höhere Lohnstückkosten hin, aus denen sich ein positiver Wachstumsbeitrag zum BIP-Deflator ergab. Das Wachstum der Lohnstückkosten beschleunigte sich 2020 auf 4,6 % nach 1,9 % im Vorjahr. Allerdings stand die Entwicklung der Lohnstückkosten, der Produktivität und des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer im Berichtsjahr unter dem Einfluss einer breiten Nutzung von Kurzarbeitsregelungen, die beispielsweise dazu führten, dass die Beschäftigung deutlich resilienter blieb als die Produktion oder die Anzahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Auch in Bezug auf die statistische Erfassung der Messgrößen gab es Probleme, nicht zuletzt da Subventionen einen ungewöhnlich hohen Beitrag zur Dynamik der inländischen Kosten leisteten, was die Vergleichbarkeit der aktuellen mit der historischen Entwicklung behinderte.[13] Auf der Ausgabenseite traten solche statistischen Probleme zum Beispiel im drastischen Anstieg der Wachstumsrate des Staatskonsumdeflators im zweiten Quartal zutage.
Abbildung 10
Aufschlüsselung des BIP-Deflators
Längerfristige Inflationserwartungen weiterhin auf historisch niedrigem Stand
Die sich aus dem Survey of Professional Forecasters (SPF) der EZB ergebenden längerfristigen Inflationserwartungen lagen 2020 weiterhin auf historisch niedrigem Niveau. Wie im Vorjahr bewegten sich die Werte zwischen 1,6 % und 1,7 %. Die laut SPF in fünf Jahren erwartete Teuerung war mit 1,7 % im vierten Quartal 2020 gegenüber dem Schlussquartal 2019 unverändert. Die marktbasierten Maße der längerfristigen Inflationserwartungen – vor allem der fünfjährige inflationsindexierte Termin-Swapsatz in fünf Jahren – schwankten im Jahresverlauf erheblich. Der genannte Satz fiel zu Beginn der Pandemie kräftig und erreichte Ende des ersten Quartals 2020 (mit 0,7 % am 23. März) ein Allzeittief. Anschließend erholte er sich, stabilisierte sich gegen Ende des Berichtsjahrs in der Nähe seines Vorkrisenniveaus und lag am 31. Dezember bei 1,3 %. Vor diesem Hintergrund lagen die marktbasierten Indikatoren der längerfristigen Inflationserwartungen weiterhin auf sehr moderatem Niveau.
1.5 Weiterhin günstige Kredit- und Finanzierungsbedingungen dank entschlossener Maßnahmen der Politik
Staatsanleiherenditen im Euroraum angesichts energischer geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen 2020 rückläufig
Die Covid-19-Pandemie hatte eine rasche Eintrübung der globalen und binnenwirtschaftlichen Konjunkturaussichten zur Folge. Gleichzeitig kam es in einem Umfeld einer allgemeinen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen zu einer deutlichen Ausweitung der Renditeabstände von Staatsanleihen. In dieser Situation galt es, die Auswirkungen des pandemiebedingten Schocks auf Wirtschaft und Inflation zu begrenzen. Aus diesem Grund und in Anbetracht der sich abzeichnenden Risiken für die Finanzstabilität und für das reibungslose Funktionieren der geldpolitischen Transmission reagierten die geld- und finanzpolitischen Behörden prompt und entschlossen (siehe Kapitel 2 Abschnitt 1). Damit traten sie der schockbedingten Verschärfung der Finanzierungsbedingungen wirksam entgegen und trugen insbesondere zu einem Rückgang der langfristigen risikofreien Zinssätze und zu einer Verringerung der Renditeaufschläge zehnjähriger Staatsanleihen im Eurogebiet in Relation zum zehnjährigen Zinssatz für Tagesgeld-Swaps bei. Diese hatten in der Anfangsphase der Pandemie Höchststände erreicht und gaben nun wieder nach. Infolgedessen sank die BIP-gewichtete Durchschnittsrendite zehnjähriger Staatspapiere im Euroraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2020 um 50 Basispunkte auf −0,23 % (siehe Abbildung 11).
Abbildung 11
Langfristige Renditen im Euroraum und in den Vereinigten Staaten
Aktienkurse im Euroraum haben ihr Pandemietief überwunden, Ende 2020 allerdings noch keine vollständige Erholung
Nach dem Einbruch der Aktienkurse Mitte März erholten sich die Notierungen langsam, aber stetig wieder. Dies war der konjunkturellen Belebung und den sich festigenden Wachstumserwartungen zu verdanken, die wiederum von den geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen sowie positiven Meldungen über mögliche Impfstoffe gestützt wurden. Hierdurch dürfte es zu einer Verringerung der Aktienrisikoprämien und zu höheren Gewinnerwartungen der Marktteilnehmer gekommen sein. Die Entwicklung unterschied sich somit deutlich von der umfangreicheren und vor allem länger andauernden Kurskorrektur an den Aktienmärkten, die im Anschluss an die Finanzkrise der Jahre 2008-2009 zu beobachten gewesen war. Gleichzeitig wies die Entwicklung der Aktienkurse im Euroraum gegenüber ihrem Stand Ende 2019 deutliche sektorale Unterschiede auf. Der Gesamtindex für die Notierungen nichtfinanzieller Unternehmen im Eurogebiet lag am Jahresende geringfügig über dem Ende 2019 beobachteten Wert, während die Kurse von Bankaktien stärker sanken und auch am Jahresende noch rund 24 % unter ihrem Vorjahreswert lagen (siehe Abbildung 12).
Abbildung 12
Aktienmarktindizes im Euroraum und in den Vereinigten Staaten
Bankkreditaufnahme und Wertpapieremission nichtfinanzieller Unternehmen gestiegen
Die nichtfinanziellen Unternehmen verzeichneten zwar 2020 höhere Außenfinanzierungsströme als im Vorjahr, doch lagen diese nach wie vor unter ihrem 2017 erreichten letzten Höchststand (siehe Abbildung 13). Im Einklang mit der Marktentwicklung hielten sich die Kreditzinsen der Banken im Berichtsjahr weitgehend stabil in der Nähe ihrer historischen Tiefstände. Angesichts des drastischen Konjunkturabschwungs und des gravierenden Rückgangs von Umsätzen und Cashflows der Unternehmen hatten die nichtfinanziellen Unternehmen im Berichtsjahr einen außergewöhnlich hohen Liquiditätsbedarf. Dieser zeigte sich in der deutlich höheren Mittelaufnahme über Bankkredite und Wertpapieremissionen. Der Nettoabsatz börsennotierter Aktien fiel negativ aus, was in erster Linie einer Notierungslöschung (Delisting) im zweiten Quartal 2020 zuzuschreiben war. Bei den nicht börsennotieren Aktien und sonstigen Anteilsrechten entwickelte sich der Nettoabsatz indes solide (auch nach Bereinigung um den Delisting-Effekt). Dies dürfte unter anderem mit Kapitalzuführungen aufgrund von Verlusten im Zusammenhang stehen. Die Inanspruchnahme anderer Finanzierungsquellen, darunter Konzerndarlehen und Handelskredite, blieb im Großen und Ganzen stabil.
Abbildung 13
Außenfinanzierung nichtfinanzieller Unternehmen im Euroraum (netto)
Schnelleres Geldmengen- und Kreditwachstum in der Covid-19-Krise
Infolge der Covid-19-Krise nahm das Wachstum der weit gefassten Geldmenge (M3) stark zu (siehe Abbildung 14), was vor allem dem Einfluss des Geldmengenaggregats M1 geschuldet war. Diese Entwicklung zeigte, dass Unternehmen und private Haushalte ihre Liquiditätspuffer angesichts gestiegener Unsicherheit aufstockten. Im Fall der privaten Haushalte spielte auch eine unfreiwillige Ersparnisbildung aufgrund der eingeschränkten Konsummöglichkeiten eine Rolle. Die Geldschöpfung wurde durch eine Ausweitung der inländischen Kredite sowohl an den privaten als auch den öffentlichen Sektor bestimmt. Im Staatssektor ergab sich diese Ausweitung hauptsächlich aus den Wertpapierkäufen des Eurosystems. Durch die raschen und umfangreichen Maßnahmen der Geld- und Fiskalpolitik sowie der Aufsichtsbehörden konnte sichergestellt werden, dass die Wirtschaft im Eurogebiet auch weiterhin zu günstigen Konditionen mit Krediten versorgt wird.
Abbildung 14
M3 und Kreditvergabe an den privaten Sektor
Höhere Risikoeinschätzung der Banken führt zu einer Verschärfung der Kreditrichtlinien
Die Kreditbedingungen der Banken waren über das Jahr gesehen insgesamt günstig, auch wenn laut Umfrage zum Kreditgeschäft im Euro-Währungsgebiet die Banken ihre Kreditrichtlinien (d. h. die Kriterien der Darlehensgewährung) für Unternehmen im zweiten Halbjahr 2020 verschärften. Dies war hauptsächlich auf eine erhöhte Risikoeinschätzung der Banken zurückzuführen, die sich aus den schlechteren Aussichten für die Bonität der Kreditnehmer infolge der Pandemie ergab. Zugleich gaben die Banken an, dass die Käufe im Rahmen des Wertpapierankaufprogramms und des Pandemie-Notfallankaufprogramms sowie die dritte Serie gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte insbesondere nach den Anpassungen im März und April zu einer Verbesserung der Liquiditätslage der Institute und der Finanzierungsbedingungen am Markt beigetragen hätten. Diese Schritte sowie die von den Regierungen beschlossenen Hilfsmaßnahmen (z. B. Kreditgarantien und Moratorien) verhinderten eine stärkere Verschärfung der Kreditrichtlinien.
2 Geldpolitik: Sicherung günstiger Finanzierungsbedingungen
Die EZB hat den geldpolitischen Kurs im Lauf des Jahres 2020 erheblich gelockert, um den negativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets entgegenzuwirken. Mithilfe eines umfassenden Maßnahmenpakets und anschließender Rekalibrierungen konnte die Gefahr einer Liquiditäts- und Kreditverknappung abgewendet werden, indem für ausreichend Liquidität im Bankensystem gesorgt wurde. Darüber hinaus gelang es, die Kreditvergabe an die Realwirtschaft aufrechtzuerhalten und den akkommodierenden geldpolitischen Kurs abzusichern, da eine prozyklische Verschärfung der Finanzierungsbedingungen verhindert wurde. Diese Reaktion der Geldpolitik erwies sich 2020 als entscheidender stabilisierender Faktor für die Märkte. Sie trug dazu bei, den hohen Risiken zu begegnen, die von der raschen Ausbreitung des Coronavirus für den Transmissionsmechanismus, die Wirtschaftsaussichten des Euroraums und, in letzter Konsequenz, das Erreichen des Preisstabilitätsziels der EZB ausgingen. Die Bilanzsumme des Eurosystems wuchs gegenüber dem Vorjahresende um 2,3 Billionen € und erreichte einen historischen Höchststand von 7 Billionen €. 79 % der Bilanzsumme des Eurosystems waren Ende 2020 auf geldpolitische Operationen zurückzuführen. Den mit der großen Bilanzsumme zusammenhängenden Risiken begegnete die EZB wie schon bisher mit risikosteuernden Maßnahmen.
2.1 Geldpolitische Reaktion der EZB auf die Pandemie trug wesentlich zur Unterstützung des Aufschwungs und Verbesserung der Inflationsaussichten bei[14]
Die Maßnahmen der EZB zu Beginn der Covid-19-Pandemie
Der vorsichtige Optimismus zu Beginn des Jahres wurde durch den Ausbruch von Covid-19 abrupt gedämpft
Zu Beginn des Jahres ließen aktuelle Daten ein zwar moderates, aber anhaltendes Wachstum der Wirtschaft des Euroraums erwarten. Wenngleich die Schwäche des internationalen Handels in einem von globaler Unsicherheit geprägten Umfeld das Wachstum noch immer bremste, profitierte die Wirtschaft des Euroraums von Beschäftigungszuwächsen in Verbindung mit steigenden Löhnen, dem leicht expansiven finanzpolitischen Kurs im Euroraum und dem anhaltenden, wenn auch etwas langsameren, weltweiten Konjunkturaufschwung. Die Inflation entwickelte sich insgesamt weiter verhalten, doch gab es einige Hinweise darauf, dass die zugrunde liegende Inflation im Einklang mit den Erwartungen leicht ansteigen würde. Die 2019 ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen trugen zu weiterhin günstigen Finanzierungsbedingungen bei und unterstützten somit den Aufschwung im Euroraum, den Aufbau binnenwirtschaftlichen Preisdrucks und die Annäherung der Inflation an das mittelfristige Inflationsziel des EZB-Rats.
Bei seiner Sitzung im Januar 2020 beschloss der EZB-Rat, die geldpolitische Strategie der EZB einer Überprüfung zu unterziehen. Seit der letzten Überprüfung hat sich in der Wirtschaft des Euroraums und der Weltwirtschaft ein tiefgreifender struktureller Wandel vollzogen. Der Rückgang des Trendwachstums aufgrund abnehmender Produktivität und der Bevölkerungsalterung sowie die Nachwirkungen der Finanzkrise führten zu einem niedrigeren Zinsniveau. Letzteres engt den Spielraum der EZB und anderer Zentralbanken bei der Lockerung des geldpolitischen Kurses mittels herkömmlicher geldpolitischer Instrumente ein, wenn ungünstige Konjunkturentwicklungen vorherrschen. Zudem stellt der Umgang mit einer niedrigen Inflation eine ganz andere Herausforderung dar als die Bekämpfung hoher Inflationsraten in der Vergangenheit. Die Bedrohung der Umwelt, die rasche Digitalisierung, die Globalisierung und sich wandelnde finanzielle Strukturen haben das Umfeld, in dem die Geldpolitik agiert, und auch die Inflationsdynamik verändert. Angesichts dieser Herausforderungen beschloss der EZB-Rat, eine Überprüfung der geldpolitischen Strategie unter voller Achtung des im Vertrag verankerten Preisstabilitätsmandats der EZB einzuleiten (siehe Kasten 2).
Der vorsichtige Konjunkturoptimismus zu Jahresbeginn fand Ende Februar mit dem Ausbruch und der weltweiten Ausbreitung von Covid-19 ein jähes Ende. Auch wenn das Ausmaß und die Dauer der Abwärtskorrektur der Wachstumsaussichten nicht genau auszumachen waren, stellte sich zunehmend die Gewissheit ein, dass die Pandemie gravierende Folgen für die Wirtschaft des Euroraums haben würde. Während einerseits ein von den Störungen in den globalen Lieferketten ausgehender Aufwärtsdruck auf die Inflation im Euroraum erwartet wurde, ging man andererseits davon aus, dass der inflationsdämpfende Effekt der schwächeren Nachfrage die Oberhand behalten würde. Darüber hinaus führte der massive Rückgang der Risikoneigung zu einer deutlichen Verschärfung der Finanzierungs- und Refinanzierungsbedingungen. Im Zusammenspiel mit der moderaten Aufwertung des Euro bestand die Gefahr, dass sich dadurch zusätzlicher Abwärtsdruck auf die Inflation aufbauen könnte.
Ein umfassendes geldpolitisches Maßnahmenpaket war notwendig
Vor diesem Hintergrund beschloss der EZB-Rat bei seiner geldpolitischen Sitzung am 12. März 2020 ein umfassendes Paket geldpolitischer Maßnahmen. Ziel war es, einerseits durch die Sicherung von ausreichend Liquidität im Bankensystem und des Kreditflusses an die Realwirtschaft die Gefahr einer Liquiditäts- und Kreditverknappung zu mindern und andererseits durch die Verhinderung einer prozyklischen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen den akkommodierenden geldpolitischen Kurs abzusichern.
Der EZB-Rat verständigte sich insbesondere darauf, zusätzliche längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (LRGs) zum Zinssatz für die Einlagefazilität durchzuführen. Ferner wurden für alle im Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2021 ausstehenden gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der dritten Serie (GLRG III) deutlich günstigere Bedingungen festgelegt. So wurde der Zinssatz für GLRG-III-Geschäfte um 25 Basispunkte gesenkt und für den Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2021 die Möglichkeit eines bis zu 25 Basispunkte unter dem durchschnittlichen Einlagesatz liegenden Zinssatzes für alle in diesem Zeitraum ausstehenden GLRG-III-Geschäfte geschaffen. Darüber hinaus wurde der Höchstbetrag, der von Geschäftspartnern bei GLRG-III-Geschäften insgesamt aufgenommen werden kann, auf 50 % ihres Bestands an anrechenbaren Krediten erhöht. Die zuvor erwähnten LRGs würden es den Banken ermöglichen, unmittelbar von den ausgesprochen günstigen Finanzierungsbedingungen zu profitieren und die Zeit bis zum Beginn der rekalibrierten GLRG-III-Geschäfte zu überbrücken. Diese sollten die Finanzierungsbedingungen der Banken auf längere Sicht verbessern, um die Kreditvergabe an die betroffenen Sektoren zu fördern und eine Verknappung des Kreditangebots zu verhindern.
Ferner beschloss der EZB-Rat, zeitlich befristet (d. h. bis Ende 2020) das bestehende Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) um 120 Mrd € aufzustocken, wodurch ein substanzieller Beitrag der Teilprogramme zum Ankauf von Vermögenswerten des privaten Sektors gewährleistet werden sollte. Die zeitliche Beschränkung auf das laufende Kalenderjahr wurde als angemessene Reaktion auf den als vorübergehend eingeschätzten Schock erachtet. Die zusätzlichen Ankäufe sollten in Verbindung mit dem bestehenden APP in Zeiten erhöhter Unsicherheit zu günstigen Finanzierungsbedingungen für die Realwirtschaft beitragen.
In der Woche nach der Märzsitzung des EZB-Rats kam es mit der raschen Ausbreitung von Covid-19 zu einer drastischen Verschlechterung der Lage, und nahezu alle Euro-Länder ergriffen weitreichende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Die Entwicklung an den Finanzmärkten war extrem volatil; es gab Anzeichen für schwere Verwerfungen aufgrund von Illiquidität und Marktlähmung sowie für zunehmende Fragmentierung. Das Resultat war eine deutliche Verschärfung der Finanzierungsbedingungen, die das Potenzial hatte, die euroraumweite reibungslose Transmission der EZB-Geldpolitik zu behindern und die Preisstabilität zu gefährden.
Angesichts dieser raschen Verschlechterung der Lage bekannte sich der EZB-Rat am 18. März 2020 zu der Notwendigkeit weiterer schlagkräftiger geldpolitischer Maßnahmen, um die Märkte zu stabilisieren und der drastischen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen entgegenzuwirken. Ziel war es, die von der Pandemie ausgehenden gravierenden Risiken für die wirtschaftlichen Aussichten des Euroraums, den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und – in letzter Konsequenz – das Erreichen des Preisstabilitätsziels der EZB einzudämmen. Der EZB-Rat kündigte die nachfolgend beschriebenen zusätzlichen Maßnahmen an.
Der EZB-Rat beschloss ein neues, zeitlich befristetes Ankaufprogramm: das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP)
Zunächst wurde ein neues, zeitlich befristetes Wertpapierankaufprogramm eingerichtet: das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP). Dieses verfügt über einem Gesamtumfang von 750 Mrd € und ermöglicht Ankäufe aller für das APP zugelassenen Wertpapierkategorien. Ferner wurde die Bandbreite ankauffähiger Vermögenswerte im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) auf Commercial Paper von Nichtfinanzunternehmen ausgeweitet. Damit können marktfähige Schuldtitel mit einer Ursprungslaufzeit von weniger als einem Jahr angekauft werden, wenn ihre Restlaufzeit zum Ankaufzeitpunkt mindestens 28 Tage beträgt. Die Ausweitung der Bandbreite zulässiger Vermögenswerte würde die Finanzierungssituation der Unternehmen verbessern, d. h. einem von der Pandemie besonders betroffenen Teil der Wirtschaft essenzielle Unterstützung bieten. Für Käufe im Rahmen des PEPP beschloss der EZB-Rat außerdem eine Ausnahmeregelung, die sich auf die Kriterien für die Ankauffähigkeit der von der Hellenischen Republik begebenen Schuldverschreibungen bezog. Zusätzlich dazu beschloss der EZB-Rat, Wertpapiere des öffentlichen Sektors mit einer Restlaufzeit von unter einem Jahr aber mindestens 70 Tagen aufgrund der temporären Natur des Programms für Ankäufe im Rahmen des PEPP zuzulassen.
Das PEPP wurde so konzipiert, dass es eine Doppelfunktion erfüllt: Erstens sollte es gemeinsam mit den anderen Komponenten des geldpolitischen Handlungsrahmens für jene geldpolitische Lockerung sorgen, die eine wirtschaftliche Erholung von den Folgen der Pandemie unterstützt und somit die Sicherung der Preisstabilität auf mittlere Sicht gewährleistet. Zweitens sollten die Ankäufe im Rahmen des PEPP flexibel – im Sinne eines Variierens der Ankäufe im Zeitverlauf, über Anlageklassen und Länder hinweg – gehandhabt werden. Dank dieser Flexibilität konnte das PEPP vor allem angesichts der hohen Unsicherheit in Bezug auf die Auswirkungen der Pandemie auf die einzelnen Märkte und Euro-Länder auf effiziente Weise marktstabilisierend wirken.
Bei seiner Sitzung am 18. März kündigte der EZB-Rat außerdem eine vorübergehende Lockerung der Kriterien für notenbankfähige Sicherheiten durch eine Anpassung der wichtigsten Risikoparameter des Sicherheitenrahmens an. Damit sollte gewährleistet werden, dass die Geschäftspartner die Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems weiterhin in vollem Umfang nutzen können. Der EZB-Rat verabschiedete daraufhin zwei Maßnahmenpakete zur vorübergehenden Lockerung der Sicherheitenkriterien. Mit dem ersten, am 7. April angekündigten Paket zielte man darauf ab, die Verfügbarkeit notenbankfähiger Sicherheiten für die Geschäftspartner des Eurosystems zu erweitern, sodass diese an den liquiditätszuführenden Operationen, wie den GLRG-III-Geschäften, in vollem Umfang teilnehmen konnten. Am 22. April 2020 beschloss der EZB-Rat, dass marktfähige Vermögenswerte und deren Emittenten, die am 7. April die Bonitätsanforderungen erfüllten, auch im Fall von Ratingherabstufungen weiterhin zugelassen sind, vorausgesetzt, die Ratings bleiben oberhalb einer bestimmten Bonitätsschwelle und alle anderen Zulassungskriterien werden weiterhin erfüllt. Mit dieser Maßnahme sollte der Effekt potenzieller Ratingverschlechterungen auf die Verfügbarkeit von Sicherheiten abgefedert und eine drohende prozyklische Entwicklung verhindert werden.
Auch zum Zeitpunkt der geldpolitischen Sitzung des EZB-Rats im April war kein Ende der Negativentwicklung in Sicht: Die Konjunktur befand sich in einem Abschwung, und die Situation am Arbeitsmarkt verschlechterte sich deutlich. Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus war die Wirtschaftstätigkeit im gesamten Euroraum und weltweit weitgehend zum Erliegen gekommen. Das volle Ausmaß und die Dauer der Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft waren zwar noch immer schwer vorherzusagen, klar war jedoch nunmehr, dass die Konjunktur im Euroraum so massiv und innerhalb so kurzer Zeit einbrechen würde, wie man es in der jüngeren Vergangenheit noch nicht erlebt hatte.
Die sich verschlechternden Konjunkturaussichten führten gemeinsam mit dem Verfall des Ölpreises und dem Rückgang der Inflationserwartungen zu signifikanten Abwärtsrisiken für die Inflationsaussichten im Euroraum. Vor diesem Hintergrund beschloss der EZB-Rat im April 2020, die von der Geldpolitik geleistete Unterstützung für private Haushalte und Unternehmen weiter zu verstärken. So wurden die Bedingungen für die GLRG-III-Geschäfte weiter gelockert, indem der Zinssatz für diese im Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2021 ausstehenden Operationen auf 50 Basispunkte unter dem durchschnittlichen Zinssatz für die im gleichen Zeitraum durchgeführten Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems gesenkt wurde. Darüber hinaus wurde der Zinssatz für jene Geschäftspartner, deren anrechenbare Nettokreditvergabe den Schwellenwert für das Wachstum der Kreditvergabe erreicht hatte, für den Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2021 so festgesetzt, dass er 50 Basispunkte unter dem zur gleichen Zeit geltenden durchschnittlichen Zinssatz für die Einlagefazilität lag. Der EZB-Rat beschloss zudem, eine neue Reihe nicht gezielter längerfristiger Pandemie-Notfallrefinanzierungsgeschäfte (PELTROs) durchzuführen, um die Liquiditätsbedingungen im Finanzsystem des Eurogebiets zu unterstützen und durch eine wirksame Absicherung gegen Liquiditätsengpässe dazu beizutragen, das reibungslose Funktionieren der Geldmärkte aufrechtzuerhalten. Im März und April 2020 richtete die EZB außerdem befristete Swap- und Repo-Linien mit Zentralbanken außerhalb des Euroraums und im Juni 2020 die befristete Eurosystem Repo Facility for Central Banks (EUREP) ein. Ziel dieser Maßnahmen war, die Verfügbarkeit von Liquidität in Euro außerhalb des Eurogebiets zu verbessern und Spillback-Effekte auf die Finanzmärkte im Euroraum zu verhindern.
Rekalibrierung des geldpolitischen Kurses im Juni
Neue Daten bestätigten nie dagewesenen Einbruch der Wirtschaft im Euroraum
Im Juni bestätigten die neu verfügbaren Daten schließlich, dass der Euroraum infolge der Pandemie und der Maßnahmen zu deren Eindämmung den schlimmsten Wirtschaftseinbruch seiner Geschichte verzeichnete. Massive Arbeitsplatz- und Einkommensverluste sowie ein außergewöhnlich hohes Maß an Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Aussichten führten zu einem deutlichen Rückgang der Konsumausgaben und der Investitionen. Mit der allmählichen Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen zeigten sich bei den Umfragedaten und Echtzeitindikatoren zur Konjunkturentwicklung gewisse Anzeichen dafür, dass die Talsohle bereits durchschritten war; doch im Vergleich zur Geschwindigkeit, mit der die Indikatoren in den beiden vorangegangenen Monaten abgestürzt waren, erwies sich die Verbesserung als mäßig. In ihren gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom Juni 2020 sagten die Expertinnen und Experten des Eurosystems für das zweite Quartal einen Konjunktureinbruch in noch nie dagewesenem Ausmaß vorher – wobei diese Prognose allerdings auch mit außergewöhnlich hoher Unsicherheit behaftet war. Der Preisdruck sollte der Prognose zufolge aufgrund des starken Rückgangs des realen BIP und der damit zusammenhängenden deutlichen Zunahme der wirtschaftlichen Unterauslastung verhalten bleiben. Ferner brachte die Juni-Prognose eine erhebliche Abwärtsrevision der Konjunktur- und Inflationsaussichten über den gesamten Prognosehorizont mit sich. So wurde die Inflation für das Ende des Prognosehorizonts auf 1,3 % nach unten korrigiert, nachdem in den Eurosystem-Projektionen vom Dezember 2019 noch eine Inflationsrate von 1,6 % erwartet worden war.
Der EZB-Rat stockte den Gesamtumfang des PEPP um 600 Mrd € auf insgesamt 1 350 Mrd € auf
Vor diesem Hintergrund beschloss der EZB-Rat eine Reihe weiterer geldpolitischer Maßnahmen mit dem Ziel, die Wirtschaft während ihrer schrittweisen Öffnung zu unterstützen und die mittelfristige Preisstabilität zu sichern. So wurde der Gesamtumfang des PEPP um 600 Mrd € auf 1 350 Mrd € erhöht, der Zeithorizont für Nettokäufe im Rahmen des PEPP bis mindestens Ende Juni 2021 verlängert und die Reinvestition von Tilgungsbeträgen der im Rahmen des PEPP erworbenen Wertpapiere bis mindestens Ende 2022 ausgedehnt.[15] Die Rekalibrierung des PEPP zielte auf eine weitere Lockerung des geldpolitischen Kurses ab, wodurch die günstigen Finanzierungsbedingungen für alle Sektoren und Länder gestützt und infolgedessen die Annäherung der Inflation an das Ziel des EZB-Rats auf nachhaltige Weise gewährleistet werden sollte.
Über den Sommer ging man auf Grundlage der neu vorliegenden Daten davon aus, dass die Konjunktur vor allem infolge der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen kräftig anziehen würde. Diese Erholung war allerdings asymmetrisch, d. h. im verarbeitenden Gewerbe stärker ausgeprägt als im Dienstleistungssektor, und insgesamt wuchs die Wirtschaft deutlich langsamer als vor Ausbruch der Pandemie. Die Gesamtinflation wurde nach wie vor durch die niedrigen Energiepreise und den angesichts der verhaltenen Nachfrage und der erheblichen Unterauslastung am Arbeitsmarkt schwachen Preisdruck gedämpft.
Rekalibrierung des geldpolitischen Kurses im Dezember
Nach dem starken – wenn auch partiellen und ungleichmäßig verteilten – Aufschwung im Sommer verlor die Wirtschaft des Euroraums wieder an Fahrt
Im Herbst zeichnete sich immer deutlicher ab, dass, nachdem in den Sommermonaten noch ein kräftiger, wenn auch partieller und uneinheitlicher Aufschwung verzeichnet worden war, die Erholung im Euroraum rascher als ursprünglich erwartet an Dynamik einbüßte. Der Wiederanstieg der Covid-19-Infektionen und die damit einhergehenden Eindämmungsmaßnahmen stellten das Gesundheitswesen erneut vor Herausforderungen und trübten die Wachstumsaussichten der Volkswirtschaften im Euro-Währungsgebiet und weltweit. In Anbetracht der schwachen Nachfrage und der deutlichen Unterauslastung an den Arbeits- und Gütermärkten blieb die Inflation sehr niedrig. Insgesamt deuteten die aktuellen Daten darauf hin, dass der kurzfristige Effekt der Pandemie auf die Wirtschaft stärker ausfallen und die Inflationsschwäche länger als zunächst angenommen anhalten würde. Vor diesem Hintergrund signalisierte der EZB-Rat im Oktober seine Absicht, bei der nächsten Sitzung im Dezember 2020 seine Instrumente der Lage entsprechend neu zu kalibrieren, um auf die aktuelle Situation zu reagieren und sicherzustellen, dass die Finanzierungsbedingungen günstig bleiben. Auf diese Weise sollte die wirtschaftliche Erholung unterstützt und den negativen Auswirkungen der Pandemie auf die projizierte Inflationsentwicklung entgegengewirkt werden.
Zum Zeitpunkt der EZB-Ratssitzung im Dezember 2020 deuteten die neu vorliegenden Daten und die Projektionen des Eurosystems darauf hin, dass die kurzfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie stärker ausfallen würden und die Inflationsschwäche länger anhalten würde als zuvor angenommen. Die neuerliche Eskalation der Pandemie schränkte die Wirtschaftstätigkeit im Euroraum und weltweit beträchtlich ein, sodass für das vierte Quartal 2020 erneut eine Rezession erwartet wurde. Der Prognose zufolge würde auch die Gesamtinflation länger als ursprünglich angenommen negativ bleiben. Die Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation waren rückläufig, und der Inflationsdruck sollte gemäß der Vorhersage gedämpft bleiben, was auf die schwache Nachfrage, den geringeren Lohndruck und die Aufwertung des Euro im Frühling und Sommer 2020 zurückzuführen war.
Angesichts der wirtschaftlichen Folgen des Wiederaufflammens der Pandemie nahm der EZB-Rat eine Rekalibrierung seiner geldpolitischen Instrumente vor.
Der EZB-Rat erhöhte den Gesamtumfang des PEPP um 500 Mrd € auf insgesamt 1 850 Mrd €
Er beschloss, den Gesamtumfang des PEPP um weitere 500 Mrd € auf 1 850 Mrd € zu erhöhen, den Zeithorizont für Nettokäufe im Rahmen des PEPP bis mindestens Ende März 2022 zu verlängern und die Reinvestition von Tilgungsbeträgen der im Rahmen des PEPP erworbenen Wertpapiere bei Fälligkeit bis mindestens Ende 2023 auszudehnen. Die Ankäufe würden weiterhin im gesamten Zeitverlauf flexibel je nach Marktlage und über alle Anlageklassen und Länder hinweg getätigt. Damit sollte zum einen eine Verschärfung der Finanzierungsbedingungen verhindert werden, da eine solche für die Bekämpfung der dämpfenden Wirkung der Pandemie auf den prognostizierten Inflationspfad kontraproduktiv wäre; zum anderen sollte die reibungslose Transmission der Geldpolitik unterstützt werden. Ferner kündigte der EZB-Rat an, dass der PEPP-Gesamtumfang nicht vollständig genutzt werden müsse, wenn mit Ankäufen, die diesen Gesamtumfang über den Zeithorizont der Nettoankäufe hinweg nicht voll ausschöpfen, günstige Finanzierungsbedingungen aufrechterhalten werden können. Genauso könnte der Gesamtumfang erforderlichenfalls auch aufgestockt werden, um günstige Finanzierungsbedingungen aufrechtzuerhalten und so dem Schock der Pandemie auf die Inflationsentwicklung entgegenzuwirken.
Darüber hinaus beschloss der EZB-Rat eine weitere Rekalibrierung der Bedingungen für GLRG-III-Operationen. Dementsprechend wurde der Zeitraum, in dem wesentlich günstigere Bedingungen gelten, um zwölf Monate bis Juni 2022 ausgedehnt. Die Durchführung dreier zusätzlicher Geschäfte wurde für 2021 angekündigt und der Höchstbetrag, der von Geschäftspartnern bei GLRG-III-Geschäften aufgenommen werden kann, von 50 % auf 55 % ihres Bestands an anrechenbaren Krediten erhöht.
Der EZB-Rat beschloss überdies, die im April 2020 verabschiedeten Maßnahmen zur Lockerung der Kriterien für Sicherheiten bis Juni 2022 zu verlängern, 2021 vier zusätzliche PELTROs anzubieten, sämtliche befristeten Swap- und Repo-Linien mit Notenbanken außerhalb des Euroraums sowie die Eurosystem Repo Facility for Central Banks (EUREP) bis März 2022 zu verlängern und alle regulären Kreditgeschäfte so lange wie erforderlich weiterhin als Mengentender mit Vollzuteilung zu den geltenden Bedingungen durchzuführen.
Die ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen dienten der Erhaltung der günstigen Finanzierungsbedingungen während der Pandemie
Die ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen zielten im Verbund drauf ab, die günstigen Finanzierungsbedingungen während der Pandemie aufrechtzuerhalten und dadurch die Kreditvergabe an alle Wirtschaftssektoren zu fördern, die Konjunktur zu unterstützen und mittelfristig Preisstabilität zu gewährleisten. Zugleich herrschte weiterhin große Unsicherheit, unter anderem in Bezug auf den weiteren Verlauf der Pandemie, die Verfügbarkeit von Impfstoffen und die Entwicklung des Euro-Wechselkurses. Vor diesem Hintergrund signalisierte der EZB-Rat seine Bereitschaft, alle seine Instrumente gegebenenfalls anzupassen, um sicherzustellen, dass sich die Inflation – im Einklang mit der Verpflichtung des EZB-Rats auf Symmetrie – auf nachhaltige Weise ihrem Ziel annähert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Lauf des Jahres 2020 bedeutende geldpolitische Lockerungsmaßnahmen zur Bekämpfung der negativen Auswirkungen der Pandemie umgesetzt wurden. Das umfassende Maßnahmenpaket und dessen anschließende Nachjustierungen erwiesen sich als wesentlicher Stabilisierungsfaktor für die Märkte und trugen dazu bei, die zu Jahresbeginn beobachtete Verschärfung der Finanzierungsbedingungen umzukehren. Auf diese Weise konnten die Renditen von Staatsanleihen, die die Grundlage der Finanzierungskosten für private Haushalte, Unternehmen und Banken bilden, niedrig gehalten werden (siehe Abbildung 15). Auch die Refinanzierungskosten der Banken blieben so seit Ausbruch der Pandemie sehr günstig (siehe Abbildung 16). Die Maßnahmen stellten nicht zuletzt sicher, dass die privaten Haushalte und Unternehmen von diesen guten Finanzierungsbedingungen profitierten: Die Kreditzinsen erreichten mit 1,32 % bzw. 1,46 % jeweils einen historischen Tiefstand (siehe Abbildung 17). Die 2020 umgesetzten geldpolitischen Maßnahmen sicherten also günstige Finanzierungsbedingungen zur Unterstützung der Konjunkturerholung und zur Eindämmung der negativen Auswirkungen der Pandemie auf den prognostizierten Inflationspfad, wodurch die Annäherung der Inflation an das Ziel des EZB-Rats nachhaltig gefördert wurde.
Abbildung 15
Entwicklung der BIP-gewichteten Rendite zehnjähriger Staatsanleihen im Euroraum
Abbildung 16
Fremdfinanzierungskosten der Banken (gewichtet)
Abbildung 17
Bankkreditzinsen für nichtfinanzielle Unternehmen und private Haushalte (gewichtet)
2.2 Die Entwicklung der Bilanz des Eurosystems in einer herausfordernden Zeit
Seit der globalen Finanzkrise 2007-2008 haben sich der Umfang und die Zusammensetzung der Bilanz des Eurosystems als unmittelbare Folge der diversen geldpolitischen Standard- und Sondermaßnahmen des Eurosystems kontinuierlich verändert. So erweiterte das Eurosystem im Rahmen der Sondermaßnahmen sein Liquiditätsangebot um Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit von bis zu vier Jahren und kaufte über das APP Wertpapiere privater und öffentlich-rechtlicher Emittenten. Als Reaktion auf den Ausbruch von Covid-19 setzte die EZB 2020 zusätzlich zu den bereits bestehenden Sondermaßnahmen ein umfangreiches Paket ergänzender geldpolitischer Maßnahmen mit erheblichen Auswirkungen auf die Bilanz des Eurosystems um. Im März erweiterte die EZB für einen befristeten Zeitraum den Umfang des APP und richtete das PEPP ein; beide Programme führten zu einem Anstieg der Bestände an direkt angekauften Vermögenswerten. Zusätzlich dazu wurden zwischen März und April 2020 die GLRG-III-Bedingungen (zweimal) gelockert und der Sicherheitenrahmen sowie die Risikokontrollmaßnahmen geändert. Zusammengenommen führten diese ergänzenden Maßnahmen zu einer beträchtlichen Ausweitung der Intermediation durch das Eurosystem.[16] Die Bilanz des Eurosystems wuchs aufgrund dieser Sondermaßnahmen, im Zuge derer dem Bankensystem zusätzliche Liquidität in Höhe von 2,2 Billionen € zugeführt wurde, im Jahr 2020 insgesamt weiter an. Ende des Jahres hatte sie einen historischen Höchststand von 7 Billionen € erreicht, was einem Anstieg von 49 % (2,3 Billionen €) gegenüber dem Vorjahr gleichkam.
Mit der Geldpolitik in Zusammenhang stehende Wertpapierbestände beliefen sich Ende 2020 auf 5,5 Billionen € bzw. 79 % der Bilanzsumme des Eurosystems (nach 70 % Ende 2019). Dabei machten Forderungen an Kreditinstitute im Euroraum 26 % der Bilanzsumme aus (nach 13 % Ende 2019) und zu geldpolitischen Zwecken gehaltene Wertpapiere rund 53 %, verglichen mit 56 % Ende 2019 (siehe Abbildung 18). Die sonstigen Finanzanlagen verteilten sich hauptsächlich auf Fremdwährungs- und Goldbestände des Eurosystems sowie auf nicht geldpolitisch begründete Anlageportfolios in Euro.
Auf der Passivseite erhöhten sich die Reserveguthaben der Geschäftspartner des Eurosystems und die Inanspruchnahme der Einlagefazilität auf 3,5 Billionen € (verglichen mit 2 Billionen € zum Jahresende 2019). Dies entsprach Ende 2020 einem Anteil von 50 % aller Verbindlichkeiten, nachdem dieser Wert ein Jahr zuvor 39 % betragen hatte. Der Banknotenumlauf entwickelte sich aufgrund eines starken Anstiegs im März 2020 dynamischer als der historische Wachstumstrend und lag Ende 2020 bei einem Anteil von 21 % der Verbindlichkeiten, verglichen mit einem Vorjahresendstand von 28 %. Die sonstigen Passiva, z. B. das Kapital der EZB und die Neubewertungskonten, erhöhten sich auf 2,1 Billionen € (nach 1,6 Billionen € Ende 2019) und machten 30 % der Passivseite aus (nach 34 % Ende 2019) (siehe Abbildung 18). Dieser Anstieg ergab sich vor allem aus einer Ausweitung der Einlagen öffentlicher Haushalte von 0,2 Billionen € auf 0,5 Billionen €, die somit für 25 % der sonstigen Passiva verantwortlich zeichneten (verglichen mit 11 % Ende 2019).
Abbildung 18
Entwicklung der konsolidierten Bilanz des Eurosystems
Eckdaten zum APP- und PEPP-Portfolio: Laufzeit, Anlagestruktur, Länderanteile
Das APP besteht aus vier aktiven Teilprogrammen: dem dritten Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP3), dem Programm zum Ankauf von Asset-Backed Securities (ABSPP), dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP) und dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP). Das PEPP wurde 2020 eingerichtet; alle für das APP zugelassenen Vermögenskategorien können auch im Rahmen des PEPP angekauft werden. Für von der Hellenischen Republik begebene Wertpapiere wurde eine Ausnahmeregelung bezüglich der Zulassungskriterien bei Ankäufen im Rahmen des PEPP erlassen. Außerdem wurde im März 2020 die Bandbreite ankauffähiger Commercial Paper von Nichtfinanzunternehmen im Rahmen des CSPP ausgeweitet, sodass auch Schuldtitel mit einer Restlaufzeit von mindestens 28 Tagen angekauft werden können.
APP-Bestände lagen Ende 2020 bei 2,9 Billionen €
Ende 2020 beliefen sich die APP-Bestände auf 2,9 Billionen € (zu fortgeführten Anschaffungskosten). Davon entfielen zum Jahresende 1 % (29 Mrd €) auf das ABSPP, 10 % (288 Mrd €) auf das CBPP3 und 9 % (250 Mrd €) auf das CSPP. Für den größten Zuwachs beim Erwerb von Wertpapieren des privaten Sektors im Rahmen des APP zeichnete im Jahr 2020 das CSPP mit einem Kaufvolumen in Höhe von netto 66 Mrd € verantwortlich. Die CSPP-Ankäufe basieren auf einer Benchmark, die die Marktkapitalisierung aller ankauffähigen ausstehenden Unternehmensanleihen widerspiegelt.
PSPP-Anteil am gesamten APP-Portfolio betrug 80 %
Ende 2020 machten die PSPP-Bestände mit 2,3 Billionen € insgesamt 80 % des APP-Portfolios aus (Ende 2019: 82 %). Die Länderaufteilung der Ankäufe im Rahmen des PSPP war so gestaltet, dass der Gesamtbestand den Kapitalschlüssel der EZB widerspiegelt. Einige nationale Zentralbanken (NZBen) erwarben außerdem Wertpapiere supranationaler Institutionen der EU. Die gewichtete durchschnittliche Restlaufzeit der PSPP-Bestände lag Ende 2020 bei 7,3 Jahren, also etwas über dem Jahresendstand von 2019 (7,12 Jahre), wobei dieser Wert innerhalb des Euroraums etwas variierte.[17]
PEPP-Bestände lagen Ende 2020 bei 753,7 Mrd €
Ende 2020 beliefen sich die PEPP-Bestände auf 753,7 Mrd € (zu fortgeführten Anschaffungskosten). Davon entfielen zum Jahresende weniger als 1 % (3,1 Mrd €) auf gedeckte Schuldverschreibungen, 6 % (43,2 Mrd €) auf Unternehmensanleihen und 94 % (707,4 Mrd €) auf Wertpapiere des öffentlichen Sektors.
Für die Länderanteile bei den Ankäufen von Wertpapieren des öffentlichen Sektors im Rahmen des PEPP gilt der Anteil der NZBen am Kapitalschlüssel der EZB als Richtwert für den Gesamtbestand. Gleichzeitig wurden die Ankäufe flexibel gehandhabt, d. h. mit gewissen Schwankungen im Zeitverlauf sowie über Anlageklassen und Länder hinweg. Die gewichtete Durchschnittslaufzeit der Bestände an Wertpapieren des öffentlichen Sektors lag im Rahmen des PEPP Ende 2020 bei 7,0 Jahren, wobei dieser Wert innerhalb des Euroraums etwas variierte.
Das Eurosystem legte die Tilgungsbeträge der in den APP- und PEPP-Portfolios enthaltenen Wertpapiere bei Fälligkeit wieder an. So wurden 2020 Tilgungsbeträge in Höhe von 80,2 Mrd € aus dem Ankauf von Wertpapieren des privaten Sektors und in Höhe von 229,4 Mrd € aus Ankäufen von Wertpapieren des öffentlichen Sektors reinvestiert. Im Zuge des PSPP, des CSPP und des CBPP3 erworbene Wertpapiere wurden wie bisher für Wertpapierleihgeschäfte[18] zur Verbesserung der Marktliquidität am Anleihe- und Repomarkt zur Verfügung gestellt.[19] Auch PEPP-Bestände können für Wertpapierleihgeschäfte genutzt werden. Hier gelten dieselben Bedingungen wie für Wertpapierleihgeschäfte mit im Rahmen des APP erworbenen Titeln. Im November 2020 nahm das Eurosystem eine Anpassung der Preisgestaltung für seine Wertpapierleihfazilitäten vor. Damit wurden den Geschäftspartnern günstigere Bedingungen eingeräumt, und gleichzeitig blieb die Backstop-Funktion der Wertpapierleihe gewahrt.
Entwicklung der Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems
Das Volumen der Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems erhöhte sich im Jahresverlauf 2020 um 1,2 Billionen € auf 1,8 Billionen €. Zurückzuführen ist dieser Anstieg in erster Linie auf die 1,75 Billionen €, die im Zuge der GLRG-III-Serie zugeteilt wurden; außerdem wurden im Rahmen der PELTROs 26,6 Mrd € zugeteilt. Freiwillige Rückzahlungen im Umfang von 192 Mrd € und fällige Geschäfte in Höhe von 303 Mrd € im Rahmen der GLRG-II-Serie reduzierten den Anstieg bei den ausstehenden Geschäften nur zu einem geringen Teil. Im Zuge der GLRG-III-Geschäfte im Juni, September und Dezember 2020 bekamen die Banken die Möglichkeit, ausstehende frühere GLRGs zu verlängern. Die gewichtete Durchschnittsrestlaufzeit der laufenden Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems erhöhte sich von rund 1,2 Jahren Ende 2019 auf rund 2,4 Jahre Ende 2020.
Lockerung der Kriterien für Sicherheiten
Die von der EZB im April 2020 angekündigte und im Dezember 2020 verlängerte temporäre Lockerung der Kriterien für Sicherheiten stellte ein Kernelement der geldpolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemiefolgen dar. Zentraler Bestandteil dieser Lockerung war die vorübergehende Ausweitung der Bandbreite an Kreditforderungen, die als notenbankfähige Sicherheiten zugelassen werden, vor allem im Rahmen zusätzlicher Kreditforderungen (ACC). So wurde es den NZBen für einen befristeten Zeitraum ermöglicht, u. a. Kredite an kleine und mittlere Unternehmen oder Selbständige, die mit im Zuge der Covid-19-Hilfsmaßnahmen gewährten staatlichen Garantien ausgestattet waren, als Sicherheiten zu akzeptieren.
Zur Vermeidung potenzieller prozyklischer Entwicklungen aufgrund von Ratingherabstufungen beschloss der EZB-Rat ferner, die Notenbankfähigkeit marktfähiger Vermögenswerte und ihrer Emittenten, die zum 7. April 2020 die Mindestbonitätsanforderungen erfüllten, vorübergehend aufrechtzuerhalten. Konkret bedeutet dies, dass das Eurosystem marktfähige Vermögenswerte, die zum Stichtag für Liquiditätsgeschäfte zugelassen waren, weiterhin akzeptiert, vorausgesetzt, das Rating bleibt über einem bestimmten Bonitätsschwellenwert und alle anderen Zulassungskriterien werden weiterhin erfüllt.
Die EZB beschloss außerdem für alle zulässigen Sicherheitenkategorien eine temporäre allgemeine Verringerung der Bewertungsabschläge um pauschal 20 %, wodurch vorübergehend ein höheres Bilanzrisiko für das Eurosystem toleriert wurde. Zusätzlich dazu beschloss der EZB-Rat, den maximal zulässigen Anteil unbesicherter Bankschuldtitel im Sicherheitenpool von 2,5 % auf 10 % anzuheben, und der nicht einheitliche Mindestbetrag für heimische Kreditforderungen wurde von 25 000 € auf 0 € gesenkt, um die Nutzung von Krediten an kleine Unternehmen als Sicherheiten zu ermöglichen. Eine weitere Maßnahme im Zuge der geldpolitischen Reaktion auf den pandemiebedingten wirtschaftlichen Schock war die Gewährung einer Ausnahmeregelung zur Mindestbonitätsanforderung für von der Hellenischen Republik begebene marktfähige Schuldtitel.
Das Volumen marktfähiger, als Sicherheiten zugelassener Vermögenswerte erhöhte sich im Lauf des Berichtsjahrs um 1 493 Mrd € auf 15 657 Mrd € (siehe Abbildung 19). Wertpapiere der Zentralstaaten bildeten wie schon zuvor die größte Anlagekategorie (8 385 Mrd €). Ferner zählten unbesicherte Bankanleihen (im Umfang von 1 667 Mrd €), gedeckte Schuldverschreibungen (1 640 Mrd €) und Unternehmensanleihen (1 872 Mrd €) zu den notenbankfähigen Sicherheiten. Einen jeweils relativ kleinen Anteil stellten Anleihen regionaler Gebietskörperschaften (552 Mrd €), Asset-Backed Securities (584 Mrd €) und andere marktfähige Sicherheiten (958 Mrd €).
Abbildung 19
Entwicklung notenbankfähiger Sicherheiten
Das Volumen der eingesetzten Sicherheiten erhöhte sich erheblich, und zwar von 1 543 Mrd € auf 2 595 Mrd € (siehe Abbildung 20). Dieser Anstieg ist vor allem den Kreditforderungen (einschließlich zusätzlicher Kreditforderungen) zuzuschreiben, deren Nutzung als Sicherheiten sich mehr als verdoppelte (von 378 Mrd € auf 825 Mrd €). Gedeckte Bankanleihen stellten bei den genutzten Sicherheiten die zweitgrößte Vermögensklasse (629 Mrd €) der eingesetzten Sicherheiten dar. Auch Anleihen von Zentralstaaten (383 Mrd €) und Asset-Backed Securities (387 Mrd €) wurden in hohem Maß als Sicherheiten mobilisiert. Weniger oft eingesetzt wurden hingegen unbesicherte Bankanleihen (145 Mrd €), Anleihen regionaler Gebietskörperschaften (90 Mrd €) und Unternehmensanleihen (78 Mrd €).
Abbildung 20
Entwicklung eingesetzter Sicherheiten
2.3 Begrenzung der Finanzrisiken aus PEPP und APP durch geeignete Maßnahmen
APP und PEPP sind komplementäre Instrumente mit unterschiedlichen Zielen
Die im Rahmen des APP getätigten Nettoankäufe von Vermögenswerten zielen in erster Linie darauf ab, eine deutliche Annäherung der Inflation an das mittelfristige Ziel des EZB-Rats zu fördern. Als Ergänzung zum APP wurde das PEPP geschaffen, das den gravierenden aus der Covid-19-Pandemie erwachsenden Risiken für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und den wirtschaftlichen Ausblick für den Euroraum entgegenwirken soll.
Risikoeffizienz als zentrales Element der Risikosteuerung im Eurosystem
Der Einsatz des geldpolitischen Instrumentariums, also auch der direkte Ankauf von Vermögenswerten, birgt naturgemäß Finanzrisiken, die das Eurosystem entsprechend steuert und kontrolliert. Lassen sich die geldpolitischen Ziele auf unterschiedliche Weise erreichen, so ist diejenige Umsetzung zu wählen, die sowohl in operativer als auch in risikotechnischer Hinsicht effizient ist. Damit ist der Zweck der Risikosteuerung im Eurosystem definiert: Es gilt, die geldpolitischen Ziele mit möglichst geringem Risiko für das Eurosystem zu erfüllen – also für Risikoeffizienz zu sorgen.[20]
Direkte Wertpapierkäufe erfordern spezielle Risikokontrollmaßnahmen
Die direkten Wertpapierkäufe erfordern spezielle Kontrollmaßnahmen zur Steuerung der Finanzrisiken. Diese Maßnahmen richten sich nach den geldpolitischen Zielen bzw. den Eigenschaften und Risikoprofilen des betreffenden Anlagetyps. Jeder Steuerungsrahmen beinhaltet Zulassungskriterien, Verfahren zur Bonitätsbeurteilung und Due-Diligence-Prüfungen, Preisvorgaben, Benchmarks und Limite. Die Vorgaben für das APP und das PEPP beziehen sich auf den Erwerb weiterer Wertpapiere, die Wiederanlage der Tilgungsbeträge aus fällig gewordenen Beständen und das Portfolio insgesamt, solange es in der Bilanz des Eurosystems ausgewiesen wird.
Die Risikokontrolle dient nicht nur dazu, die Finanzrisiken möglichst gering zu halten, sondern trägt auch zur erfolgreichen Umsetzung der geldpolitischen Ziele bei, indem die Ankäufe im Sinne einer differenzierten marktneutralen Anlagestrategie getätigt werden, soweit dies im Rahmen der jeweiligen Zielvorgabe möglich ist. Darüber hinaus sind die Kontrollmaßnahmen so ausgestaltet, dass auch nichtfinanzielle Risiken, so etwa rechtliche und operationelle Risiken sowie Reputationsrisiken, einbezogen werden.
Im Folgenden werden die aktuellen Kontrollrahmen für die aus dem APP und dem PEPP erwachsenden Finanzrisiken dargestellt.[21] Tabelle 1 bietet einen Überblick über die wesentlichen Elemente der jeweils anzuwendenden Rahmenwerke.
Tabelle 1
Eckpunkte der Risikokontrollmaßnahmen im Rahmen des APP und PEPP
Zulassungskriterien für direkte Wertpapierkäufe
Für alle Anlagekategorien gelten bestimmte Zulassungskriterien
Für direkte Wertpapierkäufe kommen grundsätzlich nur marktfähige Wertpapiere infrage, die zur Besicherung von Kreditgeschäften des Eurosystems zugelassen sind. Die Kriterien für eine solche Zulassung zur Besicherung von Eurosystem-Kreditgeschäften wurden im geldpolitischen Handlungsrahmen festgelegt. Notenbankfähige Sicherheiten müssen u. a. hohe Bonitätsanforderungen erfüllen und mindestens ein Kreditrating[22] einer zugelassenen externen Ratingagentur aufweisen, das gemäß dem Rahmenwerk für Bonitätsbeurteilungen im Eurosystem mindestens der Bonitätsstufe 3 laut harmonisierter Ratingskala des Eurosystems entspricht. Bei Ankäufen im Rahmen des PEPP und bei den im Zuge der Covid-19-Pandemie gelockerten Sicherheitenstandards wurde diese Anforderung für von der Hellenischen Republik begebene marktfähige Schuldverschreibungen vorübergehend ausgesetzt. Außerdem müssen notenbankfähige Sicherheiten auf Euro lauten, und ihre Emission und das Settlement müssen im Euroraum erfolgen.
Zusätzlich zu den genannten Zulassungskriterien sind weitere programmspezifische Kriterien zu erfüllen. Für Ankäufe im Rahmen des PSPP, des CSPP und des PEPP gelten beispielsweise Mindest- und Maximallaufzeiten. Ferner dürfen im Rahmen des CSPP keine Wertpapiere angekauft werden, die von Kreditinstituten oder von Emittenten, deren Konzernmutter ein Kreditinstitut ist, begeben wurden. Im Rahmen des CSPP, CBPP3 und ABSPP sind wiederum Wertpapiere vom Ankauf ausgeschlossen, die von Abwicklungsgesellschaften oder Zweckgesellschaften für die Vermögensverwaltung begeben oder originiert wurden. Bei CBPP3-Ankäufen müssen die Auflagen für die Zulassung von Eigenemissionen der Kreditinstitute zur Besicherung von Kreditgeschäften des Eurosystems erfüllt werden, d. h., sie können vom emittierenden Kreditinstitut als Sicherheit verwendet werden.[23] Im Fall von Asset-Backed Securities müssen die jeweiligen Forderungsschuldner ihren Sitz überwiegend im Euroraum haben.
Bonitätsbeurteilung und Due-Diligence-Prüfung
Fortlaufende Bonitätsbeurteilungen und Due-Diligence-Prüfungen
Im Rahmen der Programme zum Ankauf von Wertpapieren des privaten Sektors prüft das Eurosystem infrage kommende Wertpapiere laufend auf ihre Konformität mit den entsprechenden Bestimmungen zur Bonität und Due Diligence. Dazu werden bestimmte Risikoindikatoren herangezogen. Die jeweiligen Beurteilungen und Verfahren richten sich nach dem Proportionalitätsprinzip, d. h., riskantere Anlagen werden eingehenderen Analysen unterzogen. Bei Bedarf werden weitere risikosteuernde Maßnahmen hinzugezogen, die dann ebenfalls dem Proportionalitätsprinzip folgen. Hierzu gehören insbesondere die Festlegung von Ankaufobergrenzen oder das Aussetzen von Ankäufen bzw. im Extremfall auch die Veräußerung von Anlagen, was jedoch eine Einzelfallbeurteilung durch den EZB-Rat voraussetzt.
Preisvorgaben
Preisvorgaben garantieren Investitionen zu marktkonformen Preisen
Mit Preisvorgaben im Rahmen des APP und PEPP wird sichergestellt, dass die Ankäufe zu Marktpreisen erfolgen, damit Marktverzerrungen möglichst vermieden werden und eine hohe Risikoeffizienz erzielt wird. Entscheidungsgrundlage im Rahmen dieser Vorgaben sind jeweils die verfügbaren Marktpreise, die Preisqualität und der beizulegende Zeitwert. Außerdem wird im Nachhinein geprüft, ob die Transaktionspreise den Marktpreisen zum Transaktionszeitpunkt entsprachen.
Der Erwerb zulässiger Schuldverschreibungen mit negativer Rendite bis zur Fälligkeit ist bei allen Ankaufprogrammen möglich. Dies gilt im erforderlichen Umfang auch für Schuldverschreibungen, deren Rendite bis zur Fälligkeit unter dem Zinssatz für die Einlagefazilität liegt.
Benchmarks
Diversifizierung dank Benchmarks
Benchmarks werden verwendet, um eine entsprechende Portfoliodiversifizierung sicherzustellen und zur Risikobegrenzung beizutragen. Die Benchmarks für den Ankauf von Wertpapieren des privaten Sektors richten sich nach der Marktkapitalisierung des Pools an ankauffähigen Wertpapieren, d. h. nach dem nominalen Umlaufwert jener Wertpapiere, die auf Basis von Risikoüberlegungen infrage kämen. Bei Käufen von Wertpapieren des öffentlichen Sektors im Rahmen des PSPP und des PEPP ist der Kapitalschlüssel der EZB für die Aufteilung der Käufe auf die einzelnen Länder gemessen am Gesamtbestand maßgeblich. Gleichzeitig werden PEPP-Ankäufe flexibel gehandhabt – im Sinne eines Variierens der Ankäufe im Zeitverlauf, über Anlageklassen und Länder hinweg.
Limite
Obergrenzen für den Ankauf je Wertpapier und Emittent zur effektiven Vermeidung von Risikokonzentrationen
Für die Ankäufe im Rahmen des APP wurde auch ein Limitwesen aufgebaut. Die Festsetzung der Ankaufobergrenzen je Emission und je Emittent[24] erfolgt nach strategischen, operationellen, gesetzlichen sowie risikotechnischen Überlegungen. Die Limite werden auf die jeweilige Anlageklasse abgestimmt, wobei zwischen Wertpapieren des öffentlichen und des privaten Sektors unterschieden wird. Mit der Ankündigung des PEPP stellte der EZB-Rat klar, dass er dort, wo das Eurosystem den Handlungsspielraum zur Erfüllung seines Mandats selbst begrenzt hat, notwendige Anpassungen in Erwägung ziehen werde, um risikoadäquat handeln zu können.
Im Rahmen der PSPP-Ankäufe sollen die Obergrenzen je Emission und Emittent die Funktionsfähigkeit der Märkte und eine adäquate Preisfindung sicherstellen, Verhältnismäßigkeit gewährleisten, die Risikokonzentration begrenzen und dafür sorgen, dass das Eurosystem kein dominanter Gläubiger am Staatsanleihemarkt des Euroraums wird. In diesem Sinne wurde die Obergrenze je Emission für ankauffähige supranationale Anleihen auf 50 % des jeweiligen Umlaufvolumens festgelegt. Bei allen anderen zum PSPP zugelassenen Anleihen liegt die Obergrenze je Emission bei 33 % des jeweiligen Umlaufvolumens. Dies gilt allerdings nur, wenn das Eurosystem keine Sperrminorität im Sinne vertraglicher Umschuldungsklauseln erreicht, was auf Einzelfallbasis zu überprüfen ist. In diesem Fall kommt eine Obergrenze von 25 % je Emission zum Tragen. Die Obergrenze pro Emittent beläuft sich im Fall von supranationalen Institutionen auf 50 % des Umlaufvolumens der ankauffähigen Wertpapiere der jeweiligen Institution, im Fall der anderen zugelassenen Emittenten auf 33 %.
Im Rahmen des ABSPP, des CBPP3 und des CSPP dürfen die Bestände des Eurosystems pro Emission 70 % nicht übersteigen. Beim CSPP sind in besonderen Fällen niedrigere Obergrenzen je Emission anzuwenden, etwa im Fall von Papieren, die von öffentlich-rechtlichen Emittenten begeben wurden. Es gelten dann analog die entsprechenden PSPP-Bestimmungen. Neben den Obergrenzen je Emission gelten für das CBPP3 und das CSPP auch Obergrenzen je Emittent. Diese Grenzwerte werden beim CSPP auf Basis einer Benchmark-Allokation mit Bezug auf die Marktkapitalisierung der Emittentengruppe definiert, um eine diversifizierte Anlagestruktur zu gewährleisten. Es können auch niedrigere Höchstgrenzen festgesetzt werden, wenn die Bonitätsbeurteilung und die Due-Diligence-Prüfung (wie oben dargestellt) dies nahelegen.
Kasten 2
Die Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB
Ausgangspunkt einer geldpolitischen Strategie sind die geldpolitischen Ziele, die von der Währungsbehörde festgelegt werden bzw. mit deren Erfüllung sie beauftragt ist. Die Strategie bestimmt, wie diese Ziele erreicht werden sollen, und listet entsprechende geldpolitische Instrumente, Indikatoren und Zwischenziele auf. Eine geldpolitische Strategie hat zwei grundlegende Funktionen: Zum einen bietet sie der Politik einen kohärenten Analyserahmen, der tatsächliche oder erwartete wirtschaftliche Entwicklungen mit politischen Entscheidungen verknüpft. Zum anderen ist die Strategie ein Ankerpunkt für die Kommunikation mit der Bevölkerung. Geldpolitische Strategien haben sich – über einen längeren Zeitraum betrachtet – stets allmählich und im Gleichklang mit neuen theoretischen und empirischen Erkenntnissen und Erfahrungen weiterentwickelt, dabei aber auch den jeweils vorherrschenden geldpolitischen Herausforderungen Rechnung getragen.
Die Eckpfeiler der gegenwärtigen geldpolitischen Strategie der EZB basieren auf der ersten, 1998 verlautbarten preisstabilitätsorientierten Strategie der EZB, die im Zuge der letzten Überprüfung 2003 optimiert wurde.[25] Diese Strategie ist darauf ausgerichtet, im Euroraum Preisstabilität zu gewährleisten und damit das dem ESZB durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft übertragene Mandat zu erfüllen. Preisstabilität als vorrangiges Ziel einer unabhängigen Zentralbank zu formulieren, wurzelt in der Überzeugung, dass eine Geldpolitik, der es gelingt, glaubwürdig und dauerhaft für stabile Preise zu sorgen, insgesamt den besten Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung und des Lebensstandards leisten kann.
Seit der letzten Überprüfung der geldpolitischen Strategie durch die EZB im Jahr 2003 hat sich in den Volkswirtschaften im Euroraum und weltweit ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Die vergangenen zehn Jahre waren von einem nachhaltigen Rückgang der Inflation und der Gleichgewichtszinsen gekennzeichnet. Dieser war Ausdruck der langfristigen und nach wie vor bestehenden Einflüsse der Globalisierung, Digitalisierung und Bevölkerungsalterung, die durch die Nachwirkungen der Finanzkrise noch verstärkt wurden. Das extrem niedrige Zinsniveau macht es den Zentralbanken schwerer, den geldpolitischen Kurs zu lockern, solange die Inflation unter dem angepeilten Zielwert liegt und das Wirtschaftswachstum schwach ist. Mit der Einführung negativer Leitzinsen näherten sich die EZB und andere Zentralbanken einer effektiven Untergrenze dieser Zinssätze, d. h. einer Schwelle, jenseits derer weitere Zinssenkungen ihre Fähigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln, verlieren. In Anbetracht dieser Situation erweiterten viele Zentralbanken, so auch die EZB, ihr geldpolitisches Instrumentarium, indem sie z. B. Wertpapierankaufprogramme einrichteten und dem Bankensektor neue Arten der langfristigen Refinanzierung anboten. Zusätzlich zu diesen Herausforderungen wurde in den letzten Jahren auch noch deutlich, dass der Klimawandel eine ernste globale Bedrohung für das wirtschaftliche und gesellschaftliche Wohlergehen der Menschheit darstellt, deren mögliche Auswirkungen für die Geldpolitik jedoch noch geklärt werden müssen.
Vor diesem Hintergrund brachte die EZB im Januar 2020 eine Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie auf den Weg. Ziel der Überprüfung ist es, die Treiber all dieser strukturellen Entwicklungen gründlich zu analysieren und zu beleuchten, ob und wie die EZB darauf reagieren und ihre geldpolitische Strategie anpassen sollte, damit diese ihren Zweck auch weiterhin erfüllt. Das dem ESZB durch den Vertrag übertragene Mandat steht dabei außer Frage. Durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat sich der Zeitplan der Überprüfung etwas nach hinten verschoben, sodass sie nun im zweiten Halbjahr 2021 abgeschlossen werden soll.
Umfang und Ablauf der Überprüfung
Die Strategieüberprüfung deckt im Prinzip sämtliche relevanten Aspekte der Geldpolitik der EZB im Rahmen ihres Mandats ab. Die Themen können nach dem vorrangigen Ziel der EZB und anderen relevanten Überlegungen gruppiert werden. In Bezug auf das vorrangige Ziel sind folgende Aspekte zu untersuchen und erörtern: Wie lässt sich die Inflation am besten messen? Welche Faktoren haben einen wesentlichen Einfluss auf Inflationsentwicklungen? Wie wirkungsvoll und effizient steuern die geldpolitischen Instrumente der EZB – sowohl einzeln betrachtet als auch in Kombination – die Inflation? Wie soll das Preisstabilitätsziel quantifiziert werden? Wie soll über Geldpolitik am besten kommuniziert werden? Im Zuge der anderen relevanten Überlegungen geht es vor allem darum herauszufinden, bis zu welchem Grad und unter welchen Bedingungen die Geldpolitik in ihrem Streben nach Preisstabilität auch Entwicklungen in der Realwirtschaft (d. h. den Konjunkturverlauf und die Beschäftigungssituation) sowie Risiken für die Finanzstabilität und die ökologische Nachhaltigkeit (Stichwort: Klimawandel) berücksichtigen kann. In diesem Zusammenhang wird bei der Strategieüberprüfung auch die Wechselwirkung der Geldpolitik mit der Fiskal- und der makroprudenziellen Politik untersucht. Zur Vertiefung dieser Schlüsselthemen hat die EZB 13 Workstreams eingerichtet (siehe Schaubild A). Im Rahmen dieser Workstreams arbeiten Expertinnen und Experten der EZB und der nationalen Zentralbanken eng zusammen. Ziel ist es, die Analysen zur Unterstützung der Beratungen im EZB-Rat vorzubereiten.
Schaubild A
EZB-Strategieüberprüfung – Workstreams
Zuhören als Schlüsselelement des Überprüfungsprozesses
Der EZB ist es wichtig, dass ihre geldpolitische Strategie möglichst gut verstanden und breit unterstützt wird. Aus diesem Grund wurden Menschen aus den verschiedensten Tätigkeits- und Interessenbereichen eingeladen, Input zum Überprüfungsprozess zu liefern. Im Rahmen verschiedener, von der EZB organisierter Dialogformate hatten sie die Möglichkeit, sich zu äußern. Darüber hinaus war die Strategieüberprüfung bei regulären und Ad-hoc-Treffen mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments ein viel diskutiertes Thema, genauso wie bei speziellen Events im universitären Bereich und auch bei zahlreichen Konferenzen und Seminaren mit Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft und Märkte sowie der Zentralbanken und Medien, wie etwa dem ECB Forum on Central Banking.
Die breitere Bevölkerung konnte über das Online-Portal „Die EZB hört zu“ ihre Ansichten kundtun. Über dieses Portal gingen im Lauf von acht Monaten die Beiträge von rund 4 000 Bürgerinnen und Bürgern ein. Diese wurden in einem Bericht zusammengefasst und dem EZB-Rat zur Berücksichtigung vorgelegt. Zu den angesprochenen Themen zählten die Preisstabilität und ihre Bedeutung im täglichen Leben, eine breite Palette wirtschaftspolitischer Fragen – von Ungleichheit, Sparen, Renten, Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen bis hin zu den wirtschaftlichen Aussichten – und der Klimawandel.
Die Strategieüberprüfung brachte auch neue Impulse für eine weitere Intensivierung der Beziehung der EZB mit Nichtregierungsorganisationen. In diesem Sinne luden am 21. Oktober 2020 Präsidentin Christine Lagarde und Direktoriumsmitglied Philip R. Lane zur ersten Veranstaltung unter dem Motto „Die EZB hört zu“. An diesem virtuellen Event nahmen 22 Vertreterinnen und Vertreter von 18 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus neun verschiedenen Tätigkeitsbereichen teil. Mehrere Organisationen merkten dabei an, die gegenwärtige Krise biete die Gelegenheit, die geldpolitische Strategie der EZB zu reformieren und dabei die Anliegen der breiten Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft zu berücksichtigen. Eine Zusammenfassung des Inputs vonseiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen ist auf der Website der EZB abrufbar. Die vorgebrachten Ideen und Anliegen fließen genauso wie die Beiträge zu anderen Listening-Events in die laufenden Beratungen des EZB-Rats ein.
Die EZB und die nationalen Zentralbanken werden während des gesamten Strategieüberprüfungsprozesses – aber auch danach – weitere Listening-Events abhalten. Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen und so ein breites Verständnis der neuen geldpolitischen Strategie zu gewährleisten.
3 Der europäische Finanzsektor: erhöhte Risiken durch die Pandemie
Die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie hatte 2020 großen Einfluss auf das Finanzstabilitätsumfeld. Die Pandemie stellte nicht nur eine Gesundheitskrise dar, sondern führte auch zu einem drastischen Anstieg der Finanzstabilitätsrisiken an den Märkten und in sämtlichen Sektoren. Zentralbanken, Regierungen und andere öffentliche Stellen verabschiedeten umfangreiche Hilfsmaßnahmen, die dazu beitrugen, die unmittelbaren Risiken für die Finanzstabilität einzugrenzen. Die mittelfristigen Anfälligkeiten blieben allerdings weiter erhöht. Anlass zur Sorge gaben diesbezüglich vor allem die steigende Anfälligkeit gegenüber Vermögenspreiskorrekturen, zunehmende Probleme von Unternehmen, privaten Haushalten und Staaten, dem Schuldendienst nachzukommen, eine weitere Verschlechterung der Ertragslage von Banken sowie Kredit- und Liquiditätsrisiken für Nichtbanken. In diesem Umfeld leitete die EZB Maßnahmen zur Abfederung der pandemiebedingten finanziellen Schocks ein. Die makroprudenziellen Maßnahmen waren vornehmlich darauf ausgerichtet, die Kreditvergabe an die Wirtschaft sicherzustellen. Mit den mikroprudenziellen Maßnahmen verfolgte die EZB-Bankenaufsicht in erster Linie das Ziel, die Auswirkungen der Krise abzumildern und die Widerstandsfähigkeit des europäischen Bankensektors zu fördern. Darüber hinaus leistete die EZB auch im Berichtsjahr wieder einen Beitrag zu strukturellen Themen, etwa zur Vollendung der Kapitalmarktunion und zu den wachsenden Herausforderungen, die sich aus klimabedingten Risiken für das Finanzsystem im Euroraum ergeben können.
3.1 Finanzstabilitätslage im Jahr 2020
Herausfordernde Finanzstabilitätslage für Banken und Nichtbanken
Die Covid-19-Pandemie hat bestehende, von der EZB bereits in früheren Jahren ausgemachte Schwachstellen in Bezug auf die Finanzstabilität verstärkt. Den größten Einfluss auf die Finanzstabilitätsrisiken hatten 2020 die Pandemie, die Unsicherheit über ihren weiteren Verlauf sowie ihre Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Aussichten und auf die Verschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten. Die wirtschaftlichen Folgen der Krise machten sich im Eurogebiet sehr stark bemerkbar, wobei sich das Wachstum der Wertschöpfung in den einzelnen Ländern und Sektoren uneinheitlich entwickelte. Besonders ausgeprägt war dabei die Ausweitung der Verschuldung von Unternehmen und Staaten insbesondere in Ländern mit bereits hohen Schuldenständen. Eine ungleichmäßige Erholung in den einzelnen Ländern und Sektoren brachte vermehrte Risiken einer Fragmentierung mit sich. Auch die Banken waren mit höheren Risiken konfrontiert, die sich aus der Erwartung einer Verschlechterung der Kreditqualität infolge des konjunkturellen Abschwungs ergaben. Außerhalb des Bankensektors verzeichneten Investmentfonds (einschließlich Geldmarktfonds) im März 2020 Kapitalabflüsse in einer Größenordnung, wie sie zuletzt während der globalen Finanzkrise beobachtet worden waren, wodurch es zu einer Verschärfung der Marktspannungen kam. Da Fonds in den Vorjahren durch das Niedrigzinsumfeld vermehrt auf risikoreichere und illiquidere Vermögenswerte gesetzt hatten, zeigten sie sich zunehmend anfällig gegenüber großvolumigen Mittelabflüssen. Auch die Versicherungsgesellschaften versuchten, unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen – niedrige Zinsen, pandemiebedingter Anstieg der Ansprüche – ihre Renditen zu steigern.
Die EZB ermittelte vier wesentliche Schwachstellen in Bezug auf die Finanzstabilität
Die durch die Pandemie verursachten kurzfristigen Finanzstabilitätsrisiken konnten durch umfangreiche und zeitnahe Maßnahmen der Politik eingedämmt werden. Die Bedeutung dieser Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemiefolgen für Wirtschaft und Finanzstabilität impliziert aber zugleich, dass die Steuerung des Ausstiegs aus den Unterstützungsmaßnahmen ebenso wichtig ist. Die EZB ermittelte 2020 vier Faktoren, die über einen Zeithorizont von zwei Jahren als die größten Schwachstellen in Bezug auf die Finanzstabilität gesehen werden, und erörterte diese in ihrem halbjährlichen Financial Stability Review (siehe Schaubild 1):
Schaubild 1
Wesentliche Schwachstellen in Bezug auf die Finanzstabilität im Euroraum
- Erstens wurden einige Märkte wegen der hohen Vermögenspreise und der wieder ansteigenden Risikobereitschaft zunehmend anfällig für Korrekturen. Nach den Turbulenzen im März stand in den Sommermonaten eine merkliche, aber uneinheitliche Erholung an den Finanzmärkten schwachen wirtschaftlichen Fundamentaldaten gegenüber. Die Anleger dürften den im Jahresverlauf begrenzteren konjunkturellen Abwärtsrisiken und der Einführung der wirtschaftspolitischen Unterstützungsmaßnahmen mehr Gewicht beigemessen haben. So schürte insbesondere der Boom an einigen Aktienmärkten die Sorge, dass es zu einer Loslösung der Finanzmarktentwicklung von den wirtschaftlichen Fundamentaldaten kommen könnte. Die Kreditspreads gingen über das gesamte Ratingspektrum hinweg auf das vor Ausbruch der Pandemie verzeichnete Niveau zurück und waren angesichts der konjunkturellen Aussichten – vor allem im hochverzinslichen Segment des Markts für Unternehmensanleihen – vergleichsweise gering.
- Zweitens nahmen die Anfälligkeiten im nichtfinanziellen privaten und öffentlichen Sektor zu. Als Reaktion auf die Pandemie ergriffen die Regierungen in allen Euro-Ländern eine breite Palette fiskalischer Hilfsmaßnahmen, die 2020 umfangreiche Haushaltsdefizite nach sich zogen. Gleichzeitig nahmen die Unternehmen ihre Kreditlinien in Anspruch und begaben in großem Umfang Anleihen, um ihren Liquiditätsbedarf zu decken. Die daraus resultierende höhere Verschuldung der Staaten und Unternehmen könnte in Zukunft erneut Bedenken hinsichtlich der Schuldentragfähigkeit auslösen. Auf die finanzielle Lage der privaten Haushalte wirkte sich die Pandemie hingegen nur mäßig aus, was den staatlichen Programmen zur Unterstützung der Einkommen zu verdanken war. Allerdings könnte eine abrupte Rücknahme der Maßnahmen dazu führen, dass die Privathaushalte ihre Schulden nicht mehr vollständig bedienen können und sich die bereits schwachen Fundamentaldaten der Unternehmen weiter verschlechtern. Im Berichtsjahr stieg auch das Risiko einer Korrektur an den Wohn- und Gewerbeimmobilienmärkten, und im gesamten Euroraum mehrten sich die Anzeichen einer Überbewertung. Am Markt für gewerblich genutzte Immobilien zeichnete sich zudem ein abrupter und nachhaltiger Rückgang der Aktivität ab.
- Drittens sahen sich die Banken im Eurogebiet wachsenden Bedenken hinsichtlich der Kreditqualität sowie beharrlichen Strukturproblemen und einem anhaltenden Ertragsdruck gegenüber. Es wurde erwartet, dass die Ertragslage der Banken schwach bleibt und nur ganz allmählich auf das vor der Pandemie verzeichnete Niveau zurückkehrt. Zudem traten 2020 erste Anzeichen einer Verschlechterung der Kreditqualität auf, was letztlich zu Kreditausfällen und notleidenden Krediten führen wird.
- Viertens bildeten sich bei Finanzinstituten außerhalb des Bankensektors zunehmend Schwachstellen heraus, was der wieder wachsenden Risikobereitschaft zuzuschreiben war. Nachdem den Investmentfonds im Euroraum wieder Kapital zugeflossen war, senkten diese ihre Bestände an liquiden Vermögenswerten und erhöhten den Anteil an länger laufenden Schuldverschreibungen nichtfinanzieller Unternehmen mit niedrigerem Rating. Damit stieg bei Investmentfonds die Anfälligkeit für umfangreiche Kapitalabflüsse, falls es in Zukunft zu Marktturbulenzen kommen sollte. Zeitgleich verschlechterte sich die Rentabilität der Versicherungsgesellschaften aufgrund geringerer Deckungsvolumen und höherer Schadensrückstellungen. Letztere ergaben sich aus der Pandemie und einer relativ hohen Zahl von Naturkatastrophen im Jahre 2020.
Die Risiken für die Finanzstabilität steigen auch dadurch noch an, dass die genannten Schwachstellen gleichzeitig zum Tragen kommen und sich gegenseitig verstärken könnten.
Auch längerfristige Risiken gilt es zu beachten
Die EZB rückte im Berichtsjahr auch andere Schwachstellen, die über die kurze bis mittlere Frist hinausgehen und möglicherweise negative Auswirkungen auf den Finanzsektor haben, in den Blickpunkt. Hierzu zählen insbesondere die vom Klimawandel ausgehenden Finanzstabilitätsrisiken (siehe Kasten 3) und operationale Risiken aufgrund von Schwachstellen in der Cybersicherheit.
Kasten 3
Die EZB und der Klimawandel
Die mit den Auswirkungen des Klimawandels verbundenen Herausforderungen sind für politische Entscheidungsträger weltweit und damit auch für Zentralbanken zu einer prioritären Aufgabe geworden. Die potenziellen Auswirkungen der klimabezogenen physischen und transitorischen Risiken sind weitreichend und betreffen somit ein breites Spektrum an Tätigkeitsfeldern, zu denen auch jene der EZB und der EZB-Bankenaufsicht gehören. Die EZB sondiert daher Mittel und Wege, wie sie innerhalb ihres Mandats zu einer Verringerung der klimabedingten Risiken beitragen kann. In diesem Sinne richtete sie kürzlich ein Kompetenzzentrum Klimawandel ein, um ihre Klima-Agenda unter Berücksichtigung aller für das Zentralbankwesen wichtigen Aspekte zu gestalten und zu steuern.
Der Beitrag der EZB zur politischen Debatte über den Klimawandel
Die Auswirkungen des Klimawandels werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der EZB aus unterschiedlichen Blickwinkeln genau beobachtet. Es wird nach Wegen gesucht, Klimarisiken in die Modelle und Prognosemethoden der EZB einzubeziehen, um ihre Folgen für die Durchführung der Geldpolitik, die Finanzstabilität und die Anlageportfolios der EZB einschätzen zu können. Green Bonds haben im Rahmen der Wertpapierankaufprogramme der EZB an Bedeutung gewonnen, und die Entwicklung innovativer klimabezogener Finanzinstrumente wird aufmerksam verfolgt. Außerdem setzt sich die Bankenaufsicht aktiv dafür ein, das Bewusstsein der Kreditinstitute für klimabedingte Risiken zu schärfen. Ziel ist es, die Banken dazu zu bringen, diese Risiken angemessen in ihren Strategien zu berücksichtigen und zu managen. Vor diesem Hintergrund liefert der vorliegende Kasten einen Überblick über die wichtigsten Aufgabenbereiche der EZB bei diesem Querschnittsthema: Dabei handelt es sich um die Kernfelder Finanzstabilität und Aufsichtspolitik, makroökonomische Analyse und Geldpolitik, Finanzmarktgeschäfte und Risikomanagement, Finanzmarktinfrastrukturen und Zahlungsverkehr, Forschung und Statistik sowie EU-Politik und Finanzmarktregulierung. Im Folgenden werden die wichtigsten Projekte beschrieben, die EZB-intern, im Eurosystem und in internationalen Foren aktuell durchgeführt werden. Dabei werden die geplanten Aktivitäten und wichtigsten Herausforderungen, denen sich die EZB in den kommenden Jahren widmen wird, dargelegt.
Beim Thema Finanzstabilität geht es um die Überwachung und Bewertung von Klimarisiken nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hier arbeitet die EZB mit dem Ausschuss für Finanzstabilität des ESZB zusammen und stimmt sich dabei eng mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) ab. Die Ergebnisse des ersten Tätigkeitsjahres wurden im Juni 2020 in einem Bericht des ESRB veröffentlicht. Im zweiten Jahr seines Bestehens plant das Projektteam, ein Risk Dashboard für die Überwachung von Finanzintermediären zu entwickeln. Außerdem sollen neue Modellansätze zur Erfassung der langfristigen Zielkonflikte im Zusammenhang mit Klimarisiken sondiert werden. Inwieweit Finanzintermediäre von klimabezogenen Risiken betroffen sind, wurde in einschlägigen Themenbeiträgen im Financial Stability Review der EZB weiter untersucht. Die EZB ist auch damit befasst, einen zentral gesteuerten Klimastresstest für die Gesamtwirtschaft zu entwerfen, der auf äußerst granularen Angaben zur Anfälligkeit von Unternehmen gegenüber Klimarisiken und zu den entsprechenden Forderungen von Banken aufbaut. Basierend auf vorausschauenden Szenarien wird dieser Stresstest in die öffentliche Debatte über die Relevanz transitorischer und physischer Risiken innerhalb der nächsten 30 Jahre einfließen und das Fundament für zukünftige makroprudenzielle Maßnahmen auf diesem Gebiet bilden.
Im November 2020 veröffentlichte die EZB-Bankenaufsicht den Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken, in dem sie die aufsichtlichen Erwartungen der EZB im derzeitigen Aufsichtsrahmen darlegt. In dem Leitfaden wird erläutert, wie die Kreditinstitute nach Ansicht der EZB bei der Festlegung und Umsetzung ihrer Geschäftsstrategie und Governance sowie ihres Risikomanagements Klima- und Umweltrisiken berücksichtigen sollten. Des Weiteren beschreibt die EZB darin, wie die Institute durch verstärkte Offenlegung von Klima- und Umweltaspekten transparenter werden sollen. Schließlich bewertete die EZB auch die Offenlegungspraxis aller direkt von ihr beaufsichtigten Institute in Bezug auf Klima- und Umweltrisiken. Aus dem entsprechenden Bericht geht hervor, dass seit dem vergangenen Jahr zwar gewisse Verbesserungen erzielt wurden, die Offenlegungserklärungen aber nur spärlich mit relevanten quantitativen und qualitativen Informationen unterlegt sind und die meisten Institute ihr Risikoprofil noch nicht vollständig darlegen.
Die EZB setzt sich auch mit den makroökonomischen Auswirkungen von Klimarisiken auseinander. So analysiert sie derzeit die makroökonomischen Risiken, die sich einerseits direkt aus dem Klimawandel und andererseits aus den Maßnahmen zur Begrenzung der Klimarisiken bzw. zur Anpassung an neue Gegebenheiten ergeben. Die Expertinnen und Experten der EZB untersuchen auch, inwiefern die den geldpolitischen Beschlüssen zugrunde liegenden makroökonomischen Modelle und Projektionen angepasst werden müssen. Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Durchführung der Geldpolitik wurden ebenfalls einer Analyse unterzogen. Dabei standen folgende Aspekte des Klimawandels und der damit einhergehenden Übergangsmaßnahmen im Vordergrund: a) die Transmission der Geldpolitik und die Kreditvergabe, b) der natürliche Zinssatz und der geldpolitische Spielraum sowie c) die Umsetzung der Geldpolitik angesichts vermehrter und intensiverer makroökonomischer Schocks. Im Zuge der Überprüfung der geldpolitischen Strategie wird der Fokus auch auf die Frage gelenkt, inwieweit der Klimawandel die Geldpolitik beeinflussen könnte. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Zuständigkeit für die Erhaltung von Preisstabilität und die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der EU im Sinne der Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union. Darüber hinaus legt Artikel 11 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union fest, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung miteinbezogen werden müssen.
Die EZB prüft darüber hinaus, wie Überlegungen zum Klimawandel in die Umsetzung der Geldpolitik und das Risikomanagement des Eurosystems Eingang finden können. Die Analyse setzt allerdings voraus, dass bessere Informationen zu den Risiken und Chancen verfügbar sind, die sich aus dem Klimawandel für die verschiedenen Wirtschaftsakteure ergeben. Die derzeit vorliegenden Daten sind hingegen unstimmig, kaum vergleichbar und mitunter unzuverlässig. Aus diesem Grund fordert die EZB stärker standardisierte und weitreichendere Offenlegungen klimabezogener Informationen. In diesem Zusammenhang ist die EZB als Nutzerin von Kreditratings auch daran interessiert zu erfahren, wie Klimarisiken in Ratingverfahren eingebettet werden. Wenngleich die Ratingagenturen diesbezüglich anerkanntermaßen gewisse Fortschritte erzielt haben, bleibt noch großes Verbesserungspotenzial. Dies betrifft vor allem die Offenlegung der Relevanz und Wesentlichkeit von Klimarisiken in den Ratings.
Der Pensionsfonds der EZB wird von zwei externen Vermögensverwaltungsgesellschaften passiv verwaltet und verfolgt eine weitgehend nachhaltige und verantwortungsvolle Anlagestrategie (SRI) auf Basis von selektiven Ausschlüssen und Richtlinien zur Stimmrechtsausübung, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards (ESG-Standards) berücksichtigen. So wurden im vergangenen Jahr alle herkömmlichen Benchmark-Aktienindizes, die der Pensionsfonds nachbildet, durch entsprechende CO2-arme Indizes ersetzt, wodurch der CO2-Abdruck des Aktienportfolios deutlich verringert wurde. Die EZB plant ferner zu prüfen, inwieweit die Verwendung kohlenstoffarmer Indizes auf festverzinsliche Anlageklassen ausgeweitet werden kann. Im Rahmen ihres Eigenmittelportfolios verfolgt sie eine thematische SRI-Strategie, die eine Erhöhung des Anteils „grüner“ Wertpapiere zum Ziel hat. Diese Strategie wird durch direkte Käufe grüner Anleihen am Sekundärmarkt nach und nach umgesetzt und durch entsprechende Positionen aus anderen Anlageinstrumenten ergänzt.
Hochwertige klimabezogene Statistiken und Daten sind eine unabdingbare Voraussetzung für eine fundierte Analyse zentralbankrelevanter Aspekte des Klimawandels und damit einhergehender Risiken. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, erstellte der Ausschuss für Statistik des ESZB eine systematische Übersicht über die vorhandenen Datenquellen, Nutzeranforderungen, methodische Herausforderungen und die Datenlücken, die noch geschlossen werden müssen. In einem Umfeld sich wandelnder Nutzeranforderungen wird sich die statistische Arbeit auf die Entwicklung eines Katalogs von Indikatoren – zunächst auf experimenteller Basis – konzentrieren, mit denen das Volumen grüner Finanzinstrumente, die Kohlenstoffbilanz von Finanzinstituten und deren klimabezogene physische Risiken abgebildet werden.
Auch eine steigende Anzahl von Forschungsprojekten der EZB ist dem Klimawandel gewidmet. Im Rahmen der Working-Paper-Serie der EZB wurden bereits mehrere Forschungspapiere veröffentlicht, darunter eine Studie zu den Auswirkungen von Naturkatastrophen auf die Inflation[26], eine Analyse der Rolle der Finanzmärkte beim Übergang zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft[27], eine Untersuchung zur optimalen Gestaltung einer CO2-Steuer[28] und eine Studie über den Zusammenhang zwischen Covid-19-Infektionen und lokalen Umweltbedingungen[29]. Im Zuge laufender Forschungsarbeiten führt die EZB unter anderem zu folgenden Themen Analysen durch: den Risikopositionen von Großbanken, der Rolle der Banken beim Anheizen des Klimawandels, der Bepreisung von Green Bonds, den Auswirkungen des Emissionshandelssystems der EU auf die Umweltbelastung durch Unternehmen, der klimabedingten Versicherungslücke, den Auswirkungen des Klimawandels auf die Aktienkurse und dem Effekt von CO2-Steuern auf die Dekarbonisierung.
In Zusammenarbeit mit anderen nationalen Zentralenbanken (NZBen) des Euroraums richtete die EZB zwei Workstreams zu den Finanzmarktinfrastrukturen (FMIs) und zum Zahlungsverkehr ein. Mit dem ersten Workstream soll untersucht werden, wie sich der ökologische Fußabdruck bargeldloser Zahlungen am besten messen lässt. Der zweite nimmt die möglichen Auswirkungen von Klimarisiken auf die FMIs in den Blick, wobei zunächst die zentralen Gegenparteien im Fokus stehen. Auf dem Gebiet der Banknoten setzte die EZB gemeinsam mit den NZBen des Eurosystems und den zugelassenen Herstellern ihre Bemühungen fort, die Euro-Banknoten nachhaltiger zu gestalten. Die nächsten Zielvereinbarungen beinhalten den Übergang zu umweltfreundlicheren Rohstoffen und die Durchführung spezieller Projekte zur Verringerung der ökologischen Belastungen durch die Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Banknoten.
Die EZB trug auch im Berichtsjahr zur Weiterentwicklung des regulatorischen Rahmenwerks in der EU und in internationalen Foren bei. So verlieh sie der politischen Agenda der EU neue Impulse, indem sie eine umfassende Antwort des Eurosystems auf die beiden öffentlichen Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission zur aktualisierten Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen und zur Überarbeitung der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen veröffentlichte. Als Mitglied der Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen und deren Nachfolgeorganisation – der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen – unterstützte die EZB die politischen Initiativen der EU in Bezug auf das Klassifizierungssystem und die Verbesserung seiner Anwendbarkeit im Bankensektor. Zuletzt trug die EZB zu den Vorbereitungen für die Ausarbeitung möglicher EU-Standards für die Angabe nichtfinanzieller Informationen bei. Daneben setzte sie sich in internationalen Foren (z. B. G 7, G 20 und Basler Ausschuss für Bankenaufsicht – BCBS) nachdrücklich für die Schaffung international einheitlicher regulatorischer Rahmenbedingungen ein, um eine Fragmentierung der Aufsichtsstandards zu verhindern.
Die EZB gehört auch dem Network for Greening the Financial System (NGFS) an. In dieser Funktion ist sie aktiv daran beteiligt, einen reibungslosen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu fördern, und liefert wichtigen Input zu allen fünf Workstreams, in die die Arbeit des Netzwerks untergliedert ist (mikroprudenzielle Themen und Aufsicht, makrofinanzielle Themen, Förderung von Green Finance, Schließen von Datenlücken sowie Forschung). Als Ausdruck ihrer aktiven Rolle und Beteiligung trat die EZB 2020 auch in das Exekutivorgan des NGFS, den Lenkungsausschuss, ein. An der Arbeit der hochrangigen Task Force on Climate-related Financial Risks (TFCR) des BCBS nimmt die EZB ebenfalls teil. Diese Arbeitsgruppe ist mit der Erstellung von zwei Analyseberichten – über die Transmissionskanäle der Klimarisiken bzw. über Messmethoden – befasst.
Die Umwelt- und Nachhaltigkeitsbilanz der EZB
Im Jahr 2020 jährte sich die Zertifizierung des Umweltmanagementsystems der EZB zum zehnten Mal. Das System unterliegt dem EU-Öko-Audit EMAS und der ISO-Norm 14001. Die Bemühungen der EZB, die eigene Umweltbilanz zu verbessern, haben in den vergangenen zehn Jahren sichtbar Früchte getragen. So konnte der CO2-Abdruck der EZB in der Zeit von 2008 bis 2019 trotz einer deutlichen Zunahme des Meldeumfangs und der Arbeitsplätze um 38 % verringert werden. Im selben Zeitraum wurden die Emissionen pro Arbeitsplatz um 75 % gesenkt. Zurückzuführen war dies in erster Linie auf einen Rückgang des Energieverbrauchs, die Nutzung von Ökostrom sowie geringere Emissionen im Zusammenhang mit dem Berufspendelverkehr (vor der flächendeckenden Ausweitung der Telearbeit im Jahr 2020). Nähere Einzelheiten zur Ökobilanz der EZB sind dem Dokument Umwelterklärung der EZB – aktualisierte Fassung 2020 zu entnehmen.
Ungeachtet der Herausforderungen durch die Covid-19-Pandemie führte die EZB im Berichtsjahr verschiedene Aktivitäten zur Verbesserung ihrer Umweltbilanz im täglichen Geschäftsbetrieb durch. So wurden Bienenkästen, Insektenhotels sowie Vogel- und Fledermaushäuschen aufgestellt, um die Biodiversität auf dem Betriebsgelände der EZB weiter zu erhöhen. Zudem wurde der Wasserverbrauch der EZB durch eine Optimierung der Bewässerungssysteme nochmals gesenkt. Zwar wirken sich Hygieneauflagen nachteilig auf das Müllentsorgungssystem der EZB aus, doch werden die Anstrengungen zur Verringerung des Restmülls fortgeführt, wobei nun nach Möglichkeit auf Wiederverwertung gesetzt und die Abfallinfrastruktur in den Büroetagen verbessert wird. Die Maßnahmen zur Sensibilisierung und Einbeziehung der Belegschaft stützten sich 2020 ausschließlich auf Online-Formate. Im Zuge dessen wurden auch Vorträge und Workshops angeboten, die sich mit dem Thema Senkung der Umweltbelastungen durch Telearbeit befassten. Die weiteren Aktivitäten beinhalteten die Teilnahme an der vom WWF initiierten „Earth Hour“, am „Earth Overshoot Day“, an der europäischen Woche der Mobilität und an der europäischen Woche der Abfallvermeidung.
Angesichts der Tatsache, dass die Pandemie mit einem Rückgang der Geschäftsreisen und häufigeren Online-Besprechungen einherging, wird derzeit in Erwägung gezogen, das geringere Reiseaufkommen langfristig beizubehalten und einen systematischen Ansatz für nachhaltige – physische wie virtuelle – Meetings und sonstige Veranstaltungen zu entwickeln.
Mit Blick auf die Zukunft wird sich die EZB im Einklang mit führenden internationalen Initiativen im Kampf gegen den Klimawandel sogar noch ehrgeizigere Umweltziele setzen. Zugleich wird sie ihre Methoden zur Berücksichtigung der Kohlenstoffemissionen und die Kompensation ihrer Restemissionen weiter optimieren, wie dies eine wachsende Zahl anderer EU-Institutionen ebenfalls tut. Außerdem plant die EZB, ab 2022 aus ganzheitlicher, über die bloße Ökobilanz hinausgehender Sicht über ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen zu berichten.
3.2 Makroprudenzielle Politik zur Verringerung der Prozyklizität im Bankensektor und zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung
Makroprudenzielle Maßnahmen als Schlüsselinstrument zur Bekämpfung von Schwachstellen im Finanzsystem
Makroprudenzielle Maßnahmen sind ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Schwachstellen im Finanzsystem, die systemische Risiken verursachen können. Die SSM-Verordnung weist der EZB diesbezüglich eine wichtige Rolle mit spezifischen Befugnissen zu. So obliegt der EZB die Bewertung der prospektiven makroprudenziellen Maßnahmen für Banken, die in der EU-Gesetzgebung vorgesehen sind und von den nationalen Behörden in den Mitgliedstaaten des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) verabschiedet wurden. Darüber hinaus ist sie befugt, striktere Maßnahmen anzuwenden, als sie auf nationaler Ebene beschlossen wurden. Als Reaktion auf den Ausbruch der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 ergriffen die nationalen Behörden im Euroraum nach Rücksprache mit der EZB wichtige makroprudenzielle Maßnahmen, um Finanzstabilität zu gewährleisten und die wirtschaftlichen Folgen des durch die Pandemie ausgelösten Schocks abzumildern.
Proaktive makroprudenzielle Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft und zur Wahrung der Finanzstabilität
Die EZB unterstützte proaktiv die makroprudenziellen Maßnahmen der nationalen Behörden im Euroraum
Durch das proaktive und rasche Ergreifen makroprudenzieller Maßnahmen leistete die EZB einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Realwirtschaft bei gleichzeitiger Wahrung der Finanzstabilität. Die EZB bestärkte die makroprudenziellen Behörden in den am SSM teilnehmenden Ländern, Maßnahmen zu ergreifen und unterstützte sie dabei. Ziel war es, das Kapital der Banken zur Abfederung von Verlusten und zur Unterstützung der Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen verfügbar zu machen. Im Zuge dessen gaben die nationalen Behörden über 20 Mrd € aus den Kapitalpufferanforderungen[30] frei, zumeist durch die vollständige oder teilweise Aktivierung der antizyklischen Kapitalpuffer.
Die Wirksamkeit der makroprudenziellen Politik hängt entscheidend davon ab, dass Kapitalpuffer tatsächlich eingesetzt werden können. Aus diesem Grund ermutigte die EZB die Banken, ihre Kapital- und Liquiditätspuffer für die Kreditvergabe und die Abfederung von Verlusten zu nutzen, und so zur Stabilisierung der Realwirtschaft beizutragen. Die Verfügbarkeit der Kapitalpuffer wurde auch durch die Entscheidung erhöht, den Banken bis mindestens Ende 2022 eine Kapitalunterlegung unterhalb der kombinierten Pufferanforderung zu gestatten, ohne dass automatisch aufsichtliche Maßnahmen ausgelöst werden. Darüber hinaus betonte die EZB, dass sie die Banken nicht dazu auffordern werde, ihre Kapitalpuffer wieder aufzufüllen, bevor nicht die maximale Pufferausnutzung erreicht ist, keinesfalls jedoch vor Ende 2022.
Größerer makroprudenzieller Spielraum durch mehr freisetzbare Kapitalpuffer wünschenswert
Mittlerweile setzt sich verstärkt das Bewusstsein durch, dass auf mittlere Sicht eine Neugewichtung zwischen strukturellen und zyklischen Kapitalanforderungen wünschenswert ist, um makroprudenziellen Spielraum zu schaffen. Die Entwicklungen im Berichtsjahr haben gezeigt, wie wichtig – neben den Gesamteigenmitteln – freisetzbare Kapitalpuffer sind, die bei guter Wirtschaftslage aufgebaut werden, um im konjunkturellen Abschwung Verluste auffangen und die Kreditvergabe stärken zu können. Zu Beginn der Pandemie war der makroprudenzielle Spielraum begrenzt, da der vollständig freisetzbare antizyklische Kapitalpuffer lediglich einen Bruchteil des Bankkapitals im Euroraum ausmachte (0,11 %, verglichen mit einer harten Kernkapitalquote von 14,9 %).[31] Dies war hauptsächlich der langsamen Erholung des Finanzzyklus nach der Finanz- und Staatsschuldenkrise zuzuschreiben. Sobald sich in näherer Zukunft die Lage normalisiert, könnte eine Überprüfung des Kapitalpufferrahmens angezeigt sein. Dabei sollte es um die Frage gehen, ob eine Neugewichtung zwischen strukturellen und zyklischen Kapitalpuffern dazu beitragen kann sicherzustellen, dass in Abschwungphasen genügend Flexibilität in Form von freisetzbaren Puffern vorhanden ist.
Die EZB intensivierte im Berichtsjahr auch ihre Kommunikation zur makroprudenziellen Politik weiter. Sie sorgte für größere Transparenz bei ihren laufenden Initiativen und den Denkansätzen in diesem Bereich und erhöhte damit das öffentliche Bewusstsein für dieses Thema.[32] Der im November 2020 veröffentlichte Financial Stability Review beinhaltete ein Kapitel, in dem die Aufstockung von Kapitalpuffern aus einer vorausschauenden makroprudenziellen Perspektive betrachtet wurde. Neben Reden, Pressemitteilungen und anderen Publikationen wie Occasional Papers veröffentlichte die EZB auch im Berichtsjahr das zweimal jährlich erscheinende Macroprudential Bulletin, in dem die analytischen Fortschritte sowie Beurteilungen einschlägiger Themen erläutert wurden. Auf Grundlage der in der Krise gewonnenen Erfahrungen war die zweite Ausgabe des Berichts im Jahr 2020 den makroprudenziellen Kapitalpuffern gewidmet. Dabei wurden die Auswirkungen auf die Kreditvergabe, mögliche Hindernisse für die Einsetzbarkeit der Kapitalpuffer und die Bedeutung des makroprudenziellen Spielraums untersucht. Wie schon in der Vergangenheit veröffentlichte die EZB auf ihrer Website auch wieder einen Überblick über die derzeit geltenden makroprudenziellen Maßnahmen in den am SSM teilnehmenden Ländern.
Makroprudenzielle Beschlüsse im Jahr 2020
Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags prüfte die EZB im Berichtsjahr 116 von den nationalen Behörden im Euroraum gemeldete makroprudenzielle Beschlüsse über Instrumente zur Begrenzung von zyklischen und strukturellen Systemrisiken sowie weitere Maßnahmen gemäß Artikel 458 der Eigenkapitalverordnung (CRR). Dies beinhaltete auch Meldungen der Българска народна банка (der Bulgarischen Nationalbank) und der Hrvatska narodna banka, die im letzten Quartal eingegangen waren, nachdem mit Wirkung vom 1. Oktober 2020 eine enge Zusammenarbeit mit der EZB vereinbart worden war. Die gemeldeten Beschlüsse betrafen zumeist entweder die Festlegung von antizyklischen Kapitalpuffern oder die Ermittlung global systemrelevanter Institute (G-SRI) bzw. anderer systemrelevanter Institute (A-SRI), einschließlich der Kalibrierung der jeweils geltenden Kapitalpuffer. Der EZB-Rat hatte keinerlei Einwände gegen die 2020 von nationalen Behörden gemeldeten makroprudenziellen Beschlüsse vorzubringen.
Nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie zielten viele der EZB gemeldete Maßnahmen darauf ab, die Auswirkungen des von der Pandemie ausgelösten Schocks auf die Stabilität des Finanzsystems und auf die Realwirtschaft zu begrenzen. Eine Reihe nationaler Behörden entschied sich, einen Teil der in den Vorjahren aufgebauten Kapitalpuffer freizugeben.
Von den sieben Ländern des Euroraums, die den antizyklischen Kapitalpuffer aktiviert hatten, beschlossen sechs, den Puffer ganz oder teilweise freizugeben und die zuvor angekündigte Pufferaufstockung zu widerrufen. Damit sollte es den Banken ermöglicht werden, das freigesetzte Kapital zu nutzen, um die Realwirtschaft weiterhin über die Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen zu unterstützen und gegebenenfalls Kreditausfälle abzufedern. Zum Zeitpunkt der Berichterstellung waren Luxemburg und die Slowakei die einzigen Länder des Eurogebiets, in denen ein antizyklischer Kapitalpuffer im positiven Bereich vorgeschrieben war.
Mit Blick auf die makroprudenziellen Maßnahmen zur Bekämpfung anderer Risiken beurteilte die EZB die Beschlüsse nationaler Behörden zu A-SRI-Puffern, Systemrisikopuffern sowie makroprudenziellen Maßnahmen nach Artikel 458 der Eigenkapitalverordnung. Einige wenige Länder beschlossen infolge des pandemiebedingten Schocks, den Systemrisikopuffer vollständig oder teilweise zu aktivieren und den A-SRI-Puffer von Banken anzupassen, die den Systemrisikopuffer andernfalls nicht vollständig hätten nutzen können. Dies liegt an der Wechselwirkung zwischen den beiden in Artikel 131 der Eigenkapitalrichtlinie (CRD) genannten Anforderungen.
Einige Länder entschieden sich auch, bereits angekündigte Maßnahmen aufzuschieben. Das betraf beispielsweise die schrittweise Einführung von A-SRI-Puffern und die Umsetzung einer Maßnahme gemäß Artikel 458 der Eigenkapitalverordnung.
Zusammenarbeit mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB)
Die EZB leistete dem ESRB-Sekretariat, das für das Tagesgeschäft des ESRB zuständig ist, auch im Berichtsjahr analytische, statistische, logistische und administrative Unterstützung. Der ESRB ist für die makroprudenzielle Aufsicht über das EU-Finanzsystem sowie für die Prävention und Begrenzung des systemischen Risikos zuständig.
Das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen der Covid-19-Pandemie. Vor dem Hintergrund der veränderten Risikolage wechselte der ESRB im April und Mai 2020 in den Krisenmodus und erhöhte die Häufigkeit seiner Sitzungen. Das ESZB trug aktiv zu den Maßnahmen bei, die der ESRB als Reaktion auf die Pandemie ergriff, sowie zur laufenden Identifizierung und Beobachtung potenzieller Systemrisiken. Zusätzlich dazu unterstützte das ESZB allgemein die Tätigkeit des ESRB, die u. a. in einer Reihe von Maßnahmen zu folgenden Themen mündete: a) Auswirkungen von Kreditgarantiesystemen und anderen finanzpolitischen Maßnahmen zum Schutz der Realwirtschaft auf das Finanzsystem, b) illiquide Märkte und deren Folgen für Vermögensverwalter und Versicherungsgesellschaften, c) Einfluss prozyklisch wirkender Herabstufungen von Anleihen auf die Märkte und Akteure im gesamten Finanzsystem, d) systemweite Beschränkungen von Dividendenzahlungen, Aktienrückkäufen und sonstigen Ausschüttungen sowie e) Liquiditätsrisiken aufgrund von Einschussforderungen. Außerdem brachte sich das ESZB vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie in die Beratungen des ESRB zu längerfristigen politischen Themen mit Bezug zum Bankensektor ein. Hier galt es, einen Überblick über die diversen Herausforderungen, denen sich die Politik in der kommenden Zeit gegenübersehen könnte, zu geben.
Nach der allmählichen Rückkehr zum regulären Sitzungsrhythmus in den Sommermonaten setzten die EZB und das ESRB-Sekretariat ihre Zusammenarbeit dahingehend fort, dass sie im Kontext der Covid-19-Pandemie die Auswirkungen der finanzpolitischen Maßnahmen zum Schutz der Realwirtschaft auf die Finanzstabilität beobachteten. Im Juni 2020 wurde eine Expertengruppe unter der Schirmherrschaft des Verwaltungsrats des ESRB ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe besteht darin, in regelmäßigen Abständen EU-weit zu beobachten, inwieweit sich die befristeten Maßnahmen, die die Regierungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie eingeleitet haben, auf die Finanzstabilität auswirken, wobei die grenz- und sektorübergreifenden Folgen im Vordergrund stehen.
Die EZB beteiligte sich auch weiterhin an der Entwicklung von Risikokennzahlen für Nichtbanken. Dies beinhaltete auch die Mitarbeit an der fünften Ausgabe des EU Non-bank Financial Intermediation Risk Monitor, der einen Überblick über das Geschehen im Nichtbanken-Finanzsektor gibt. Der Schwerpunkt des Berichts liegt auf der Bewertung möglicher Finanzstabilitätsrisiken.
Gemeinsam mit dem ESRB arbeitete die EZB ferner an der Entwicklung und Anwendung von Methoden zur Durchführung einer Studie über die potenziellen Auswirkungen verschiedener Klimawandelszenarien auf den EU-Finanzsektor. Im Juni 2020 veröffentlichte der ESRB einen Bericht mit einem Mapping verschiedener Methoden, einer Bewertung der Datenverfügbarkeit und einem Überblick über das Exposure von Finanzinstituten, das bei der Durchführung klimabezogener Risikoanalysen berücksichtigt werden muss.
Daneben beteiligte sich die EZB im Zuge ihrer Mitarbeit in der European Systemic Cyber Group aktiv an der Entwicklung eines Analyserahmens für Cyberrisiken.
Die EZB hatte auch den Vorsitz einer Arbeitsgruppe inne, die damit betraut war, eine Empfehlung des ESRB auszuarbeiten, mit der die Einführung der Rechtsträgerkennung (LEI) in der EU vorangetrieben werden soll. Die Arbeit wurde im September 2020 mit der Verabschiedung der Empfehlung des ESRB zur Identifizierung von Rechtsträgern erfolgreich abgeschlossen.
Die EZB führte außerdem den Vorsitz in der Arbeitsgruppe des ESRB für Stresstests, die die adversen Szenarien für die 2021 anstehenden Stresstests der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) entwickelte. Dabei unterstützten mehrere Generaldirektionen der EZB die ESRB-Arbeitsgruppe und leisteten wesentliche Hilfe bei der Modellierung wie auch in technischer Hinsicht.
Nähere Informationen zum ESRB finden sich auf dessen Website und in den ESRB-Jahresberichten.
3.3 Mikroprudenzielle Aufsichtsaktivitäten zur Gewährleistung solider Finanzinstitute
Bulgarien und Kroatien wurden als erste Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums Teil der europäischen Bankenaufsicht
Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus konnte im Jahr 2020 zwei neue Mitglieder begrüßen. Bulgarien und Kroatien waren die ersten Länder außerhalb des Euroraums, die sich der europäischen Bankenaufsicht anschlossen. Rechtliche Grundlage dafür ist die in der SSM-Verordnung vorgesehene enge Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist. Aufgrund der Beschlüsse des EZB-Rats über die Aufnahme einer engen Zusammenarbeit[33] mit der Българска народна банка (der Bulgarischen Nationalbank)[34] und der Hrvatska narodna banka[35] erweiterte sich der Kreis der direkt von der EZB beaufsichtigten bedeutenden Institute im Oktober 2020 um fünf bulgarische und acht kroatische Banken.[36] Die EZB ist zudem für die indirekte Aufsicht (Oversight) über die weniger bedeutenden Institute und die gemeinsamen Verfahren für alle beaufsichtigten Banken in den beiden Ländern zuständig. Die bulgarische und die kroatische Notenbank entsenden je einen Vertreter in das Aufsichtsgremium der EZB, der mit denselben Rechten – zum Beispiel Stimmrechten – und Pflichten wie alle anderen Mitglieder ausgestattet ist.
Effizientere Organisationsstruktur und erhöhte Transparenz der EZB-Bankenaufsicht
Die EZB-Bankenaufsicht vollzog 2020 einen Wandel hin zu einer reiferen und transparenteren Organisation. Die institutsspezifische Aufsicht wurde nach den Geschäftsmodellen der Banken strukturiert und wird von Teams mit Risiko- oder sonstiger einschlägiger Fachexpertise unterstützt. Für strategische Planungen wurde die aufsichtliche Risikofunktion (zweite Verteidigungslinie) eingeführt, während die Einheit für Vor-Ort-Prüfungen strukturell unabhängig wurde. Durch die neue Organisationsstruktur wird der Fokus auf eine stärker risikoorientierte Aufsicht gelenkt, während die Konsistenz der aufsichtlichen Ergebnisse gewahrt bleibt. Die Umstrukturierung stärkte sowohl die Rolle der EZB als umsichtige, effiziente und transparente Aufsichtsbehörde als auch die Zusammenarbeit mit den nationalen zuständigen Behörden im SSM.
Im Sinne einer verbesserten Transparenz veröffentlichte die EZB erstmals aggregierte Daten zum Geschäftsmodell und Informationen zu den Säule-2-Anforderungen der einzelnen Banken. Dies geschah ein Jahr früher als in der überarbeiteten Eigenkapitalverordnung vorgesehen. Die Bekanntgabe der institutsspezifischen Säule-2-Anforderungen sollte Aufschluss über den Zustand der Banken in Europa geben, den Instituten ermöglichen, ihre Position mit der anderer Banken zu vergleichen, und außerdem für mehr Transparenz gegenüber Anlegern sorgen.
Des Weiteren leitete die EZB eine öffentliche Konsultation über den Entwurf eines Leitfadens zum aufsichtlichen Ansatz für Konsolidierungen im Bankensektor ein. Der Leitfaden soll die Transparenz und Erwartbarkeit aufsichtlichen Handelns erhöhen und den Kreditinstituten helfen, aufsichtlich nachhaltige Projekte zu konzipieren.
Die europäische Bankenaufsicht reagierte mit einem Paket aufsichtlicher Hilfsmaßnahmen rasch auf die Covid-19-Krise
Die Covid-19-Pandemie erwies sich als beispielloser Schock auf globaler Ebene. Dank der aktiven Bemühungen des SSM in den vergangenen Jahren verfügten die europäischen Banken beim Ausbruch dieser Krise aber über wesentlich bessere Eigenkapital- und Liquiditätspositionen sowie über deutlich werthaltigere Aktiva. Die EZB reagierte umgehend auf die schwierige Situation und verabschiedete verschiedene aufsichtliche Unterstützungsmaßnahmen, um die Banken in die Lage zu versetzen, Verluste aufzufangen und weiterhin Kredite an die Realwirtschaft zu vergeben. So bestärkte die EZB die beaufsichtigten Institute, ihre Kapital- und Liquiditätspuffer einschließlich der Säule-2-Empfehlungen vollständig einzusetzen. Zugleich signalisierte sie den Märkten, die Banken nicht dafür zu bestrafen, dass sie die vorhandene Flexibilität nutzen.[37] Daneben wurde die aufsichtliche Behandlung notleidender Kredite flexibler gestaltet. Damit sollte insbesondere den Instituten ermöglicht werden, in vollem Umfang von staatlich gewährten Garantien und Moratorien zu profitieren.[38] Beim aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) 2020 verfolgte die EZB einen pragmatischen (sprich vereinfachten) Ansatz.[39] Durch diesen neuen Ansatz wurden die Belastungen der beaufsichtigten Institute verringert, ohne jedoch den klaren und präzisen Blick für die Solidität der Banken zu verlieren. Außerdem wurde den Banken zu diesem Zeitpunkt nahegelegt, prozyklische Annahmen, die in ihren Modellen zur Berechnung der Kreditrisikovorsoge nach IFRS 9 enthalten waren, zu glätten und – sofern noch nicht geschehen – die in der Eigenkapitalverordnung festgelegten Übergangsregelungen für IFRS 9 zu nutzen.[40] Die EZB verlängerte auch die Fristen für bestimmte nichtkritische Aufsichtsmaßnahmen und Datenanforderungen sowie für die Umsetzung von Korrekturmaßnahmen, die aus Vor-Ort-Prüfungen und Überprüfungen interner Modelle stammten.
Nachdem die EZB in den ersten Wochen der Covid-19-Pandemie eine Analyse der Schwachstellen europäischer Banken durchgeführt hatte, revidierte sie einige ihrer Beschlüsse. So wurde etwa die Empfehlung zu Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufen der Banken bis zum 1. Januar 2021 verlängert. Später forderte die EZB die Banken auf, Dividendenausschüttungen bis zum 30. September 2021 auszusetzen oder zu begrenzen. Um ferner die Durchführung der Geldpolitik zu erleichtern, gestattete die EZB den Instituten, bestimmte Risikopositionen gegenüber Zentralbanken aus der Verschuldungsquote herauszurechnen.[41]
Die Banken und die breite Öffentlichkeit wurden auf effiziente und transparente Weise über alle aufsichtlichen Entlastungsmaßnahmen informiert, zum Beispiel per Brief, im aufsichtlichen Dialog mit den gemeinsamen Aufsichtsteams, über häufig gestellte Fragen (FAQs), Pressemitteilungen, Blogeinträge und Reden.
Instituten, die sich auf den Brexit vorbereiteten, gewährte die EZB zu Beginn der Covid-19-Krise eine gewisse operative Flexibilität, doch im weiteren Verlauf wurde der aufsichtliche Dialog wieder aufgenommen und intensiviert. Viele Banken machten erhebliche Fortschritte bzw. lagen gut im Zeitplan, was die angestrebten Geschäftsmodelle für die Zeit nach dem Brexit betraf. Dies wird ihnen ermöglichen, Handelsaktivitäten, Buchungsmodelle und Risikomanagement so zu gestalten, dass eine umsichtige Risikosteuerung und effektive Aufsicht gewährleistet ist. Die EZB betonte wiederholt, dass die Banken am Ende der Übergangsfrist auf alle möglichen Szenarien vorbereitet sein müssen. Die Aufsicht war auch bemüht sicherzustellen, dass die beaufsichtigten Institute die angestrebten Geschäftsmodelle innerhalb der vereinbarten Fristen umsetzen. Dies würde gewährleisten, dass allen noch bestehenden mittelfristigen Brexit-Risiken konsistent und effizient begegnet wird.
Instrumente der europäischen Bankenaufsicht weiter verbessert
Im Anschluss an ein öffentliches Konsultationsverfahren beendete die EZB ihre Arbeit an einem Leitfaden, der sich mit der Berechnung des Gegenparteiausfallrisikos befasst und zeigt, welche Methodik die EZB anwendet, um zu prüfen, inwieweit die Modelle der Banken den aufsichtlichen Erfordernissen genügen. Dies ist für Banken, die eine Erweiterung oder Modifikation ihrer internen Modelle beantragen, ebenso relevant wie für die laufende Überwachung dieser Modelle und die Überprüfung interner Modelle durch die EZB. Die EZB verabschiedete und veröffentlichte zudem eine Leitlinie zur Erheblichkeitsschwelle für überfällige Verbindlichkeiten bei weniger bedeutenden Instituten, wodurch eine mit den Regelungen für bedeutende Institute einheitliche Handhabung gewährleistet wird.[42]
Weitere Erläuterungen zum Thema Bankenaufsicht finden sich auf der entsprechenden Website der EZB sowie im EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit 2020.
3.4 Beitrag der EZB zu europäischen Initiativen
Finanzsektor widerstandfähiger durch regulatorische Reformen nach der globalen Finanzkrise
In den zehn Jahren seit der globalen Finanzkrise wurden einschneidende regulatorische Reformen durchgeführt, die dazu beitrugen, dass das Finanzsystem gut gegen die von der Covid-19-Pandemie ausgehenden Schocks gewappnet war. Trotz beachtlicher Fortschritte sind jedoch noch große rechtliche und institutionelle Herausforderungen zu meistern, bis sich die Banken in Europa auf ein wirklich integriertes Rahmenwerk stützen können, von dem auch die Nutzerinnen und Nutzer von Finanzdienstleistungen profitieren. Weitere Anstrengungen sind ferner notwendig, um die Kapitalmärkte weiterzuentwickeln. Zugleich müssen die regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Rahmenwerke für den Nichtbanken-Finanzsektor gestärkt werden. Das Berichtsjahr zeichnete sich auch durch beispiellose wirtschaftspolitische Maßnahmen der EU aus. So kamen die Staats- und Regierungschefs der EU im Juli 2020 überein, erstmals in der Geschichte der EU als Reaktion auf einen Wirtschaftsschock, von dem alle Länder erfasst waren, gemeinsame Schulden aufzunehmen. Kasten 4 bietet einen Überblick über die breit gefächerten Maßnahmen der EU zur Bewältigung der Krise sowie deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft und den Finanzsektor.
Vollendung der Bankenunion
Die EZB trug zur Diskussion über Vollendung der Bankenunion bei
Nach dem Schreiben, das der Vorsitzende der hochrangigen Arbeitsgruppe zur Errichtung eines europäischen Einlagensicherungssystems (EDIS) im Dezember 2019 an den Präsidenten der Euro-Gruppe gerichtet hatte, nutzte die EZB europäische Foren, um weitere Beiträge zur Diskussion über die Vollendung der Bankenunion zu leisten.
Bei ihrer Sitzung Ende November 2020 erreichte die Euro-Gruppe einen Meilenstein, indem sie sich auf den überarbeiteten Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und die vorzeitige Einführung eines gemeinsamen Absicherungsmechanismus (Backstop) für den Einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) einigte.
Diesbezüglich beteiligte sich die EZB auch 2020 wieder an den gemeinsam mit der Europäischen Kommission und dem Einheitlichen Abwicklungsausschuss erstellten Monitoring Reports on Risk Reduction Indicators (siehe Ausgabe vom Juni und November). Die Novemberausgabe enthielt zusätzlich Analysen zu notleidenden Krediten und Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL). Auf der Grundlage dieses Berichts und nach einer positiven Einschätzung der Risikominimierung beschloss die Euro-Gruppe, den gemeinsamen Absicherungsmechanismus vorzeitig einzuführen.
Die EZB leistete ferner Beiträge zur Debatte über die grenzüberschreitende Integration von Bankengruppen. Im Zuge dessen legten zwei EZB-Vertreter in einem gemeinsamen Blogpost konkrete Vorschläge zur Förderung einer effizienten Allokation von Liquiditätsressourcen innerhalb von Bankengruppen bei gleichzeitiger Einrichtung von Sicherungsmechanismen für die Behörden im Gastland vor.[43]
Im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Krisenbewältigungsmechanismus unterstützte die EZB Bemühungen, bewährte Instrumente für den Umgang mit kleineren Einlagenbanken in den Mechanismus aufzunehmen. Sie sprach sich für eine Verbesserung des Rahmenwerks für Frühinterventionsmaßnahmen aus, um dessen praktische Anwendung zu erleichtern.[44] Die EZB hob ferner die Bedeutung von Maßnahmen hervor, die gewährleisten, dass Banken, die als ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend eingestuft werden, innerhalb einer angemessenen Zeitspanne aus dem Bankenmarkt austreten können. Die Arbeit an den Regelungen für das Krisenmanagement wird fortgeführt. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission eine Überprüfung des Rahmenwerks für das Krisenmanagement und das Einlagensicherungssystem der Banken eingeleitet hat.
Die Kapitalmarktunion voranbringen
Die EZB rief zu vermehrten Anstrengungen zur Verwirklichung der Kapitalmarktunion auf
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, denen die EU gegenübersteht, rief die EZB im Jahr 2020 zu verstärkten Bemühungen auf, die Kapitalmarktunion voranzubringen.[45] Im Financial Stability Review vom November 2020 ging die EZB auf diese Herausforderungen, die Folgendes umfassen, näher ein: die Finanzierung des wirtschaftlichen Aufbaus nach dem Ende der Covid-19-Pandemie, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, die Stärkung der internationalen Rolle des Euro und die Auswirkungen des Brexit auf die Finanzdienstleistungen.
Die EZB begrüßte den 2020 veröffentlichten Aktionsplan der Europäischen Kommission für die Kapitalmarktunion (New CMU action plan) und bekräftigte zugleich, dass sowohl konkrete Maßnahmen als auch echter politischer Wille notwendig seien, um deutliche Fortschritte zu erzielen. Vor diesem Hintergrund hob sie eine Reihe politischer Prioritäten zur Förderung der Kapitalmärkte hervor, darunter das Ziel, den Anteil der Eigenfinanzierung zur Steigerung von Wachstum und Innovation zu erhöhen.[46] Die Prioritäten beziehen sich auf eine Harmonisierung in bestimmten Bereichen des Unternehmensinsolvenzrechts und der Kapitalertragssteuer sowie die Verarbeitung von Kapitalmaßnahmen im Nachhandel. Zur Gewährleistung einer konsistenten Umsetzung des einheitlichen Regelwerks in der gesamten EU sind Fortschritte hin zu aufsichtlicher Konvergenz von entscheidender Bedeutung. Dies bezieht sich beispielsweise auf Maßnahmen für eine stärkere aufsichtliche Koordination oder die direkte Beaufsichtigung durch die europäischen Aufsichtsbehörden. Darüber hinaus würden Informationsinitiativen zur Finanzbildung oder Altersvorsorge den Bürgerinnen und Bürgern helfen, den Nutzen der Kapitalmarktunion auszuschöpfen.
Die EZB trug weiter in erheblichem Umfang zur Förderung der Kapitalmarktunion bei, indem sie die Entwicklung und Integration gesamteuropäischer Finanzmarktinfrastrukturen unterstützte (siehe Kapitel 4 Abschnitt 3).
Überarbeitung des Aufsichtsrahmens für Banken und Nichtbanken
Solider Aufsichtsrahmen für Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors unverzichtbar
Teile des Nichtbanken-Finanzsektors, darunter Geldmarktfonds und einige Investmentfonds, waren während der Marktturbulenzen im März 2020 erheblichen Verwerfungen ausgesetzt. Zwar ist es ein erklärtes Ziel der Kapitalmarktunion, den Finanzintermediären außerhalb des Bankensektors zu einer größeren Rolle bei der Finanzierung der Wirtschaft zu verhelfen, doch ist die wirksame Überwachung dieses Sektors weiterhin von entscheidender Bedeutung.
Den systemischen Risiken, die sich im Nichtbanken-Finanzsektor ergeben könnten, lässt sich nur dann angemessen entgegenwirken, wenn die Widerstandsfähigkeit dieses Sektors unter gebührender Beachtung der makroprudenziellen Perspektive gesteigert wird. Aus diesem Grund trat die EZB 2020 weiterhin für eine Reform des makroprudenziellen Rahmens für den Nichtbanken-Finanzsektor ein und leistete weitreichende Beiträge zu den entsprechenden fachlichen Diskussionen in diversen Foren der EU und auf internationaler Ebene.
Die EZB unterstützte Initiativen zur Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit von Banken
Hinsichtlich des Aufsichtsrahmens für den Bankensektor unterstützte die EZB den Vorschlag der Europäischen Kommission, als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie gezielte Änderungen an der Eigenkapitalverordnung vorzunehmen. Die EZB sah in dem Vorschlag eine Ergänzung zu ihren eigenen Aufsichtsmaßnahmen und legte ihre Sichtweise in Form einer rechtlichen Stellungnahme dar. So sprach sie sich insbesondere für Anpassungen der Übergangsbestimmungen zur Verringerung der Auswirkungen von IFRS 9 auf die Eigenmittel aus, des Weiteren für eine vorübergehende Ausweitung der besonderen Behandlung notleidender Kredite, die mit Garantien von Staaten oder anderen öffentlichen Einrichtungen ausgestattet sind, sowie für eine Verschiebung der Anwendung des Puffers in Bezug auf die Verschuldungsquote für global systemrelevante Banken.
Darüber hinaus regte die EZB Anpassungen des Mechanismus für den vorübergehenden Ausschluss bestimmter Risikopositionen gegenüber Zentralbanken aus der Berechnung der Verschuldungsquote an. Ziel war, die Wirksamkeit der geldpolitischen Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zu steigern und die Kreditvergabe der Banken an private Haushalte und Unternehmen zu fördern. In Übereinstimmung mit dem entsprechenden Standard des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht betonte die EZB außerdem die Notwendigkeit, den zuständigen Behörden bei der Beurteilung der internen Marktrisikomodelle mehr Flexibilität einzuräumen, damit die Kreditinstitute weiterhin die Märkte mit Liquidität versorgen und Market-Making-Aktivitäten durchführen können, um damit die Realwirtschaft zu unterstützen.
Kasten 4
Die finanzpolitische Reaktion der EU auf die Pandemie und ihre Auswirkungen auf den Bankensektor und die europäische Integration
Folgen der Krise und warum eine europäische Antwort erforderlich war
Die Covid-19-Pandemie hat die Volkswirtschaften Europas im Berichtsjahr vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Das Ausmaß und die Gleichartigkeit des Wirtschaftsschocks sprachen ganz eindeutig für ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten. Denn obwohl die Pandemie alle Länder betraf, bestand die Gefahr, dass sie auf längere Sicht eine Fragmentierung und möglicherweise ein Auseinanderdriften der Länder mit hohen Folgekosten nach sich ziehen würde. Dies wiederum würde den Binnenmarkt untergraben und zu negativen Auswirkungen in allen Mitgliedstaaten führen.
Aus diesem Grund verständigte sich die Euro-Gruppe im April 2020 auf ein erstes Maßnahmenpaket bestehend aus den sogenannten drei Sicherheitsnetzen. Es sollte den Mitgliedstaaten helfen, die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen der erforderlichen Eindämmungsmaßnahmen zu begrenzen. Die Pandemie-Krisenhilfe (Pandemic Crisis Support) des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der paneuropäische Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank (EIB) und das europäische Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) haben zusammen ein Volumen von 540 Mrd €. Die Mittel stehen in Form von Krediten und Garantien zur Unterstützung von Staaten, Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU bereit.
Mit zunehmender Ausweitung der Krise zeichnete sich immer deutlicher ab, dass die Dauer und Intensität des Schocks weitere außergewöhnliche Hilfsmaßnahmen erforderlich machen würden. Ende Juli 2020 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der EU den Aufbaufonds „Next Generation EU“ (NGEU) für einmalige Mittelaufnahmen in einer Gesamthöhe von 750 Mrd €; finanziert wird der Fonds über eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Länder. Die EZB setzte sich bereits früh für ein abgestimmtes wirtschaftliches Vorgehen in der Krise ein. Im Rahmen der ihr laut Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zugewiesenen Zuständigkeiten trug sie zu den Diskussionen in den jeweiligen EU-Foren bei, indem sie zeitnah Informationen zu den Konjunkturaussichten in Europa und zum erwarteten Finanzierungsbedarf lieferte.
Wesentliche Merkmale der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF)
Das NGEU-Hilfspaket ist so ausgelegt, dass es vorwiegend den am stärksten von der Krise betroffenen Ländern zugutekommt. Die Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), das größte im NGEU enthaltene Programm, umfasst Finanzhilfen im Umfang von bis zu 312,5 Mrd € und maximal 360 Mrd € an Darlehen, die EU-Mitgliedstaaten zur Finanzierung zuvor vereinbarter Investitionen und Reformen erhalten können. Die Auszahlungen erfolgen nach dem Erreichen der im Vorfeld festgelegten Meilensteine und Ziele. Die entsprechenden Investitionen und Reformen müssen spätestens bis Ende 2026 umgesetzt werden. Auf diese Weise finanzierte Projekte sollen darauf ausgerichtet sein, die Widerstandsfähigkeit, das Wachstum und das Beschäftigungspotenzial der Volkswirtschaften zu erhöhen, indem die alljährlich im Rahmen des Europäischen Semesters ermittelten länderspezifischen Empfehlungen angegangen werden. Die Investitionen und Reformen sollen auch dazu beitragen, den Übergang zu einer umweltfreundlichen und digitalen Wirtschaft zu beschleunigen. Deshalb sind mindestens 37 % aller aus der RRF stammenden Mittel für klimabezogene Ausgaben und 20 % für Digitalisierungsprojekte vorgesehen.
Unterstützung der realwirtschaftlichen Erholung und Folgen für die Staatsverschuldung
Finanzpolitische Impulse waren sowohl auf nationaler wie auch auf EU-Ebene ein wesentliches Element zur Abfederung der pandemiebedingten wirtschaftlichen Folgen. Ein vorübergehender starker Konjunktureinbruch war zwar aufgrund der Lockdown-Maßnahmen unvermeidlich, doch war es wichtig, durch den Schutz von Produktionskapazitäten und Arbeitsplätzen dauerhaften Schaden für die Wirtschaft abzuwenden. Die EU-weiten finanzpolitischen Maßnahmen gewährleisten gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen und private Haushalte in Europa, da sie jenen Mitgliedstaaten helfen, die besonders hart von der Krise betroffen sind und schon vor deren Ausbruch erhöhte Schuldenstände aufwiesen. Sofern der Finanzrahmen des NGEU-Programms vollständig ausgeschöpft wird, kann daraus ein kräftiger makroökonomischer Effekt von knapp 5 % des euroraumweiten BIP erwachsen. Es wird erwartet, dass etwa zwei Drittel der im Rahmen des NGEU gewährten Garantien in sechs Länder fließen, die jeweils Schuldenquoten von über 100 % verzeichnen.
Die finanzpolitischen Maßnahmen der EU lindern auch den Druck der Krise auf die öffentlichen Finanzen der einzelnen Länder. Das Wirken der automatischen Stabilisatoren, fiskalische Hilfsmaßnahmen und Liquiditätshilfen haben einen kräftigen Anstieg der Staatsverschuldung und des Finanzierungsbedarfs zur Folge. In diesem Umfeld trugen die europäischen Sicherheitsnetze und vor allem der ambitionierte europäische Aufbauplan sowie die unterstützenden geldpolitischen Maßnahmen zur Beruhigung der Finanzmärkte und zur Beibehaltung der sehr günstigen Finanzierungsbedingungen der Staaten bei. Die von der EU bereitgestellten fiskalischen Mittel könnten rund ein Drittel des aus der Krise resultierenden staatlichen Finanzierungsbedarfs in den hochverschuldeten Ländern des Euroraums abdecken und deren gemeldete Schulden bis 2026 um durchschnittlich rund 6 % des BIP verringern.
Ausweitung der Krise auf den Bankensektor vermeiden
Die Folgen der Covid-19-Krise für den Bankensektor sind derzeit noch nicht absehbar. Fest steht aber, dass die Kreditinstitute zu Beginn der Pandemie in einer ganz anderen Lage waren als bei Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008. Die Eigenkapital- und Liquiditätsquoten der Banken sind nunmehr in der Bankenunion deutlich höher und verleihen dem Sektor mehr Stabilität. Zudem war es der EZB-Bankenaufsicht aufgrund des geldpolitischen Instrumentariums und des Governance-Rahmens der Bankenunion möglich, wichtige politische Beschlüsse rasch zu verabschieden. Dies wiederum hatte große Auswirkungen auf die Fähigkeit der Institute, mögliche Verluste aufzufangen und gleichzeitig die Kreditvergabe an die Realwirtschaft aufrechtzuerhalten. Zu den beschlossenen Maßnahmen gehörten Einschränkungen der Dividendenausschüttungen und die Möglichkeit, Kapital- und Liquiditätspuffer in Anspruch zu nehmen.
Die finanzpolitischen Hilfspakete zugunsten der Realwirtschaft schützten die Banken im Berichtsjahr weitgehend davor, Verluste hinnehmen zu müssen. Dass diese Unterstützung auch weiterhin ihre Wirkung entfalten kann, ist von wesentlicher Bedeutung, da die krisenbedingten Maßnahmen keine Hilfen für den Finanzsektor vorsehen. Nach Maßgabe der von der EZB durchgeführten COVID-19 Vulnerability Analysis sollte der Bankensektor insgesamt über eine ausreichende Kapitalausstattung verfügen, um den Belastungen durch die Pandemie standhalten zu können. Gleichzeitig müssen die Behörden jederzeit bereit sein, weitere Maßnahmen einzuleiten, falls ein sehr negatives Szenario eintreten sollte.
Bedeutung für die europäische Integration
„Next Generation EU“ ist zwar als befristetes Instrument angelegt, doch allein die Möglichkeit, solche Hilfsmittel auch bei künftigen Krisen einsetzen zu können, ist als enorme Veränderung des politischen Instrumentariums der EU zu sehen. Europa stellt erstmals vorübergehend Mittel zur Verfügung, die durch gemeinsame Schulden finanziert werden, um finanzpolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene zu ergänzen. Dies eröffnet die Möglichkeit, in Zukunft auf vergleichbare Maßnahmen zurückzugreifen, sofern ähnlich außergewöhnliche Umstände eintreten.
Die befristete gemeinsame Schuldenaufnahme im Rahmen des NGEU markiert ebenso wie die im Kontext des SURE bereits praktizierte gemeinsame Schuldenaufnahme einen weiteren Schritt hin zur Schaffung eines sicheren europäischen Wertpapiers und einen großen Fortschritt bei der Stärkung der Rolle des Euro an den globalen Finanzmärkten, was auch dazu beitragen wird, die Kapitalmarktunion weiter voranzutreiben. Eine erfolgreiche Umsetzung des NGEU sollte zudem das Wachstum und die Konvergenz erheblich stärken und damit in Zukunft die weitere finanzpolitische Integration erleichtern.
4 Reibungsloser Betrieb der Marktinfrastrukturen und des Zahlungsverkehrs
Eine grundlegende Aufgabe des Eurosystems ist es, das reibungslose Funktionieren von Zahlungsverkehrssystemen zu gewährleisten. Diese Aufgabe ist eng mit den Zuständigkeiten des Eurosystems in den Bereichen Geldpolitik und Finanzstabilität verknüpft. Das Eurosystem spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung, beim Betrieb und bei der Überwachung der Marktinfrastrukturen und der Regelungen, die für Sicherheit und Effizienz im Zahlungsverkehr sowie bei Wertpapier- und Sicherheitentransaktionen im Euroraum sorgen. Darüber hinaus fördert das Eurosystem die Integration und Weiterentwicklung des Zahlungsverkehrs- und Wertpapiermarktes.
4.1 TARGET-Services
Die TARGET-Services des Eurosystems umfassen die folgenden drei Abwicklungsdienste: a) TARGET2, ein Echtzeit-Bruttozahlungssystem (RTGS-System) für die Abwicklung von auf Euro lautenden Zahlungen im Zusammenhang mit den geldpolitischen Geschäften des Eurosystems sowie von Interbank- und Kundenzahlungen, b) TARGET2-Securities (T2S), eine einheitliche Plattform für die europaweite Wertpapierabwicklung, und c) TARGET Instant Payment Settlement (TIPS), eine Infrastruktur, die es Zahlungsdienstleistern ermöglicht, ihren Kunden rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr Überweisungen in Echtzeit anzubieten.
TARGET2 wird von mehr als 1 000 Banken genutzt, um Transaktionen in Euro – entweder im eigenen Namen oder im Auftrag ihrer Kunden – zu veranlassen. Insgesamt sind weltweit mehr als 44 000 Banken (einschließlich Zweigstellen und Tochterbanken) über TARGET2 erreichbar. Pro Tag wurden 2020 in TARGET2 im Durchschnitt 345 006 Zahlungen mit einem Gesamtwert von 1,8 Billionen € durchgeführt.
TARGET2 soll 2022 durch T2 ersetzt werden
Da sich die Zahlungsverkehrslandschaft in den letzten zehn Jahren aufgrund technologischer Entwicklungen, neuer regulatorischer Vorgaben und veränderter Nutzeranforderungen maßgeblich gewandelt hat, plant das Eurosystem, TARGET2 durch die neue T2-Plattform zu ersetzen. Diese umfasst eine neue RTGS-Komponente und ein zentrales – und damit effizienteres – Liquiditätsmanagement. T2 wird den Nachrichtenstandard ISO 20022 verwenden und die Abwicklung von Zahlungen in unterschiedlichen Währungen ermöglichen.
In Abstimmung mit dem europäischen Finanzsektor wurde der Zeitrahmen für die Umsetzung des T2-Projekts des Eurosystems von 2021 auf 2022 verlängert. Grund dafür sind die mit der Covid-19-Pandemie verbundenen Herausforderungen sowie die Entscheidung seitens SWIFT, die weltweite Migration des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs auf ISO 20022 zu verschieben. 2020 ging das T2-Projekt in die interne Testphase, die Abnahmetests der verwendeten Software durch das Eurosystem vorsah. Ende 2020 wurde das RTGS-Benutzerhandbuch veröffentlicht.
Aus einer Initiative zur Harmonisierung des bislang äußerst fragmentierten Marktes für die europäische Wertpapierabwicklung entstand T2S. Dank dieser Plattform gehören komplexe grenzüberschreitende Abwicklungsverfahren und durch länderspezifische Abwicklungspraktiken verursachte Schwierigkeiten nunmehr der Vergangenheit an.
Die T2S-Plattform wird aktuell von 21 Wertpapier-Zentralverwahrern aus 20 europäischen Finanzmärkten genutzt und ermöglicht die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen in Euro und dänischer Krone. Pro Tag wurden 2020 von T2S im Durchschnitt 687 476 Transaktionen mit einem Gesamtwert von 672,53 Mrd € durchgeführt.[47] Von Anfang März bis Mitte April 2020 stieg die Anzahl der über die Plattform abgewickelten Geschäfte aufgrund der pandemiebedingten Unsicherheit außergewöhnlich stark an und erreichte am 16. März 2020 mit 1 088 815 durchgeführten Wertpapiertransaktionen einen Höchststand.
Im November 2020 wurde in T2S ein Sanktionsmechanismus eingeführt, der die an T2S teilnehmenden Zentralverwahrer bei der Erfüllung ihrer Pflichten gemäß Zentralverwahrerverordnung unterstützen soll (Stichwort: Abwicklungsdisziplin). Diese neue, komplexe Funktionalität soll auch 2021 im Hinblick auf das im Februar 2022 geplante Inkrafttreten der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung weiterhin getestet werden.
Im November 2018 startete der Betrieb von TIPS, das Ende 2020 von neun Euroraum-Märkten genutzt wurde und über das mehr als 3 800 Zahlungsdienstleister erreichbar waren. Im Juli 2020 kündigte die EZB bedeutende Maßnahmen zur Sicherstellung der europaweiten Verfügbarkeit von Echtzeitzahlungen im Rahmen von TIPS an, deren Umsetzung bis Ende 2021 erfolgen soll. Darüber hinaus unterzeichneten das Eurosystem und die Sveriges riksbank einen Vertrag, der es schwedischen Zahlungsdienstleistern dank der Mehrwährungsfunktionalität von TIPS ab Mai 2022 erlauben wird, elektronische Zahlungen in schwedischer Krone mittels des neuen Echtzeitzahlungsdienstes der schwedischen Zentralbank (RIX-INST) im Rahmen der TIPS-Infrastruktur abzuwickeln. 2020 stellte außerdem die Danmarks Nationalbank einen Antrag auf Nutzung des Zahlungssystems T2 und bekundete ihr Interesse, spätestens 2025 TIPS beitreten zu wollen.
Ferner wurde im Berichtsjahr die zukünftige Preispolitik für die T2-Plattform genehmigt und die Preispolitik für TIPS überprüft.
Die Leistungsfähigkeit der Marktinfrastrukturen des Eurosystems wurde bislang von der Covid-19-Krise nicht beeinträchtigt. Allerdings kam es im Lauf des Berichtsjahrs aus anderen Gründen zu operativen Störungen. Durch Folgemaßnahmen sollen diese künftig vermieden werden. Nach dem Systemausfall von TARGET2 am 23. Oktober 2020 kündigte die EZB eine unabhängige Prüfung an, bei der auch andere 2020 verzeichnete Störungen der TARGET-Services untersucht werden sollen. Die wichtigsten Ergebnisse der Prüfung werden den Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt und im zweiten Quartal 2021 veröffentlicht.
Zusätzlich zu den drei Abwicklungsdiensten ist derzeit ein weiteres TARGET-Service in Entwicklung, das sogenannte Eurosystem Collateral Management System (ECMS). Zielsetzung des ECMS-Projekts ist die Schaffung eines einheitlichen Sicherheitenmanagement-Systems, das die Verwaltung von Vermögenswerten, die als Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems hinterlegt werden, auf einer zentralen Plattform für alle Euro-Länder ermöglicht. 2020 endete die Spezifikationsphase des Projekts; die Inbetriebnahme von ECMS wurde infolge der Entscheidung, die Laufzeit des T2-Umsetzungsprojekts zu verlängern, auf November 2023 verschoben. Damit wurde den Bedenken der Markteilnehmer, dass das derzeit ungünstige Umfeld beiden Projektvorhaben entgegenstehen könnte, Rechnung getragen.
4.2 Das Überwachungsmandat des Eurosystems und seine Rolle als emittierende Zentralbank
Zur Gewährleistung sicherer und effizienter Finanzmarktinfrastrukturen und Zahlungen definiert das Eurosystem in einschlägigen Verordnungen, Standards, Leitlinien und Empfehlungen entsprechende Ziele. Seine Überwachungsaufgaben erfüllt es durch die Erhebung und Analyse relevanter Informationen vor dem Hintergrund der Überwachungsziele und die bedarfsbezogene Veranlassung von Änderungen.
Auch 2020 kam das Eurosystem seinem Mandat zur Überwachung systemrelevanter Zahlungsverkehrssysteme (SIPSs) nach, indem es nicht nur deren laufende Systemleistung und etwaige Systemänderungen, sondern auch deren Grad an Cyberresilienz überprüfte. Neben TARGET2, EURO1, STEP2-T und CORE(FR) wurde auch das Mastercard Clearing Management System als systemrelevant eingestuft. Darüber hinaus wurde ein öffentliches Konsultationsverfahren zur Überarbeitung der SIPS-Verordnung eingeleitet. Gegenstand der Konsultation war die Konkretisierung jener Kriterien, anhand derer festgelegt wird, welche Zentralbanken des Eurosystems als zuständige Behörden mit der Überwachung systemrelevanter Zahlungsverkehrssysteme betraut werden.
Neuer Rahmen für die Überwachung von elektronischen Zahlungsinstrumenten und Zahlverfahren (PISA-Rahmen)
Das Eurosystem sorgte auch weiterhin für die Überwachung von nicht als systemrelevant eingestuften Zahlungsverkehrssystemen, einschließlich Echtzeitzahlungssystemen und Zahlverfahren. Mit dem Bestreben, bestehende Überwachungsgrundsätze für elektronische Zahlungsinstrumente, Zahlverfahren und unterstützende Dienstleistungen zu harmonisieren und zukunftssicher zu gestalten, legte die EZB den neuen PISA-Überwachungsrahmen des Eurosystems zur öffentlichen Konsultation vor.
Im Zusammenhang mit seiner laufenden Überwachungstätigkeit im Hinblick auf Kartenbetrug veröffentlichte das Eurosystem seinen sechsten Bericht über Kartenbetrug. Aus dem Bericht ging hervor, dass die meisten betrügerischen Kartentransaktionen im Zeitraum 2014 bis 2018 weiterhin per Fernzugriff, d. h. per E-Mail, Telefon oder online, getätigt wurden.
Zudem führte das Eurosystem seine Bemühungen zur Stärkung der Widerstandskraft von Finanzmarktinfrastrukturen gegenüber Cyberattacken fort. So unterstützte es den Aufbau der Cyber Information and Intelligence Sharing Initiative (CIISI-EU) wie auch die derzeit laufende Einführung und Umsetzung des TIBER-EU-Rahmenwerks.
Im Bereich der Wertpapierabwicklung folgte der ersten umfassenden Prüfung der T2S-Plattform seit deren Inbetriebnahme eine Bewertung der vom Systembetreiber erzielten Fortschritte bei der Behebung der identifizierten Mängel. Darüber hinaus wurde die Umsetzung des Sanktionsmechanismus in T2S auf Grundlage der in der Zentralverwahrerverordnung vorgeschriebenen Abwicklungsdisziplin für an T2S teilnehmende Zentralverwahrer überprüft (siehe auch Kapitel 4 Abschnitt 1).
Im operativen Bereich konzentrierten sich die Überwachungsaktivitäten des Eurosystems insbesondere auf Betriebsstörungen der TARGET-Services im Lauf des Jahres 2020. Hierbei stand das Eurosystem im aktiven Dialog mit dem Systembetreiber, um die Störfälle sowie die Maßnahmen zu deren künftiger Vermeidung umfassend zu analysieren. Die Überwachung der operativen Leistung der Systeme wird auch im kommenden Jahr Priorität haben.
Bei den Finanzmarktinfrastrukturen waren pandemiebedingt keine größeren Betriebsstörungen während der Covid-19-Krise zu verzeichnen. Jedoch kam es im ersten Halbjahr 2020 gelegentlich zu Störungen in Lieferketten, die von Drittparteien in von der Covid-19-Pandemie stark betroffenen Gebieten ausgingen. Ebenso kam es zu leichten Verzögerungen bei der Erbringung bestimmter Dienstleistungen sowie zu Verlusten bei der Abwicklungseffizienz aufgrund außergewöhnlich hoher Abwicklungsvolumina während des Höhepunkts der Pandemie.
Die Pandemie und die damit einhergehende Marktvolatilität wirkten sich auch auf Zahlungs- und Abwicklungsmuster aus. So stiegen die Nachschussforderungen von zentralen Gegenparteien betragsmäßig stark an; dies führte mitunter bei jenen Marktteilnehmern zu Liquiditätsengpässen, deren Liquiditätsmanagement weniger stark auf angespannte Marktbedingungen vorbereitet war.
Gemäß Zentralverwahrerverordnung ist das Eurosystem als die den Euro ausgebende Zentralbank in den Zulassungsprozess für Wertpapier-Zentralverwahrer sowie in deren regelmäßige Überprüfung und Bewertung eingebunden. 2020 war das Eurosystem an sechs Zulassungsverfahren und 12 Überprüfungs- und Bewertungsprozessen beteiligt. Es ist die einzige Behörde, die in die Zulassung und Überprüfung aller Zentralverwahrer des Euro-Währungsgebiets involviert ist. In dieser Rolle trägt das Eurosystem zu einer einheitlichen Vorgehensweise in diesem Bereich bei und ist somit maßgeblich an der Gewährleistung der Sicherheit und Effizienz der Wertpapierabwicklung beteiligt.
Als die den Euro ausgebende Zentralbank wirkte das Eurosystem außerdem an der Tätigkeit von Aufsichtskollegien und Krisenmanagement-Gruppen für zentrale Gegenparteien mit. So trat die EZB den neuen von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) gegründeten Ausschüssen bei (CCP Supervisory Committee und CCP Policy Committee); ferner war sie an der Ausarbeitung des neuen Aufsichtsrahmens für zentrale Gegenparteien gemäß der geänderten Europäischen Marktinfrastrukturverordnung (EMIR 2) beteiligt – insbesondere im Zusammenhang mit dem Brexit. Darüber hinaus analysierte die EZB die prozyklischen Auswirkungen der Marktvolatilität auf zentrale Gegenparteien und deren Teilnehmer und brachte ihre Erkenntnisse in laufende wirtschaftspolitische Diskussionen ein. Im Hinblick auf die Verabschiedung des EU-Regelwerks zur Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien begann das Eurosystem mit entsprechenden Vorarbeiten, um seinen Aufgaben als die den Euro emittierende Zentralbank in Abwicklungskollegien nachzukommen. Die Arbeit des Eurosystems in diesem Bereich wird von der EZB koordiniert, da die Sanierungs- und Abwicklungsplanung für einzelne zentrale Gegenparteien eine umfassende Beurteilung der Systemrisiken erfordert.
4.3 Innovation und Integration prägen Marktinfrastrukturen und Zahlungsverkehr
Der Finanzsektor ist tiefgreifenden, von Innovation und Digitalisierung getriebenen Veränderungen unterworfen. So haben sich im Bereich des Massenzahlungsverkehrs neue Marktteilnehmer, neue Zugangskanäle zu Zahlungsdiensten sowie neue Möglichkeiten zur Zahlungsauslösung etabliert. Zudem konkurrieren neue, ursprünglich nicht im Finanzsektor bzw. in Europa angesiedelte Marktakteure mit traditionellen Marktteilnehmern. Wenngleich Offenheit gegenüber dem globalen Wettbewerb eine wichtige Triebfeder für Innovation ist, so birgt eine übermäßige Abhängigkeit von außereuropäischen Zahlungslösungen und ‑technologien für den Zahlungsverkehrsmarkt in Europa jedoch das Risiko, anfälliger für Störungen von außen – etwa gegenüber Cyberbedrohungen – zu werden. Zudem könnte der europäische Zahlungsverkehrsmarkt in seiner Fähigkeit, den Binnenmarkt und die Gemeinschaftswährung zu unterstützen, beeinträchtigt werden. Es gilt auch zu bedenken, dass Zahlungsdienstleister mit globaler Marktmacht nicht notwendigerweise im besten Interesse europäischer Marktteilnehmer handeln.
Die Strategie des Eurosystems für den Massenzahlungsverkehr umfasst Echtzeitzahlungen, eine europaweite Zahlungslösung und die mögliche Ausgabe eines digitalen Euro
Um das Innovationspotenzial der Digitalisierung auszuschöpfen und den zunehmenden Herausforderungen im Hinblick auf die Unabhängigkeit Europas am Zahlungsmarkt zu begegnen, hat das Eurosystem eine umfassende Strategie für den Massenzahlungsverkehr entwickelt. Die Kernelemente dieser Strategie betreffen die Implementierung von Echtzeitzahlungen, die Entwicklung einer europaweiten Zahlungslösung sowie die Prüfung der möglichen Ausgabe eines digitalen Euro (siehe Kasten 5).
Damit Echtzeitzahlungen allen Privatpersonen und Unternehmen nicht nur auf nationaler sondern auch auf europäischer Ebene zur Verfügung stehen, müssen mehr Zahlungsdienstleister das Regelwerk des SEPA-Überweisungssystems für Echtzeitzahlungen (SEPA Instant Credit Transfer Scheme – SCT Inst) übernehmen. Zudem gilt es, die europaweite Verfügbarkeit von Zahlungen in Echtzeit zu gewährleisten (siehe die Maßnahmen des Eurosystems zur Sicherung der europaweiten Verfügbarkeit von Echtzeitzahlungen in Kapitel 4 Abschnitt 1).
Das Eurosystem unterstützt zudem Maßnahmen zur Beseitigung der Fragmentierung bei Zahlungsauslösediensten für Endkunden und Zahlungen am Point of Interaction (POI) (d. h. Zahlungen an physischen Verkaufsstellen und E-Commerce-Zahlungen). Gefördert werden insbesondere Zahlungslösungen, die die 2019 formulierten Kernziele erfüllen: a) europaweite Ausrichtung, b) Kundenfreundlichkeit und Kosteneffizienz, c) Schutz und Sicherheit, d) europäische Identität und Governance sowie e) langfristig auch globale Reichweite. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Verbesserung grenzüberschreitender Zahlungen insbesondere über EU-Grenzen hinweg.
Auch 2020 befasste sich die EZB mit der Analyse von Krypto-Assets, wobei sie sich insbesondere mit vom privaten Sektor emittierten Stablecoins und deren Implikationen für Geldpolitik, Finanzstabilität, Marktinfrastrukturen und Zahlungsverkehr sowie Bankenaufsicht auseinandersetzte. Auf Basis dieser Analyse möchte die EZB umfassende wirtschaftspolitische Maßnahmen ausarbeiten und umsetzen, um möglichen nachteiligen Auswirkungen von Stablecoins auf den Zahlungsverkehr und das Finanzwesen in der EU entgegenzuwirken. Gleichzeitig sollen sichere Initiativen ermöglicht werden, die der Bevölkerung und Unternehmen in Europa zugutekommen. So unterstützt die EZB die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und insbesondere den vom Finanzstabilitätsrat veröffentlichten Fahrplan der G 20, der darauf abzielt, grenzüberschreitende Zahlungen, die häufig von Ineffizienz und Intransparenz gekennzeichnet sind, schneller, kostengünstiger, transparenter und inklusiver zu machen.
Um die Finanzmarktintegration in Europa weiter voranzutreiben, förderte das Eurosystem im Berichtsjahr zudem die marktweite Harmonisierung im Nachhandel. In Bezug auf die Harmonisierung des Sicherheitenmanagements lagen dem Eurosystem bis zur Jahresmitte die Anpassungspläne aller europäischen Märkte vor, für die die Standards des einheitlichen Regelwerks für das Sicherheitenmanagement in Europa (Single Collateral Management Rulebook for Europe – SCoRE) gelten werden. Darüber hinaus begann das Eurosystem mit der Ermittlung und Bewertung der bei der Einhaltung der SCoRE-Standards erzielten Fortschritte. Angesichts der Verlängerung der Laufzeit des ECMS-Projekts (siehe Kapitel 4 Abschnitt 1) wurde der Termin für die Umsetzung der SCoRE-Standards ebenfalls von November 2022 auf November 2023 verschoben.
Die EZB-Beratungsgruppe zu Marktinfrastrukturen für Wertpapiere und Sicherheiten setzte sich 2020 weiterhin für die Schaffung einer Kapitalmarktunion ein. Konkret legte sie dem hochrangig besetzten Fachgremium zur Schaffung einer Kapitalmarktunion (High-Level Forum) detaillierte Vorschläge zu Quellensteuer und Kapitalmaßnahmen vor.
Kasten 5
Ein digitaler Euro
Der durch die Digitalisierung getriebene Wandel der Finanzbranche (siehe Kapitel 4 Abschnitt 3) wirkt sich auch auf die Zahlungsmittel aus. Es gibt eine Reihe möglicher Szenarien, die Zentralbanken vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung dazu bewegen könnten, eine digitale Währung auszugeben, die alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen für ihre Zahlungen nutzen können.
Derzeit prüfen die EZB und die nationalen Zentralbanken des Euroraums gründlich, welche wirtschaftlichen, strategischen, technologischen und gesellschaftlichen Implikationen die Ausgabe eines digitalen Euro hätte. Ein für alle zugänglicher digitaler Euro könnte die Digitalisierung der europäischen Finanzmärkte und der europäischen Wirtschaft insgesamt unterstützen und deren strategische Unabhängigkeit stärken. Er könnte eine Ergänzung zum Euro-Bargeld darstellen, insbesondere wenn die Nutzung von Bargeld weiter zurückgeht. Zudem könnte mit einem digitalen Euro jenen Herausforderungen begegnet werden, die unter Umständen mit vom Privatsektor ausgegebenen Zahlungsmitteln bzw. mit von anderen Zentralbanken emittierten digitalen Währungen verbunden sind.
Darüber hinaus prüft das Eurosystem aktuell, welche Möglichkeiten und Herausforderungen ein digitaler Euro mit sich brächte, und wie Letzterer ausgestaltet sein könnte. Eine definitive Entscheidung zur Umsetzung hat das Eurosystem bislang jedoch noch nicht getroffen. Das Euro-Bargeld würde durch einen digitalen Euro nicht ersetzt, sondern ergänzt. All jenen, die Bargeld verwenden möchten, werden also in jedem Fall auch weiterhin Euro-Banknoten und -Münzen zur Verfügung stehen. Mit einem digitalen Euro hätte die breite Bevölkerung Zugang zu einem einfachen, risikofreien und verlässlichen digitalen Zahlungsmittel, dessen Verwendung für gewöhnliche Zahlungen kostenfrei und im gesamten Euro-Währungsgebiet möglich wäre.
Derzeit werden diverse Ausgestaltungsmöglichkeiten eines potenziellen digitalen Euro ermittelt. Grundsätzlich müssen eine Reihe von Prinzipien und Anforderungen erfüllt werden. Beispielsweise muss ein digitaler Euro leicht zugänglich, robust, sicher und effizient sein. Außerdem muss bei seiner Verwendung die Privatsphäre gewahrt sein, und einschlägige regulatorische Bestimmungen müssen eingehalten werden. Ferner muss sichergestellt sein, dass es durch die Ausgabe des digitalen Euro nicht zu unerwünschten Folgen kommt. So sollte der Euroraum durch einen digitalen Euro von Effizienzsteigerungen im Zahlungsverkehr profitieren können; nachteilige Auswirkungen auf die Geldpolitik und Finanzstabilität oder auf die vom Bankensektor erbrachten Dienstleistungen sollten dabei jedoch möglichst gering gehalten werden. Potenzielle Risiken könnten mittels verschiedener Mechanismen gemindert werden, etwa durch eine gestaffelte Verzinsung oder Obergrenzen für das Halten von digitalen Euro. Diese Optionen bedürfen weiteren Überprüfungen.
Im Oktober 2020 wurde ein öffentliches Konsultationsverfahren eingeleitet, um die Ansichten der breiten Öffentlichkeit und der Fachkreise in Bezug auf einen digitalen Euro einzuholen und ein hohes Maß an öffentlichem Vertrauen in etwaige neue vom Eurosystem ausgegebene Zahlungsmittel sicherzustellen. Parallel dazu setzte das Eurosystem seine Sondierungsarbeit, auch im Hinblick auf mögliche technische Lösungen, fort. 2021 wird das Eurosystem entscheiden, ob ein Projekt zum digitalen Euro auf den Weg gebracht wird.
5 Maßnahmen zur Unterstützung der Marktfunktionsfähigkeit und für andere Institutionen erbrachte Finanzdienstleistungen
Als Reaktion auf die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöste Notlage traf die EZB im März und April 2020 mit einigen anderen Zentralbanken Swap-Vereinbarungen zur Versorgung mit Liquidität in wichtigen internationalen Währungen. Im Sommer richtete die EZB weitere Swap- und Repo-Linien ein, um die Liquiditätsversorgung mit Euro zu verbessern. Die EZB intervenierte nicht an den Devisenmärkten; dies geht auch aus den seit Mai 2020 veröffentlichten Quartalsdaten zu den Devisenmarktinterventionen der EZB hervor.
Im Oktober 2020 jährte sich zum ersten Mal die erfolgreiche Veröffentlichung des Referenzzinssatzes Euro Short-Term Rate (€STR), mit dem die EZB zur Reform der Referenzzinssätze beiträgt. Der EONIA wird nach und nach durch den €STR ersetzt. Zudem setzte die EZB 2020 den wertvollen Dialog mit Finanzmarktteilnehmern über ihre Marktkontaktgruppen fort. Die daraus gewonnenen Markteinblicke trugen dazu bei, eine effizientere und wirksamere Umsetzung der Geldpolitik der EZB herbeizuführen.
Die EZB war auch 2020 für die Verwaltung verschiedener Finanzgeschäfte im Auftrag der EU zuständig und hatte im Rahmen der Dienstleistungen des Eurosystems im Bereich der Währungsreservenverwaltung weiterhin eine allgemeine Koordinierungsfunktion.
5.1 Entwicklung der Marktoperationen
Liquiditätslinien in Euro und in Fremdwährungen
Liquiditätslinien unterstützen die EZB dabei, ihr Preisstabilitätsziel zu erreichen, Euro-Liquiditätsengpässe zu verhindern und die Verwendung des Euro in grenzüberschreitenden Transaktionen zu fördern
Das Eurosystem stellt sicher, dass den außerhalb des Euroraums ansässigen Gegenparteien Liquidität in Euro zur Verfügung steht. Die entsprechenden Swap- und Repo-Vereinbarungen[48] helfen der EZB dabei, ihr Preisstabilitätsziel zu erreichen, Euro-Liquiditätsengpässe außerhalb des Eurogebiets zu vermeiden und damit zusammenhängenden Finanzstabilitätsrisiken vorzubeugen sowie die Verwendung des Euro in grenzüberschreitenden Finanz- und Handelstransaktionen zu fördern.[49] Überdies tragen die Swap- und Repo-Linien zur reibungslosen Transmission der Geldpolitik im Euroraum bei, indem sie einer potenziell von Finanzmarkturbulenzen ausgehenden Verschärfung der Kreditvergabebedingungen in einzelnen Euro-Ländern oder im Eurogebiet insgesamt entgegenwirken. Dies kommt nicht nur der gesamten europäischen Wirtschaft, sondern auch allen Bürgerinnen und Bürgern Europas zugute. Durch die Bereitstellung von Fremdwährungsliquidität für Gegenparteien im Euro-Währungsgebiet werden Anspannungen an den globalen Refinanzierungsmärkten abgebaut, was wiederum dazu beiträgt, deren Auswirkungen auf die Kreditversorgung der privaten Haushalte und Unternehmen innerhalb und außerhalb des Euroraums abzumildern.
Es gilt zu berücksichtigen, dass Swap- und Repo-Linien eine Absicherung gegen Liquiditätsengpässe darstellen. Im Rahmen der Bereitstellung von Euro-Liquidität für nicht im Euroraum ansässige Gegenparteien sollen diese Linien weder im Wettbewerb zu privaten Refinanzierungsmärkten stehen noch diese ersetzen. Allerdings kann das bloße Vorhandensein vorsorglich getroffener liquiditätszuführender Vereinbarungen eine beruhigende Wirkung auf die Märkte haben und zur Aufrechterhaltung geordneter Marktbedingungen beitragen.
Schaubild 2
Überblick über die Liquiditätslinien der EZB
Swap-Vereinbarungen zwischen den großen Zentralbanken stellen den wechselseitigen Zugang zur Währung der jeweils anderen Zentralbank sicher. In der Praxis werden die meisten dieser Vereinbarungen derzeit jedoch nicht oder nur einseitig genutzt. Bilaterale Swap-Linien zwischen der EZB und nicht dem Euroraum angehörenden Zentralbanken erlauben es Letzteren, ihre inländischen Gegenparteien mit Euro zu versorgen. Die Höhe der betreffenden Beträge ist in der Regel begrenzt; überdies wird davon ausgegangen, dass die mit Swap-Geschäften verbundenen Risiken bis zu einem gewissen Grad durch die eingehenden Zahlungen gemindert werden. Im Zuge einer koordinierten Aktion mit anderen wichtigen Zentralbanken (der Bank of Canada, der Bank of England, der Bank von Japan, der Federal Reserve und der Schweizerischen Nationalbank) gab die EZB am 15. März 2020 bekannt, dass sie zusätzlich zu bestehenden Geschäften in US-Dollar mit einwöchiger Laufzeit nun auch wöchentliche Geschäfte zur Versorgung mit US-Dollar-Liquidität mit einer Laufzeit von 84 Tagen anbieten und den Zinssatz für alle Geschäfte in US-Dollar senken werde. Nach dieser Ankündigung bot die EZB Geschäfte mit Laufzeiten von 7 und 84 Tagen an, deren Frequenz (täglich, wöchentlich oder monatlich) an das jeweilige Finanzmarktumfeld angepasst wurde.
Am 20. März 2020 kündigte die EZB an, dass sie die bestehende bilaterale Swap-Linie mit Danmarks Nationalbank wieder reaktivieren und den Höchstbetrag, der von der dänischen Notenbank aufgenommen werden kann, auf 24 Mrd € anheben werde. Im April schloss die EZB zudem neue bilaterale Swap-Vereinbarungen mit der Hrvatska narodna banka und der Българска народна банка (der Bulgarischen Nationalbank) ab, die es beiden Zentralbanken erlaubt, inländische Gegenparteien mit Euro-Liquidität bis zu einer Obergrenze von jeweils 2 Mrd € zu versorgen.
Auch mit einer Reihe von Zentralbanken außerhalb des Euroraums richtete die EZB im Lauf des Jahres 2020 bilaterale Repo-Linien ein (siehe Tabelle 2). Überdies führte die EZB am 25. Juni 2020 die Eurosystem Repo Facility for Central Banks (EUREP) und damit einen allgemeinen Rahmen ein, zu dem ein weit gefasster Kreis von nicht zum Euroraum gehörenden Zentralbanken Zugang hat. Im Rahmen dieser Fazilität können Zentralbanken Euro-Liquidität gegen adäquate Sicherheiten in Form von auf Euro lautenden marktfähigen Schuldtiteln aufnehmen, die von im Euroraum befindlichen Zentralstaaten und supranationalen Institutionen begeben wurden.
Tabelle 2
Überblick über die 2020 eingerichteten bilateralen Repo-Linien
Beitrag der EZB zur Reform der Referenzzinssätze
Die EZB trug weiterhin in zweierlei Hinsicht wesentlich zur Reform der Referenzzinssätze des Euroraums bei: zum einen durch die Bereitstellung eines robusten und zuverlässigen Referenzzinssatzes, des Euro Short-Term Rate (€STR), und zum anderen durch das Vorantreiben von Marktinitiativen mithilfe der vom Privatsektor eingerichteten Arbeitsgruppe zu risikofreien Euro-Zinssätzen, deren Sekretariat die EZB stellt.
Der €STR wurde am 2. Oktober 2019 eingeführt. Er bildet die Kosten für die unbesicherte Aufnahme von Euro-Tagesgeld im Großkundengeschäft von Banken im Euroraum ab und basiert zur Gänze auf vertraulichen statistischen Daten zu Geldmarkttransaktionen, die täglich gemäß der Verordnung über Geldmarktstatistiken gesammelt werden.
Nach dem ersten Jahr der Veröffentlichung führte die EZB eine Überprüfung der Methodik zur Berechnung des €STR durch. Damit kam sie ihrer in Artikel 15 Absatz 2 der Leitlinie zum €STR festgeschriebenen Verpflichtung nach, mindestens jährlich zu überprüfen, ob Änderungen des zugrunde liegenden Marktes Änderungen des Zinssatzes und seiner Ermittlung erfordern. Im Zuge der Überprüfung wurde untersucht, ob der €STR die dem Geldmarkt zugrunde liegende Dynamik korrekt abbildet, auf einem ausreichend großen Datenvolumen basiert und die Marktzinsen unverzerrt widerspiegelt. Die EZB kam zu dem Schluss, dass mit der Methodik der festgelegte zugrunde liegende Zinssatz korrekt gemessen wurde und die Grundlage für die Ermittlung der Kosten für die unbesicherte Aufnahme von Euro-Tagesgeld weiterhin angemessen war.
Angesichts der Robustheit und Relevanz des €STR werden Marktteilnehmer dazu angehalten, den €STR sowohl auf Cash-Produkte als auch auf Derivate anzuwenden, da der EONIA am 3. Januar 2022 eingestellt wird. Um eine breitere Nutzung des €STR, auch in Ersatzbestimmungen für an den EURIBOR gekoppelte Kontrakte, zu fördern und zu unterstützen, hat die EZB beschlossen, durchschnittliche vergangenheitsbezogene €STR-Zinssätze mit Aufzinsung sowie einen Index auf Basis des €STR mit Aufzinsung zu veröffentlichen.[50]
Zugleich hat die Arbeitsgruppe zu risikofreien Zinssätzen wesentlich zur Erarbeitung von Ausfalllösungen für den EURIBOR beigetragen, die im Falle einer dauerhaften Einstellung des EURIBOR wirksam werden. Neben der Veröffentlichung von Empfehlungen zu Ersatzlösungen für den EURIBOR ist die Arbeitsgruppe damit beauftragt, Marktteilnehmer beim Übergang vom vielfach genutzten EONIA auf den €STR zu unterstützen. Im Anschluss an zwei öffentliche Konsultationen zu Ausfalllösungen für den EURIBOR und Auslöseereignissen für die Anwendung von Ausfalllösungen für den EURIBOR wird die Arbeitsgruppe ihre Empfehlungen zu den am besten geeigneten EURIBOR-Ersatzlösungen für jede Anlageklasse sowie eine Aufstellung allgemeingültiger Ereignisse, die einen Ersatz des EURIBOR erforderlich machen, voraussichtlich im zweiten Quartal 2021 veröffentlichen. Die Marktteilnehmer sind zur Kenntnisnahme dieser Empfehlungen und zu deren Berücksichtigung bei der Planung ihrer Ausfalllösungen aufgefordert.
Marktkontaktgruppen
Das Jahr 2020 brachte besondere Herausforderungen und unvorhergesehene Entwicklungen an den Finanzmärkten mit sich. In dieser mit erhöhter Unsicherheit verbundenen Zeit maß die EZB dem strukturierten Austausch mit Finanzmarktteilnehmern im Rahmen ihrer Marktkontaktgruppen großen Wert bei. So wurden die Bond Market Contact Group, die Foreign Exchange Contact Group, die Money Market Contact Group und die ECB Operations Managers Group mehrfach zu Ad-hoc-Sitzungen geladen, um sich über die laufenden Entwicklungen an den Finanzmärkten und deren Funktionsfähigkeit auszutauschen. Die Marktteilnehmer waren dazu aufgefordert, ihre Standpunkte offen zur Diskussion zu stellen; dank der von ihnen geäußerten Bedenken konnte die EZB potenzielle Schwachstellen im Finanzsystem identifizieren und die systemische Widerstandsfähigkeit – insbesondere während des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie in Europa im Frühjahr 2020 – beurteilen. Die gewonnenen Erkenntnisse trugen dazu bei, die Effizienz und Effektivität bei der Umsetzung der Geldpolitik der EZB zu erhöhen.
Berichterstattung über Devisenmarktinterventionen
Im September 2019 beschloss der EZB-Rat, zusätzliche Daten zu den Devisenmarktinterventionen der EZB zu veröffentlichen. Diese Daten stehen seit Mai 2020 in Tabellenform auf der EZB-Website und im Statistical Data Warehouse zur Verfügung. Sie werden vierteljährlich – mit jeweils einem Quartal Verzögerung – aktualisiert; zudem werden die in den vierteljährlichen Tabellen veröffentlichten Informationen jährlich im EZB-Jahresbericht zusammengefasst (siehe Tabelle 3). Wenn keine Devisenmarktinterventionen während des vierteljährlichen Betrachtungszeitraums erfolgt sind, wird auch dies in der Tabelle explizit festgehalten.
Die EZB intervenierte 2020 nicht am Devisenmarkt. Seit Einführung des Euro wurden bisher zwei Devisenmarktinterventionen vorgenommen, und zwar in den Jahren 2000 und 2011.
Tabelle 3
Devisenmarktinterventionen der EZB
Der Berichtsrahmen umfasst neben den Devisenmarktinterventionen, die die EZB unilateral oder in Abstimmung mit anderen Behörden getätigt hat, auch jene an den Interventionspunkten im Rahmen des Wechselkursmechanismus (WKM II).
5.2 Verwaltung von Anleihe- und Darlehensgeschäften der EU
Die EZB wickelt Zahlungen im Zusammenhang mit diversen Kreditprogrammen der EU ab
Die EZB ist für die Verwaltung jener Anleihe- und Darlehensgeschäfte zuständig, die von der EU im Rahmen der Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands (MTFA)[51], des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM)[52] und des Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE)[53] abgeschlossen wurden.
Im Berichtsjahr wickelte die EZB Zinszahlungen im Zusammenhang mit MTFA-Krediten ab. Zum 31. Dezember 2020 beliefen sich die gesamten Außenstände im Rahmen der MTFA auf 200 Mio €. Außerdem wickelte die EZB 2020 diverse Zahlungen und Zinszahlungen im Zusammenhang mit EFSM-Krediten ab. Die Außenstände im Rahmen des EFSM betrugen zum 31. Dezember 2020 insgesamt 46,8 Mrd €. Überdies wickelte die EZB im Berichtsjahr die Auszahlung von SURE-Darlehen an Mitgliedstaaten ab. Zum 31. Dezember 2020 beliefen sich die Außenstände im Rahmen dieser Fazilität auf 39,5 Mrd €.
Die EZB ist ferner für die Verwaltung von Zahlungen im Zusammenhang mit Geschäften im Rahmen der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF)[54] und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)[55] zuständig. Im Berichtsjahr wickelte sie mehrere Zins- und Gebührenzahlungen im Zusammenhang mit zwei EFSF-Krediten ab.
Die EZB ist auch für die Abwicklung sämtlicher Zahlungen im Zusammenhang mit der Kreditrahmenvereinbarung für Griechenland verantwortlich.[56] Zum 31. Dezember 2020 beliefen sich die gesamten Außenstände im Rahmen dieser Vereinbarung auf 52 193,75 Mio €.
5.3 Dienstleistungen des Eurosystems im Bereich der Währungsreservenverwaltung
Eine Reihe von Eurosystem-Zentralbanken leistet ERMS-Finanzdienstleistungen
Seit 2005 können Kunden des Eurosystems ihre auf Euro lautenden Währungsreserven vom Eurosystem verwalten lassen, wofür auch 2020 ein breites Spektrum an Finanzdienstleistungen im Rahmen der Eurosystem Reserve Management Services (ERMS) zur Verfügung stand. Einige nationale Zentralbanken des Eurosystems bieten für außerhalb des Euroraums ansässige Zentralbanken, Währungs- und Regierungsbehörden sowie internationale Organisationen ERMS-Finanzdienstleistungen zu harmonisierten Geschäftsbedingungen gemäß marktüblichen Standards an. Die EZB erfüllt allgemeine Koordinierungsaufgaben, überwacht den reibungslosen Betrieb der ERMS-Dienstleistungen, fördert Maßnahmen zur Verbesserung des ERMS-Rahmens und berichtet an den EZB-Rat.
Die Anzahl der ERMS-Kundenkonten lag Ende 2020 bei 260 gegenüber 273 im Jahr davor. Der vom Eurosystem im Rahmen der ERMS verwaltete aggregierte Vermögensbestand (darunter Barvermögen und Wertpapierbestände) erhöhte sich im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr in etwa um 1,7 %.
Im Berichtsjahr wurde der rechtliche Rahmen der ERMS aktualisiert, um stärkere Anreize für eine transparente Berichterstattung und den Informationsaustausch innerhalb des Eurosystems im Zusammenhang mit der Bereitstellung von ERMS-Dienstleistungen zu schaffen.
6 Mehr Banknoten und Zahl der Fälschungen auf Rekordtiefstand
Die EZB und die nationalen Zentralbanken (NZBen) des Euroraums sind für die Bereitstellung von Euro-Banknoten innerhalb des Eurogebiets, für die Gewährleistung der Verfügbarkeit von Euro-Bargeld und für die Wahrung des Vertrauens in die Gemeinschaftswährung verantwortlich. Trotz der Auswirkungen der Pandemie auf den Konsum und das Zahlungsverhalten stieg der mengenmäßige Euro-Banknotenumlauf 2020 erneut kräftig an. Zugleich sank die Anzahl der aus dem Verkehr gezogenen Fälschungen auf einen historischen Tiefstand.
6.1 Euro-Banknoten weiterhin stark nachgefragt
Der mengen- und wertmäßige Euro-Banknotenumlauf ist seit dem Jahr 2002 kontinuierlich gestiegen – im Allgemeinen sogar rascher als das Wirtschaftswachstum
Im Jahr 2020 erhöhte sich der Euro-Banknotenumlauf mengen- und wertmäßig um rund 10 %. Zum Jahresende waren 26,5 Milliarden Euro-Banknoten mit einem Gesamtwert von 1 435 Mrd € im Umlauf (siehe Abbildung 21 und 22). Gemessen an der Stückzahl bzw. am Wert entfiel nahezu die Hälfte aller im Umlauf befindlichen Euro-Banknoten auf den 50-€-Schein. Nachdem Covid-19 Mitte März zur Pandemie erklärt worden war, stieg die Bargeldnachfrage – vor allem nach den Stückelungen 200 € und 100 € – einige Wochen lang äußerst kräftig an, da die Bargeldbestände aus Vorsichtsmotiven aufgestockt wurden. In den darauffolgenden Monaten gingen die regelmäßigen Bargeldabhebungen der Kreditinstitute und ihre Bareinzahlungen bei NZBen infolge der Lockdown-Maßnahmen und der Veränderungen im Zahlungsverhalten zurück. Dies führte dazu, dass das Volumen des Bargeldkreislaufs im weiteren Jahresverlauf 2020 gegenüber dem Vorjahr um bis zu 20 % schrumpfte. Dennoch stieg die Anzahl der im Umlauf befindlichen Banknoten im Verlauf des Berichtsjahrs kontinuierlich an. Verantwortlich hierfür waren hauptsächlich die höhere Unsicherheit und die allgemeine Tendenz, in Krisensituationen Banknoten zu horten.
Abbildung 21
Mengen- und wertmäßiger Euro-Banknotenumlauf
Abbildung 22
Wertmäßiger Euro-Banknotenumlauf nach Stückelung
Ein bedeutender Anteil an Euro-Banknoten (gemessen am Wert) wird außerhalb des Euroraums gehalten
Aus einer aktuellen Studie geht hervor, dass der wertmäßige Anteil des gesamten Euro-Banknotenumlaufs, der sich außerhalb des Eurogebiets befindet, zwischen 30 % und 50 % beträgt. In der Studie wird belegt, dass diese Banknoten sowohl der Wertaufbewahrung dienen als auch zu Transaktionszwecken genutzt werden.
Für die Herstellung der Euro-Banknoten sind die NZBen des Euroraums gemeinsam zuständig; im Jahr 2020 wurden sie mit der Produktion von etwa 5,7 Milliarden Banknoten betraut.
Der gesamte Euro-Münzumlauf erhöhte sich im Berichtsjahr um 2 % auf 138 Milliarden Stück (Jahresendstand). Der Gesamtwert des Münzumlaufs betrug 30 Mrd € und war somit 1,4 % höher als Ende 2019.
Die Kreditinstitute lieferten im Berichtsjahr 25,0 Milliarden Banknoten mit einem Gesamtwert von rund 800 Mrd € bei den NZBen des Euroraums ein. 12,0 % dieser Banknoten (d. h. 3,0 Milliarden Stück) wurden durch neue ersetzt, um die hohe Qualität der im Umlauf befindlichen Scheine zu erhalten.
6.2 Bargeldnutzung durch die Bürgerinnen und Bürger
Untersuchung zur Bargeldnutzung im Euroraum
Im Jahr 2019 führte die EZB ihre zweite Studie zum Zahlungsverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher im Eurogebiet durch (SPACE), um die Nutzung von baren und unbaren Zahlungsmitteln zu beurteilen. Der Studie zufolge wurden 73 % aller an der Kasse getätigten Zahlungen und gemeldeten Transaktionen zwischen Privatpersonen in bar abgewickelt. Wertmäßig entfielen auf Barzahlungen 48 % des gesamten Transaktionswerts. An zweiter Stelle folgten Kartenzahlungen mit einem Anteil von 41 %.
Bargeld bleibt wichtiges Zahlungsmittel
Die Studie zeigte überdies, dass die Option, auch weiterhin bar zahlen zu können, für 55 % der Befragten wichtig oder sehr wichtig ist und dass 34 % der Teilnehmenden Bargeldreserven zu Transaktions- oder Sparzwecken unterhalten.
Eine euroraumweite Studie vom Juli 2020 kam zu dem Ergebnis, dass die Covid-19-Pandemie einen starken Einfluss auf das Zahlungsverhalten der Konsumentinnen und Konsumenten hatte: 40 % der Befragten gaben an, weniger Bargeldzahlungen als früher vorzunehmen. Die Tatsache, dass bargeldloses Zahlen bequemer geworden ist, wurde als Hauptgrund für den pandemiebedingten Wandel beim Zahlungsverhalten genannt.
Verfügbarkeit und Akzeptanz von Euro-Bargeld erhalten
Das Eurosystem will mit der Bargeldstrategie 2030 den guten Bargeldzugang und die Akzeptanz von Bargeld als Zahlungsmittel sicherstellen
Um das Vertrauen in die Euro-Banknoten und -Münzen aufrechtzuerhalten und zu gewährleisten, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin frei entscheiden können, wie sie bezahlen möchten, hat der EZB-Rat im Jahr 2020 eine neue Bargeldstrategie verabschiedet. Diese im Dezember 2020 veröffentlichte Bargeldstrategie 2030 des Eurosystems definiert die Prioritäten und strategischen Ziele, die in den kommenden Jahren verfolgt werden. Sie soll sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen im Euroraum weiterhin guten Zugang zu den Bargelddienstleistungen haben und dass Bargeld ein allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel bleibt. Weitere wichtige Elemente, die in der Strategie angesprochen werden, sind die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Euro-Banknoten und die laufende Entwicklung innovativer und sicherer Banknoten.
Um diese Ziele zu erreichen, hat das Eurosystem eine Analyse der Vor-Ort-Verfügbarkeit von durch Banken bereitgestellten Bargelddienstleistungen sowie der Entwicklung der Standardgebühren, die Kreditinstitute ihren Kundinnen und Kunden für Bareinzahlungen und -abhebungen verrechnen, in Angriff genommen. Darüber hinaus traten die EZB und die NZBen in einen engen Dialog mit den Banken und anderen am Bargeldkreislauf Beteiligten zum Thema angemessene Bargelddienstleistungen. Hintergrund ist, dass den Kreditinstituten weiterhin die Schlüsselrolle in der Bargeldlogistik für den Massenzahlungsverkehr und bei der Überprüfung der Echtheit und Qualität der im Umlauf befindlichen Banknoten zukommen wird. Nach dem Ausbruch der Pandemie wurden von der EZB und den NZBen in enger Zusammenarbeit mit allen Bargelddienstleistern besondere Anstrengungen unternommen, die mit den Lockdowns verbundenen Herausforderungen zu meistern und ihre negativen Auswirkungen auf den Bargeldkreislauf in den Mitgliedstaaten zu verringern.
Kaum Übertragung des Coronavirus über Banknoten
Risiko einer Covid-19-Ansteckung durch Bezahlen mit Bargeld vernachlässigbar
Seit dem Auftreten von Covid-19 arbeitet die EZB eng mit mehreren Labors zusammen um festzustellen, welche Rolle die Bargeldverwendung möglicherweise bei der Ausbreitung des Virus spielt. Zwei zusammenhängende, aber verschiedenartige Aspekte wurden hierbei beleuchtet: erstens, wie lange das Virus auf der Oberfläche von Banknoten und Münzen überleben kann (Überlebensfähigkeit), zweitens, welche Virusmenge beim Anfassen von Bargeld übertragen werden kann (Übertragbarkeit). Durch die Ergebnisse dieser Untersuchungen wird die bereits von zahlreichen wichtigen Organisationen vertretene Ansicht gestützt, dass die Gefahr einer Übertragung durch die Verwendung von Bargeld gering ist. Die Tests zeigten, dass die Virusmenge, die potenziell beim Bezahlen mit Bargeld übertragen wird, so gering ist, dass das Ansteckungsrisiko unerheblich ist.
6.3 Fälschungsaufkommen bei Euro-Banknoten auf historischem Tiefstand
Die Zahl der Euro-Banknotenfälschungen fiel im Jahr 2020 auf ihren tiefsten Stand seit 2003. Rund 460 000 gefälschte Banknoten wurden aus dem Verkehr gezogen. Gemessen an der Anzahl der im Umlauf befindlichen echten Euro-Banknoten befand sich der Anteil der Fälschungen mit 17 Scheinen je Million auf historisch niedrigem Niveau (siehe Abbildung 23).
Abbildung 23
Anzahl der Euro-Banknotenfälschungen je Million im Umlauf befindlicher echter Euro-Banknoten
Bevorzugtes Ziel der Fälscher sind die 20-€- und die 50-€-Banknoten, auf die im Berichtsjahr in Summe zwei Drittel aller sichergestellten Fälschungen entfielen. Am häufigsten wird mittlerweile nicht mehr die 50-€-Banknote, sondern die 20-€-Note gefälscht. Auch der Anteil der Fälschungen von geringer Qualität ist gestiegen. Sie sind leicht zu erkennen, weil sie keine Sicherheitsmerkmale aufweisen oder diese nur laienhaft nachgeahmt sind.
Die EZB rät der Bevölkerung auch in Zukunft zur Wachsamkeit bei der Entgegennahme von Banknoten und empfiehlt FÜHLEN-SEHEN-KIPPEN
Obwohl sich die Qualität der Fälschungen verschlechtert hat, rät die EZB den Bürgerinnen und Bürgern, bei der Entgegennahme von Banknoten auch weiterhin wachsam zu sein, und empfiehlt, diese nach dem Prinzip FÜHLEN-SEHEN-KIPPEN zu prüfen und sich nicht nur auf ein einziges Sicherheitsmerkmal zu verlassen. Außerdem bietet die EZB innerhalb wie auch außerhalb Europas regelmäßig Schulungen für professionelle Bargeldakteure an und unterstützt den Kampf des Eurosystems gegen Geldfälschungen, indem sie der Bevölkerung aktuelle Informationsmaterialien zur Verfügung stellt. Auch die Zusammenarbeit der EZB mit Europol, Interpol und der Europäischen Kommission dient diesem Ziel.
7 Statistiken
Die EZB konzipiert, erhebt, erstellt und veröffentlicht mit Unterstützung der nationalen Zentralbanken (NZBen) eine breite Palette von Statistiken und Daten, die eine wichtige Basis für die Geldpolitik der EZB sowie für die Erfüllung finanzstabilitätsbezogener und verschiedener anderer Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) darstellen. Diese Statistiken werden auch von öffentlichen Stellen, internationalen Organisationen, Finanzmarktteilnehmern, den Medien und der Bevölkerung genutzt und tragen dazu bei, die Tätigkeit der EZB noch transparenter zu machen.
Dieses Kapitel befasst sich schwerpunktmäßig damit, wie der Meldeaufwand für Banken gering gehalten werden kann, während die Qualität der statistischen Daten gewahrt wird. Ferner geht es um neue Statistiken des Euro-Währungsgebiets und um die Bereitstellung von Daten und Statistiken während der Covid-19-Pandemie. In Kasten 6 wird die Einhaltung der von der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) entwickelten Prinzipien für Finanzmarkt-Referenzwerte in Bezug auf den Tagesgeld-Referenzzinssatz €STR erläutert. Kasten 7 beschäftigt sich mit der Überarbeitung internationaler statistischer Standards, die zum Ziel hat, Entwicklungen, die bedeutende Auswirkungen auf Politik und Rolle der Zentralbanken haben, Rechnung zu tragen.
7.1 Strategische Ziele im Meldewesen: Kosten verringern und Qualität erhöhen
Das ESZB legte Vorschläge zur Reduktion des Meldeaufwands und Erhöhung der Datenqualität sowie zur Synchronisierung mit Arbeiten am IReF vor
In seinem Beitrag zum Bericht der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) über die Machbarkeit eines integrierten Meldewesens für Banken legte das ESZB seine Strategie zur Erhebung von Bankdaten (siehe Schaubild 3) dar. Außerdem präsentierte es Vorschläge, wie der Aufwand für Banken bei der Meldung von Daten in den Bereichen Statistik, Abwicklung und Aufsicht reduziert werden kann, ohne dass dabei Informationen, die für die Erfüllung geldpolitischer, abwicklungsspezifischer und aufsichtlicher Aufgaben unverzichtbar sind, verloren gehen.[57]
Diese Vorschläge umfassen:
- einen gemeinsamen standardisierten Datenkatalog und ein einheitliches Datenmodell für statistische, abwicklungsspezifische und aufsichtliche Informationspflichten;
- verfahrenstechnische Verbesserungen, wie etwa die Beseitigung doppelter Datenanfragen und einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Behörden;
- eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den europäischen Behörden sowie zwischen den Behörden und dem Bankensektor, um ein einheitliches Datenmodell und optimierte Verfahren umzusetzen.
Das ESZB schlug außerdem eine Synchronisierung mit den Arbeiten am integrierten Meldewesen (Integrated Reporting Framework – IReF) vor.
Schaubild 3
ESZB-Strategie zur Erhebung von Bankdaten
7.2 Neue und verbesserte Euroraum-Statistiken
Trotz der Covid-19-Pandemie setzte die EZB ihre Pläne zur Bereitstellung neuer Statistiken um
Am 7. April 2020 veröffentlichte die EZB erstmals konsistente Zahlungsbilanz- und Leistungsbilanzstatistiken für den Euroraum, wodurch die kombinierte Verwendung dieser beiden Datensätze für Analysezwecke erleichtert wurde.
Am 1. Juli 2020 aktualisierte die EZB die effektiven Euro-Wechselkurse und harmonisierten Indikatoren der Wettbewerbsfähigkeit sowie die zugrunde liegenden Außenhandelsgewichte.
Des Weiteren entwickelte die EZB 2020 neue Kommunikationsinstrumente, die der breiten Öffentlichkeit den Zugang zu EZB-Daten und -Statistikprodukten erleichtern sollen. Im Zuge dessen wurde die erste interaktive Online-Publikation der EZB veröffentlicht: Einblicke in die Statistik: Geld-, Kredit- und Notenbankzinsen bietet eine Kombination aus Visualisierungen, leicht verständlichem Text und interaktiven Grafiken in 23 EU-Sprachen. Die dort veröffentlichten Statistiken des Euroraums und der einzelnen Mitgliedstaaten werden mit jedem neuen Daten-Release in Echtzeit aktualisiert. In einem am Weltstatistiktag veröffentlichten Blogpost erläuterte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel den strategischen Wert hochwertiger Daten und Statistiken für die Politik der EZB.
7.3 Bereitstellung von Daten und Statistiken während der Pandemie
Die EZB musste zur Bekämpfung der von Covid-19 ausgelösten Krise ihre Statistiken anpassen
Mit der Covid-19-Pandemie kamen auf die Politik beispiellose Herausforderungen zu. Um die Maßnahmen der EZB zur Bekämpfung der Krise in Echtzeit und unter höchst unsicheren Bedingungen zu kalibrieren, mussten Näherungswerte auf Hochfrequenz-Basis für die Wirtschaftstätigkeit und statistische Standardindikatoren laufend beobachtet werden. Auch für die Meldepflichtigen und die für die Erhebung statistischer Daten Zuständigen ergaben sich durch die Pandemie beträchtliche Herausforderungen unterschiedlicher Natur.
Gemeinsam identifizierten die EZB und Eurostat die wichtigsten aktuellen Schwierigkeiten bei der Erstellung der Zahlungsbilanzstatistik; dazu zählten die Aussetzung von Direkterhebungen an der Grenze, geringere Rücklaufquoten und Verzögerungen aufseiten direkt Meldender (vor allem nichtfinanzieller Unternehmen) sowie schlechtere Qualität bei Verwaltungsdaten (z. B. Mehrwertsteuererstattungen) und Jahresabschlüssen bzw. Verzögerungen beim Zugang zu diesen Daten. Es wurde eine Aufstellung von Datenquellen erörtert, die alternativ genutzt werden könnten, um die entstandenen Lücken zu verkleinern, und die Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit unter den Datenproduzenten geschaffen.
Der durchgehenden Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs im Bereich Statistiken und Aufsichtsdaten des ESZB und des Europäischen Statistischen Systems (ESS) kam in diesem Zusammenhang wesentliche Bedeutung zu.
Die Zusammenarbeit mit den Berichtspflichtigen, den NZBen, dem ESS und Eurostat erwies sich als essenziell
Im April nahm die EZB einige Anpassungen bei den Meldeanforderungen vor und lud Vertreterinnen und Vertreter der NZBen und Meldepflichtigen ein, gemeinsam innerhalb des geltenden Rechtsrahmens pragmatische Lösungen zu suchen, die gewährleisten, dass die Datenmeldungen innerhalb eines für die Meldenden bewältigbaren Volumens bleiben und gleichzeitig die Qualität der statistischen Informationen auf dem erforderlichen Niveau gehalten wird.[58] Darüber hinaus arbeitete die EZB in Bezug auf Datenquellen und Schätzmethoden eng mit den NZBen, Eurostat und den nationalen Statistikämtern zusammen, um gemeinsame Methoden zur Minimierung von Qualitätsverlusten und potenziellen Problemen bei der Vergleichbarkeit über Länder oder Regionen hinweg zu entwickeln.
Von der EZB erhobene granulare Daten ermöglichten detaillierte und zeitnahe Analysen
Die Flexibilität, die dank der von der EZB und den NZBen erhobenen granularen Daten erzielt wird, kam auch der Entwicklung zahlreicher vom EZB-Rat zur Abfederung der Auswirkungen der Pandemie ergriffenen Maßnahmen zugute. Die EZB passte außerdem ihre Datenproduktion an, um ihre geldpolitische Reaktion angemessen kalibrieren zu können. Dies betraf u. a.
- die Verarbeitung von Kreditvergabedaten, die bei an gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften teilnehmenden Banken erhoben wurden, und
- die Erstellung von Tagesdaten zu Bruttoemissionen, Tilgungen und ausstehenden Beträgen von Staatsanleihen der Euro-Länder, um die EZB-Programme zum Ankauf von Vermögenswerten zu kalibrieren.
Kasten 6
€STR entspricht IOSCO-Prinzipien
Die Einhaltung der von der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) erstellten Prinzipien für Finanzmarkt-Referenzwerte in Bezug auf den Tagesgeld-Referenzzinssatz €STR stellt sicher, dass der €STR-Kontrollrahmen im Einklang mit international bewährten Verfahren steht.
Am 30. September 2020 veröffentlichte die EZB ihre Erklärung betreffend die Einhaltung der IOSCO-Prinzipien, die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers einer unabhängigen Prüfung unterzogen worden war.
Die von der EZB auf den €STR angewandten Verfahren zur Gewährleistung der Governance, der Qualität und der Rechenschaftspflicht tragen den IOSCO-Prinzipien Rechnung, wo dies zutreffend und angemessen ist. Damit soll ein wirksamer und transparenter Kontrollrahmen entsprechend den international bewährten Praktiken sichergestellt werden, um die Integrität und die Unabhängigkeit des Verfahrens zur Bestimmung des €STR zu schützen. Die Erklärung über die Einhaltung der IOSCO-Prinzipien gibt einen Überblick darüber, wie die EZB den €STR erstellt. Außerdem enthält sie eine Selbsteinschätzung bezüglich der Einhaltung der einzelnen IOSCO-Prinzipien und eine Beschreibung der entsprechenden Rahmenwerke und Verfahren.
Kasten 7
Überarbeitung internationaler statistischer Standards
Expertinnen und Experten der EZB und der NZBen arbeiten an der Aktualisierung internationaler Handbücher über den methodischen Rahmen für die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und die Zahlungsbilanzstatistik mit, die für die Erfüllung von Zentralbankaufgaben von wesentlicher Bedeutung sind.
Diese internationalen Statistikstandards stellen ein harmonisiertes System von Begriffen, Definitionen, Klassifizierungen, Rechnungslegungsvorschriften und andere Richtlinien dar, auf deren Grundlage offizielle Wirtschaftsstatistiken erstellt werden. Damit soll die Eignung dieser statistischen Daten für politische Entscheidungsprozesse, Analysen und Forschungszwecke sichergestellt werden. Die Standards legen fest, welche makroökonomischen Strom- und Bestandsgrößen in volkswirtschaftliche Messgrößen wie BIP, Schuldenstand oder Leistungsbilanz einfließen bzw. wie sie erfasst werden.
Da sie sämtliche Teilbereiche der Wirtschaftsstatistik abdecken und allen Datenproduzenten weltweit zur Verfügung stehen, erhöhen diese Standards die Vergleichbarkeit von Daten über Statistikbereiche und nationale oder internationale Wirtschaftsräume hinweg. Sämtliche von der EZB verwendeten Wirtschaftsdaten und -statistiken basieren auf diesen Standards.
Im März 2020 beschlossen die zuständigen internationalen Gremien – die UN-Statistikkommission und der IWF-Ausschuss für Zahlungsbilanzstatistik – eine Überarbeitung zweier statistischer Handbücher über diese Standards: des Systems der Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen und des Handbuchs zur Zahlungsbilanz und zum Auslandsvermögensstatus. Mit dieser Aktualisierung soll Entwicklungen wie etwa der Globalisierung, der Digitalisierung, neuen Formen der Finanzintermediation und dem Klimawandel Rechnung getragen und deren angemessene statistische Aufbereitung festgelegt werden. Diese Phänomene haben erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit der Zentralbanken; demgemäß bezieht sie die EZB auch in ihre aktuell laufende Überprüfung der geldpolitischen Strategie ein.
Angesichts der Bedeutung der internationalen statistischen Standards für das ESZB wirken auch Expertinnen und Experten der EZB und der NZBen an deren Aktualisierung mit, wobei sie Hand in Hand mit Fachleuten bei internationalen Organisationen, Statistikämtern und anderen nationalen Behörden arbeiten. Die Überarbeitung soll bis 2025 abgeschlossen sein. Anschließend werden die neuen Standards in die entsprechenden europäischen Rechtsvorschriften, auch jene der EZB, integriert.
8 Forschungsschwerpunkte der EZB
Die Covid-19-Pandemie verschob 2020 auch die Prioritäten in der Forschungsarbeit. Besonders vorangetrieben wurde die Weiterentwicklung von Instrumentarien für die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in Echtzeit und die Bewertung von politischen Handlungsoptionen. Parallel dazu setzten die etablierten Forschungsnetzwerke und -gruppen ihre Aktivitäten fort. Kooperationen mit dem universitären Bereich waren durch die Pandemie zunächst eingeschränkt, konnten im zweiten Halbjahr 2020 aber wieder aufgenommen werden.
8.1 Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit Covid-19
Weiterentwicklung von Instrumentarien zur Echtzeitbewertung der wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen
Nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie wurde die Weiterentwicklung von Instrumentarien für die Überwachung der wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen forciert, um ein von raschen Veränderungen geprägtes Umfeld besser in Echtzeit abbilden zu können.
So wurden beispielsweise monatliche bzw. wöchentliche Konjunkturindikatoren entwickelt. Monatliche Indikatoren haben sich bereits in den vergangenen zehn Jahren als Standard-Tool für Wirtschaftsprognosen etabliert. Durch den Einsatz einer breiten Palette von – zum Teil aus webbasierten Quellen stammenden – Daten ist nun auch eine Analyse auf Grundlage wöchentlicher Indikatoren möglich (siehe Kasten 8).
Auch Indikatoren für Finanzmarktspannungen wurden weiterentwickelt, um die Risiken einer Fragmentierung der Finanzmärkte im Euroraum auf wöchentlicher Basis einschätzen zu können. Diese Indikatoren zeigen, dass die Covid-19-Pandemie zunächst tiefe Verwerfungen verursachte – und zwar in einem Ausmaß, das jenem der Fragmentierung während der globalen Finanzkrise 2008 oder der Staatsschuldenkrise im Euroraum 2012 nahe kam.[59] Dank rascher wirtschaftspolitischer Maßnahmen und der in den letzten zehn Jahren mithilfe von Sicherungsmechanismen und Finanzmarktreformen aufgebauten Resilienz gelang es aber, die Finanzmarktintegration im Eurogebiet bis Mitte September 2020 wieder weitgehend an das Vorkrisenniveau heranzuführen.
Neue Online-Umfrage zu Verbrauchererwartungen liefert Informationen über Stimmungslage der privaten Haushalte und Arbeitsmarktsituation
Als weitere wichtige Informationsquelle erwies sich die erstmals Anfang 2020 durchgeführte (und noch in der Pilotphase befindliche) Umfrage zu den Verbrauchererwartungen. Diese Online-Umfrage liefert regelmäßig Informationen über die Stimmungslage und Erwartungen der privaten Haushalte bzw. deren Konsum- und Sparverhalten sowie über die Situation am Arbeitsmarkt und zeichnet sich durch große Zeitnähe und einen hohen Harmonisierungsgrad im gesamten Euroraum (vor allem in den vier größten Ländern) aus.[60]
Große Länderunterschiede bei befürchteten finanziellen Konsequenzen der Pandemie
Die neue Umfrage lieferte wertvolle Informationen über die Lage der privaten Haushalte während der Covid-19-Pandemie. In den Antworten auf die Frage nach dem Ausmaß der finanziellen Konsequenzen der Pandemie zeigten sich große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern (Abbildung 24). Privathaushalte in Spanien und – zu einem geringeren Grad – in Italien befürchteten beispielsweise stärkere finanzielle Auswirkungen als deutsche oder niederländische Haushalte.
Abbildung 24
Befürchtungen privater Haushalte über finanzielle Auswirkungen von Covid-19
Demografische und ökonomische Merkmale der privaten Haushalte ausschlaggebend für Anfälligkeit
Des Weiteren ließ sich aus den Umfrageergebnissen ablesen, dass jüngere Haushalte mit geringeren Einkommen und befristeten Jobs bzw. beschränktem Zugang zu Krediten eher negativen Konsequenzen der Pandemie ausgesetzt sind. Tendenziell schränken Haushalte mit größeren Geldsorgen ihre Ausgaben verhältnismäßig stärker ein; sie würden auch weniger aus staatlichen Mitteln konsumieren, die sie potenziell im Rahmen von Unterstützungsprogrammen erhalten. Diese Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Bedingungen während der Pandemie gezielte, hochspezifische fiskalpolitische Maßnahmen von großer Bedeutung sein werden.
8.2 Forschungsnetzwerke
Forschungscluster setzten ihre reguläre Arbeit fort
Im Rahmen der etablierten Forschungsnetzwerke wurden weiterhin Forschungsaktivitäten innerhalb des ESZB koordiniert und Arbeitsbeziehungen mit dem universitären Bereich gepflegt. Die drei ESZB-Forschungscluster zu Geldpolitik, Finanzstabilität und Strukturfragen der Euro-Länder organisierten Workshops zu den vordringlichsten Themen auf ihrem jeweiligen Gebiet. Künftig sollen Forschungsarbeiten zu den Herausforderungen, die sich aus dem durch niedriges Wachstum, niedrige Inflation, den Klimawandel und Innovationen bei Finanztechnologien gekennzeichneten Umfeld ergeben, Priorität eingeräumt werden.
Forschungsgruppe für Geldpolitik, makroprudenzielle Regulierung und Finanzstabilität erzielte bedeutende Fortschritte
Die Forschungsgruppe für Geldpolitik, makroprudenzielle Regulierung und Finanzstabilität untersuchte 2020 im Rahmen zahlreicher Projekte die Auswirkungen makroprudenzieller Politik. Ein Forschungsstrang beschäftigte sich mit dem Effekt kreditnehmerseitiger makroprudenzieller Maßnahmen auf die Ungleichheit.[61] Während derartige Maßnahmen die Ungleichheit potenziell fördern, indem sie die Kreditaufnahme für Bezieher niedriger Einkommen erschweren, verringern sie andererseits die Ungleichheit, wenn sie in Krisenzeiten die Auswirkungen der Krise auf anfällige Gruppen abfedern. Eine weitere Gruppe von Projekten widmete sich der Frage, wie makroprudenzielle Politik durch ihren Effekt auf die Finanzstabilität und den Gleichgewichtszins die geldpolitische Transmission beeinflusst und wie – andererseits – die Geldpolitik durch ihren Effekt auf das Risikoverhalten von Finanzintermediären den Bedarf an makroprudenziellen Maßnahmen mitbestimmt. Ein dritter Forschungsstrang untersuchte die Vorteile koordinierter geldpolitischer und makroprudenzieller Maßnahmen.
PRISMA untersuchte die Frequenz individueller Preisänderungen und Fragen zur Messung von Verbraucherpreisen
Das Forschungsnetzwerk PRISMA (Price-setting Microdata Analysis Network) untersucht anhand von Mikrodaten das Preissetzungsverhalten auf Firmenebene und im Einzelhandel. Aufbauend auf Arbeiten des Inflation Persistence Network (IPN) in den frühen 2000er Jahren, beschäftigte sich PRISMA im Berichtsjahr mit der Frequenz individueller Preisänderungen, um ein besseres Verständnis des Teuerungsprozesses zu erlangen. Darüber hinaus wurden Daten analysiert, die der Berechnung amtlicher Verbraucherpreisindizes zugrunde liegen.
Das Household Finance and Consumption Network veröffentlichte seine Umfrageergebnisse für 2017
Im März 2020 veröffentlichte das Household Finance and Consumption Network die Ergebnisse der dritten Welle der Befragung privater Haushalte zu Finanzen und Konsum (HFCS), die 2017 durchgeführt worden war. Demnach blieb das Median-Nettovermögen der Haushalte im Euro-Währungsgebiet zwischen 2014 und 2017 weitgehend stabil, während beim Haushaltseinkommen Zuwächse auf breiter Basis verzeichnet wurden; das Medianeinkommen stieg um 4,1 %. Hinsichtlich der Konzentration des Nettovermögens auf die reichsten Haushalte im Euroraum war in diesem Zeitraum keine Veränderung feststellbar. Allerdings dürften die am stärksten verschuldeten Privathaushalte eine gewisse Erleichterung bei der Finanzierung festgestellt haben. Die HFCS-Daten tragen auch zu einem besseren Verständnis der Heterogenität der geldpolitischen Transmission und des finanziellen Drucks auf private Haushalte bei.
CompNet untersuchte das Wettbewerbsverhalten europäischer Unternehmen am globalen Markt während der Covid-19-Pandemie
Das ESZB pflegt auch Beziehungen zu unabhängigen Forschungsnetzwerken wie dem Competitiveness Research Network (CompNet), das sich auf Forschung und Analyse der Politik im Bereich Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität spezialisiert hat. Gemeinsam mit der Národná banka Slovenska bzw. der EZB organisierte CompNet 2020 zwei Konferenzen. Die erste widmete sich der nachhaltigen Entwicklung, Unternehmensperformance und Wettbewerbspolitik in kleinen, offenen Volkswirtschaften. Im Rahmen der zweiten Konferenz wurden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den internationalen Handel und die Kapitalströme sowie die Implikationen dieser Entwicklungen für europäische Unternehmen diskutiert. In seinem Firm Productivity Report 2020 veröffentlichte CompNet außerdem neue Forschungsergebnisse zu produktivitätsspezifischen Themen.
8.3 Konferenzen und Veröffentlichungen
Auf Absagen in der ersten Jahreshälfte folgten Konferenzen in neuem Format
Der Ausbruch der Pandemie erschwerte vor allem in der ersten Jahreshälfte die Zusammenarbeit mit dem universitären Bereich. Zahlreiche regelmäßig stattfindende Konferenzen mussten abgesagt oder verschoben werden, so auch das für Juni bzw. Juli geplante ECB Forum on Central Banking in Sintra, das schließlich im November als Online-Event abgehalten wurde. In der zweiten Jahreshälfte wurde mit virtuellen Veranstaltungen die Konferenztätigkeit wieder aufgenommen, und so konnten auch die jährliche Forschungskonferenz der EZB und die Monetary Policy Conference abgehalten werden. Beide Veranstaltungen widmeten sich der Frage, wie vonseiten der Geldpolitik auf die von Covid-19 ausgelöste Krise reagiert werden kann. Darüber hinaus wurden innovative Forschungsansätze im Hinblick auf den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und Finanzmarktinfrastrukturen thematisiert.
Publikation wissenschaftlicher Papers von Pandemie unberührt
Die Forscherinnen und Forscher der EZB veröffentlichten im Berichtsjahr 161 Beiträge in der Working-Paper-Reihe. Darüber hinaus erschienen in der Occasional-Paper-Reihe, der Statistics-Paper-Reihe und der Discussion-Paper-Reihe der EZB zahlreiche Studien mit einem stärkeren Fokus auf politische Aspekte bzw. Methodiken. Neben Forschungsarbeiten, die in wissenschaftliche Journals Eingang fanden, veröffentlichte die EZB auch für ein breiteres Publikum verfasste Beiträge, wie etwa die 13 im Research Bulletin publizierten Artikel.
Kasten 8
Konjunktureinschätzung in Echtzeit
Die Erfassung der Wirtschaftsentwicklung in Echtzeit – das sogenannte „Nowcasting“ – gehört schon lange zu den Aufgaben der Wirtschaftsforschung. Im Euroraum werden die ersten offiziellen vierteljährlichen Daten zum BIP rund vier Wochen nach dem Ende des jeweiligen Quartals veröffentlicht. Bis dahin müssen zur Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung verschiedene monatliche Indikatoren, z. B. die Industrieproduktion oder Branchen- und Verbraucherumfragen, herangezogen werden. Wesentliche Bedeutung kommt dabei den entsprechenden statistischen Methoden zu; diese werden verwendet, um die hochfrequenten Informationen aus diesen Indikatoren auf Quartalsbasis zu verdichten.
Die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Entwicklung in Echtzeit zu analysieren, hat sich durch die Covid-19-Pandemie verstärkt. So wurden bei der EZB und den nationalen Zentralbanken die Forschungsarbeiten zur Nutzung hochfrequenter Daten für eine zeitnähere Einschätzung der konjunkturellen Lage intensiviert. Während herkömmliche Indikatoren in monatlichen Intervallen aktualisiert werden, ermöglichen die heutzutage verfügbaren riesigen Datenmengen („Big Data“) und leistungsstarken IT-Systeme die Entwicklung von wöchentlichen oder sogar täglichen Indikatoren über die Wirtschaftstätigkeit. Zur Berechnung werden zum Beispiel Daten über Online-Zahlungen, Verkehrsdaten (z. B. aus der Lkw-Maut), Zahlen zum Stromverbrauch und zur Luftverschmutzung oder auch Google-Suchanfragen verwendet.[62]
Diese Hochfrequenz-Indikatoren haben sich bei der Konjunktureinschätzung während der Pandemie als sehr wertvoll erwiesen. So zeigen beispielsweise der in Abbildung A dargestellte Index sowie das vierteljährliche BIP eine wöchentlich aktualisierte Echtzeit-Einschätzung der Konjunktur im Euroraum, wobei eine Reihe wöchentlicher Daten mit den herkömmlichen monatlichen Indikatoren kombiniert wird. Der Index ist für Dezember 2019 auf 100 normalisiert. Aus dem wöchentlichen Index lässt sich ablesen, dass die Wirtschaft des Euroraums in der ersten Märzwoche 2020, als erste Lockdown-Maßnahmen verhängt wurden, in eine schwere Rezession stürzte, die in der letzten Aprilwoche ihren Tiefpunkt erreichte. Anschließend setzte mit der Aufhebung der Maßnahmen eine allmähliche Erholung ein. Im Verlauf des restlichen Jahres zeigte sich die Konjunktur stabil.
Abbildung A
Wöchentlicher Konjunktur-Tracker und vierteljährliches BIP für den Euroraum
9 Rechtliche Aktivitäten und Verpflichtungen
Dieses Kapitel setzt sich mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen EZB auseinander und befasst sich mit Stellungnahmen der EZB und Verstößen gegen die Pflicht zur Konsultation der EZB zu Gesetzesvorhaben in ihrem Zuständigkeitsbereich. Ferner wird auf die von der EZB durchgeführte Überwachung der Einhaltung des Verbots der monetären Finanzierung und des Verbots des bevorrechtigten Zugangs eingegangen.
9.1 Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen EZB
EuGH gibt EZB recht: EZB-Rat hat viel Ermessensspielraum bei der Geheimhaltung der Ergebnisse seiner Beratungen
Am 19. Dezember 2019 bzw. 21. Oktober 2020 fällte der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren zwei Urteile im Zusammenhang mit der Vertraulichkeit der Ergebnisse der Beratungen des EZB-Rats (Rechtssachen C-442/18 P und C-396/19 P). Beiden Rechtssachen liegen zwei Anträge auf öffentlichen Zugang zum Beschluss des EZB-Rats betreffend die Aussetzung des Zugangs eines Kreditinstituts (der Banco Espírito Santo) zu geldpolitischen Kreditinstrumenten zugrunde. Auf Grundlage von Artikel 10.4 der Satzung des ESZB und der EZB sowie Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) erster Gedankenstrich des Beschlusses EZB/2004/3 hatte die EZB den Zugang zu jenem Auszug aus dem Protokoll der EZB-Ratssitzung verweigert, in dem der Darlehensbetrag, welcher der Banco Espírito Santo durch die Kreditgeschäfte des Eurosystems gewährt worden war, festgehalten wurde. Im Rechtsmittelverfahren gab der Gerichtshof dem Vorbringen der EZB statt und hob den beanstandeten Teil der erstinstanzlichen Urteile des Gerichts der Europäischen Union (in der Folge das „Gericht“) auf. Die zwei vom EuGH gefällten Urteile sind wichtige Präzedenzfälle hinsichtlich des Zugangs der Öffentlichkeit zu den Ergebnissen der Beratungen des EZB-Rats. Wie vom Gerichtshof ausgeführt, ist das Ergebnis der Beratungen des EZB-Rats, wie auch die Beratungen selbst, vertraulich. Die Vertraulichkeit bleibe gewahrt, es sei denn, der EZB-Rat beschließt, das Ergebnis ganz oder teilweise zu veröffentlichen. Die Offenlegung des Ergebnisses der Beratungen falle „in die ausschließliche Zuständigkeit des EZB-Rates“. Was die Verweigerung des Zugangs zu den Dokumenten, die das Ergebnis der Beratungen festhalten, anbelangt, so sei die von der EZB angegebene Begründung, dass das beantragte Dokument Teil des Protokolls sei, hinreichend. Zudem unterliege die Verweigerung des Zugangs zum Ergebnis der Beratungen nicht der Bedingung, dass die EZB nachzuweisen habe, inwiefern die Offenlegung des Ergebnisses „den Schutz des öffentlichen Interesses beeinträchtige“.
SSM-Rahmenverordnung sieht grundsätzlich die nicht anonymisierte Veröffentlichung von Sanktionsbeschlüssen vor
Am 8. Juli 2020 erließ das Gericht seine ersten vier Urteile zu Beschlüssen der EZB, mit denen im Rahmen der Aufsicht Geldbußen über Kreditinstitute verhängt wurden. In der Rechtssache T-203/18 (VQ gegen EZB) wies das Gericht sämtliche von der Klägerin vorgebrachten Klagegründe zurück. Das Gericht stellte insbesondere fest, dass die EZB nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe, als sie eine Geldbuße gegen die Klägerin verhängte und diese öffentlich machte. Zudem stellte das Gericht klar, dass laut rechtlichem Rahmen die nicht anonymisierte Veröffentlichung von Sanktionsbeschlüssen auch vor Ablauf der Frist für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen den betreffenden Beschluss erfolgen könne. In drei anderen Rechtssachen (T-576/18, T-577/18 und T-578/18) erklärte das Gericht drei von der EZB erlassene Sanktionsbeschlüsse gegen die Crédit Agricole S.A. und zwei ihrer Tochterinstitute für teilweise nichtig. Hierzu führte das Gericht aus, dass die Kläger gegen Artikel 26 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 verstoßen hätten, der dahin auszulegen ist, dass einem Kreditinstitut die Erlaubnis der zuständigen Behörden vorliegen muss, bevor dieses seine Kapitalinstrumente als hartes Kernkapital einstufen kann. Dennoch erklärte das Gericht die Geldbußen für nichtig, da die strittigen Beschlüsse keine ausreichenden Angaben zu der von der EZB zur Bemessung der verhängten Geldbußen angewandten Methodik enthielten. Die Urteile wurden von den Klägern vor dem EuGH angefochten (Rechtssachen C-456/20 P, C-457/20 P und C-458/20 P).
EuGH bestätigt umfassende Bedeutung des „Reflexionsspielraums“ der EZB: Nicht alle EZB-Dokumente müssen öffentlich gemacht werden
Am 17. Dezember 2020 wies der EuGH das von Fabio De Masi und Yanis Varoufakis eingelegte Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts der Europäischen Union in vollem Umfang zurück (Rechtssache C-342/19 P). Dieses Urteil vom 12. März 2019 hatte bekräftigt, dass sich die EZB in ihrer Entscheidung, den öffentlichen Zugang zu einem 2015 eingeholten externen Rechtsgutachten zu verweigern, zu Recht auf die in Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 1 des Beschlusses EZB/2004/3 (2004/258/EG) vorgesehene Ausnahmeregelung und den gebotenen „Reflexionsspielraum“ berufen hatte. Der EuGH urteilte, dass sich die Ausnahme zum Schutz des „Reflexionsspielraums“ nicht nur auf die im jeweiligen Entscheidungsprozess verwendeten Dokumente beschränke, sondern brachte sie auch mit dem in Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegten Grundsatz der Zentralbankunabhängigkeit in Verbindung. Er bekräftigte, dass die EZB die ihren Aufgaben zugewiesenen Ziele durch die unabhängige Ausübung der besonderen Befugnisse, über die sie zu diesen Zwecken nach dem Vertrag und der Satzung des ESZB verfügt, wirksam verfolgen können müsse. Ferner bestätigte der Gerichtshof, dass ein Dokument unter mehrere im Beschluss EZB/2004/3 festgehaltene Ausnahmen fallen könne, und dass die Ausnahme in Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses EZB/2004/3 in Bezug auf den Schutz der Rechtsberatung keine Anhaltspunkte dafür enthalte, dass es sich dabei um eine Spezialnorm gegenüber der relativ breit gefassten Ausnahme zum Schutz des „Reflexionsspielraums“ handle. Schließlich stellte der EuGH klar, dass die EZB bei Anwendung der Ausnahme zum Schutz des „Reflexionsspielraums“ nicht nachweisen müsse, dass die Offenlegung des streitigen Dokuments den Entscheidungsprozess der EZB erheblich beeinträchtigen würde.
Slowenien verstößt mit der Beschlagnahme von Dokumenten in den Räumlichkeiten der Banka Slovenije nach Ansicht des EuGH gegen den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Archive der EZB
In seinem Urteil vom 17. Dezember 2020 stellte der in Großer Kammer entscheidende Gerichtshof in einem von der Europäischen Kommission gegen Slowenien eröffneten Vertragsverletzungsverfahren (C-316/19) fest, dass Slowenien mit der einseitigen Beschlagnahme von mit der Erfüllung der Aufgaben des ESZB und des Eurosystems zusammenhängenden Dokumenten in den Räumlichkeiten der Banka Slovenije im Juli 2016 gegen seine Pflicht verstoßen habe, den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Archive der Union gemäß Artikel 2 und Artikel 22 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union zu beachten. Angesichts des hochintegrierten Systems, in dem die EZB operiert, müsse die Auslegung des Archivbegriffs laut dem Gerichtshof all jene Dokumente umfassen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Aufgaben des ESZB und des Eurosystems von der EZB oder von den nationalen Zentralbanken (NZBen) erstellt, verarbeitet und versendet werden, und zwar unabhängig davon, ob sie sich im Besitz der EZB oder der NZBen befinden. Folglich sei es nationalen Behörden untersagt, derartige Dokumente ohne vorherige Absprache mit der EZB in den Räumlichkeiten von NZBen zu beschlagnahmen. Zudem hielt der Gerichtshof fest, dass Slowenien seine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit missachtet habe, indem es nicht ordnungsgemäß mit der EZB zusammengearbeitet habe, um die rechtswidrigen Folgen seines Verstoßes zu beheben.
9.2 Stellungnahmen der EZB und Verstöße gegen die Konsultationspflicht
Die EZB ist gemäß Artikel 127 Absatz 4 und Artikel 282 Absatz 5 des AEUV zu allen in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Vorschlägen für Rechtsakte der EU und Entwürfen für Gesetzesvorhaben auf nationaler Ebene zu hören. Sämtliche Stellungnahmen der EZB sind über EUR-Lex abrufbar. Sofern sie Vorschläge für Rechtsakte der EU betreffen, werden die Stellungnahmen der EZB auch im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Im Jahr 2020 verabschiedete die EZB sechs Stellungnahmen zu Vorschlägen für Rechtsakte der Union sowie 31 Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben auf nationaler Ebene, die in ihren Zuständigkeitsbereich fielen.
Eindeutige und erhebliche Verstöße gegen die Verpflichtung zur Konsultation der EZB
Im Berichtsjahr wurden fünf Fälle verzeichnet, in denen gegen die rechtliche Verpflichtung zur Anhörung der EZB zu Gesetzesvorhaben[63] verstoßen wurde. Vier davon betrafen nationales Recht, ein Vorschlag betraf das Unionsrecht. Von den genannten Fällen wurden vier als eindeutige und erhebliche Verstöße eingestuft. In zwei Fällen handelte es sich um slowenische Rechtsvorschriften zur Stundung von Kreditzahlungen und zu Liquiditätsmaßnahmen für Sloweniens Wirtschaft im Hinblick auf die Bewältigung der Covid-19-Krise. Diese wurden aufgrund ihrer potenziellen Auswirkungen auf die nationale Zentralbank, die Kapital- und Liquiditätsausstattung slowenischer Kreditinstitute, die geldpolitischen Geschäfte des Eurosystems sowie die Einhaltung des Verbots der monetären Finanzierung gemäß Artikel 123 des AEUV als eindeutig und erheblich betrachtet. Ein weiterer Fall, der sich aus einem italienischen Gesetzesentwurf zu einem Erstattungsmechanismus für mittels elektronischer Zahlungsformen getätigte Käufe ergab, wurde aufgrund seiner Implikationen für Zahlungsmittel, insbesondere Bargeld, als eindeutig und erheblich eingestuft. Der das Unionsrecht betreffende Fall bezog sich auf die Verordnung zur Schaffung eines Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch und wurde im Hinblick auf seine potenziellen Auswirkungen auf die EZB und die NZBen im Zusammenhang mit der Verwaltung von SURE-Darlehen als eindeutig und erheblich erachtet. Die EZB erkennt in vollem Maße die akute Dringlichkeit an, die im Hinblick auf die Verabschiedung der zwei slowenischen Gesetzesvorhaben sowie der das SURE-Instrument betreffenden EU-Verordnung angesichts der durch die Pandemie verursachten Notlage geboten war. Ferner ist sie sich im Fall der Verordnung der Notwendigkeit bewusst, SURE als eines der drei kurzfristigen Sicherheitsnetze, auf die sich die Euro-Gruppe verständigt hatte, rasch zu operationalisieren.
Stellungnahmen der EZB zu Vorschlägen für EU-Rechtsakte
Die EZB äußerte sich offiziell zu Gesetzesvorschlägen auf EU-Ebene, so zum Beispiel zur Anpassung des Aufsichts- sowie des Verbriefungsrahmens infolge der Covid-19-Pandemie. Zudem gab sie im Hinblick auf die Verwaltung von SURE-Darlehen durch die EZB und die NZBen eine Stellungnahme auf eigene Initiative ab. Eine weitere von der EZB verabschiedete Stellungnahme bezog sich auf einen Vorschlag betreffend die Ausnahme bestimmter auf Drittlandswährungen bezogener Wechselkurs-Referenzwerte und die Benennung von Ersatz-Referenzwerten für bestimmte eingestellte Referenzwerte. Außerdem nahm die EZB zu Wechselkursfragen im Zusammenhang mit dem CFA-Franc und dem Komoren-Franc sowie zur Bestellung eines neuen Mitglieds des Direktoriums der EZB Stellung.
Stellungnahmen der EZB zu nationalen Gesetzesvorhaben
Überdies verabschiedete die EZB Stellungnahmen zu nationalen Gesetzesvorhaben betreffend die NZBen. So äußerte sie sich zu umfassenden Reformplänen der Sveriges riksbank; zur institutionellen und finanziellen Unabhängigkeit der Hrvatska narodna banka; zur Änderung der Kriterien für die Ernennung des Präsidenten und der Mitglieder des Vorstands der Banco de Portugal sowie zur Änderung des Verfahrens zur Bestellung der Mitglieder der Beschlussorgane der Nederlandsche Bank; zu Reformen des Aufsichtsgremiums der Eesti Pank und des Generalrats der Sveriges riksbank; zur engen Zusammenarbeit zwischen der EZB und der Hrvatska narodna banka bzw. der Българска народна банка (der Bulgarischen Nationalbank) innerhalb des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM); zur Rolle der Eesti Pank in Verteidigungssituationen und Wehrdienstbefreiung der Direktoriumsmitglieder der Latvijas Banka; zur Rolle der Hrvatska narodna banka bei der Berechnung der nationalen Referenzrate zur Ermittlung der durchschnittlichen Kosten für die Finanzierung des kroatischen Bankensektors; zur Rolle der Banc Ceannais na hÉireann/Central Bank of Ireland als Registerstelle für Eintragungen wirtschaftlicher Eigentümer bestimmter Finanzunternehmen; zur Rolle der Banco de España bei der Überwachung der Einhaltung der bezüglich Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung geltenden Anforderungen an Dienstleister im Bereich virtuelle Währungen; zur Rolle der Bank of Greece bei der Gewährleistung der Einhaltung gewisser Anforderungen in Bezug auf den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA); zur Rolle der Nederlandsche Bank im niederländischen Ausschuss für Finanzstabilität; zur Bereitstellung von Notfall-Liquiditätshilfe durch die Lietuvos bankas an Nichtbanken; zur Bereitstellung kurzfristiger Liquidität durch die Banca Naţională a României an den Einlagensicherungsfonds der Banken; zur Erhebung und Weitergabe von Daten durch Danmarks Nationalbank; zum Recht von Insolvenzverwaltern und Liquidatoren von Kreditinstituten, Mittel auf einem Konto bei der Latvijas Banka zu halten; und zur Finanzierung der Einzahlungsverpflichtungen der jeweiligen Mitgliedstaaten gegenüber dem Internationalen Währungsfonds durch die Bank of Greece, die Banca d’Italia, die Bank Ċentrali ta’ Malta/Central Bank of Malta und die Oesterreichische Nationalbank.
Auch im Bereich der Aufsicht über Kreditinstitute gab die EZB Stellungnahmen zu nationalen Gesetzesvorhaben ab, so eine Stellungnahme zur engen Zusammenarbeit zwischen der EZB und der Hrvatska narodna banka im Rahmen des SSM; zwei Stellungnahmen zur engen Zusammenarbeit mit der Българска народна банка (der Bulgarischen Nationalbank); und eine Stellungnahme zur Behandlung der von einem Kreditinstitut in Luxemburg begebenen Partizipationsscheine.
Die EZB bezog im Berichtsjahr außerdem Stellung zu nationalen Gesetzesvorhaben betreffend Zahlungsmittel, wie etwa zu Beschränkungen bei der Verwendung von Bargeld im Zusammenhang mit Postanweisungen in Belgien; zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an Bargelddienstleistungen in Ungarn und Schweden; und zu Beschränkungen von Barzahlungen in Dänemark.
Auch in den Bereichen der Banken- und Finanzmarktregulierung sowie der Finanzmarktstabilität gab die EZB Stellungnahmen zu nationalen Gesetzesvorhaben ab, darunter zur staatlichen Unterstützung des Einlagensicherungssystems in Luxemburg; zur Abschaffung der Sonderabgabe für ausgewählte Finanzinstitute in der Slowakei; zur Identifizierung und zur Meldung der Verwendung von Beträgen auf Sparkonten durch Finanzinstitute in Belgien; und zu Maßnahmen zur Begrenzung makroprudenzieller Risiken im Bereich Darlehensvergabe zum Bau oder zum Erwerb von Wohnimmobilien in Deutschland.
Die EZB bezog überdies Stellung zu einem bulgarischen Gesetzesvorhaben zum offiziellen Wechselkurs des bulgarischen Lew im Rahmen des Wechselkursmechanismus (WKM II).
Nicht zuletzt verabschiedete die EZB eine Stellungnahme zu einem österreichischen Gesetzesentwurf im Zusammenhang mit statistischen Zahlungsbilanzmeldungen.
9.3 Einhaltung des Verbots der monetären Finanzierung und des bevorrechtigten Zugangs
Gemäß Artikel 271 Buchstabe d des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die EZB mit der Aufgabe betraut, die Einhaltung der in Artikel 123 und 124 des AEUV sowie in den Verordnungen (EG) Nr. 3603/93 und 3604/93 des Rates festgelegten Verbote durch die nationalen Zentralbanken (NZBen) der EU-Mitgliedstaaten zu überwachen. Nach Artikel 123 ist es der EZB und den NZBen untersagt, Regierungsstellen sowie Organen bzw. Einrichtungen der EU Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten einzuräumen oder von solchen Institutionen begebene Schuldtitel am Primärmarkt zu erwerben. Gemäß Artikel 124 sind Maßnahmen, die nicht aus aufsichtsrechtlichen Gründen getroffen werden und die Regierungsstellen sowie Organen bzw. Einrichtungen der EU einen bevorrechtigten Zugang zu Finanzinstituten verschaffen, verboten. Über die Einhaltung dieser Bestimmungen durch die Mitgliedstaaten wacht neben dem EZB-Rat auch die Europäische Kommission.
Die EZB überwacht ferner die durch die Zentralbanken der EU-Mitgliedstaaten am Sekundärmarkt getätigten Käufe von Schuldtiteln der öffentlichen Hand – also Käufe inländischer Staatspapiere sowie Käufe von Schuldtiteln, die von anderen Mitgliedstaaten oder von Organen bzw. Einrichtungen der EU begeben wurden. Laut den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates darf der Erwerb von Schuldtiteln der öffentlichen Hand am Sekundärmarkt nicht zur Umgehung der Zielsetzung von Artikel 123 des AEUV genutzt werden. Solche Käufe dürfen also nicht zu einer indirekten monetären Finanzierung des öffentlichen Sektors führen.
Verbote gemäß Artikel 123 und 124 des AEUV grundsätzlich eingehalten
Die für 2020 von der EZB durchgeführten Prüfungen bestätigen, dass die Bestimmungen von Artikel 123 und 124 des AEUV im Allgemeinen eingehalten wurden.
Festzustellen war auch, dass die meisten NZBen im Berichtsjahr die geltenden Obergrenzen für die Verzinsung von Einlagen der öffentlichen Hand in vollem Umfang einhielten. Allerdings müssen einzelne NZBen sicherstellen, dass die Verzinsung von Einlagen der öffentlichen Hand nicht über der Obergrenze liegt.
Die EZB wird weiterhin die Beteiligung der Magyar Nemzeti Bank an der Budapester Börse überwachen, da die im November 2015 begründete Mehrheitsbeteiligung der ungarischen Zentralbank an der Budapester Börse nach wie vor Anlass zu Bedenken hinsichtlich der monetären Finanzierung geben könnte.
Die irische Zentralbank konnte 2020 den Bestand an Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Irish Bank Resolution Corporation (IBRC) durch Veräußerung langfristiger, variabel verzinster Anleihen reduzieren und so dem erforderlichen vollständigen Abbau dieser Vermögenswerte einen Schritt näherkommen. Weitere Veräußerungen dieser Vermögenswerte auf Grundlage eines angemessenen Zeitplans würden die nach wie vor schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich der monetären Staatsfinanzierung weiter ausräumen.
10 Die EZB im europäischen und internationalen Kontext
Die EZB setzte ihren intensiven Dialog mit europäischen und internationalen Partnern im Jahr 2020 fort. Ein wichtiger Schwerpunkt lag dabei auf der Berichterstattung an das Europäische Parlament im Zusammenhang mit der Rechenschaftspflicht der EZB; es galt, die beispiellosen Maßnahmen zu erläutern, die als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie ergriffen wurden. Die EZB brachte sich auch in den Austausch im Rahmen der G 20 ein und trug aktiv zu Diskussionen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) bei, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen der Pandemie. Die Zusammenarbeit mit Zentralbanken in Schwellenländern war im Berichtsjahr ebenfalls wieder ein Fixpunkt.
10.1 Die Rechenschaftspflicht der EZB
Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht sind zwei Seiten derselben Medaille
Die EZB konnte im Zuge der Covid‑19-Pandemie nicht zuletzt dank ihrer Unabhängigkeit schlagkräftige geldpolitische Maßnahmen ergreifen. Diese Unabhängigkeit wurde im Rahmen eines demokratischen Prozesses festgeschrieben. Sie ermöglicht der EZB, ihre Aufgaben frei von kurzfristigem politischen Druck wahrzunehmen.[64] Der Unabhängigkeit wiederum stehen wirksame Rechenschaftsmechanismen gegenüber, die sicherstellen, dass die EZB ihr Mandat erfüllt. Die EZB ist stets bemüht, ihrer Rechenschaftspflicht effektiv nachzukommen und ihre Maßnahmen gegenüber der europäischen Bevölkerung und den Mitgliedern des Europäischen Parlaments darzulegen. Die gelebte Praxis geht über die in Artikel 284 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegten Anforderungen hinaus. Die EZB unterliegt auch der Überprüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Union.
Angesichts des noch nie da gewesenen Maßnahmenpakets, das die EZB nach Ausbruch der Pandemie schnüren musste, tauschte sich die Präsidentin der EZB ad hoc mit Vertreterinnen und Vertretern des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments (ECON) aus. Dies ergänzte die vier regelmäßigen Anhörungen vor dem ECON im Jahr 2020, im Zuge derer die Präsidentin auch explizit die Schlüsselkriterien zur Sicherung wirksamer Praktiken im Bereich der Rechenschaftspflicht erörterte. Die EZB und das Europäische Parlament kamen außerdem überein, sich im Rahmen der Strategieüberprüfung der EZB verstärkt auszutauschen.
Im Februar 2020 nahm die Präsidentin der EZB auch an der Plenardebatte des Parlaments zum EZB-Jahresbericht 2018 teil, und der Vizepräsident übernahm im Mai 2020 die Präsentation des EZB-Jahresberichts 2019 vor dem ECON. Das Feedback der EZB zu den Anregungen des Europäischen Parlaments in seiner Entschließung zum EZB-Jahresbericht 2018 wurde auf der Website der EZB veröffentlicht. Abseits der regelmäßigen Anhörungen nahm Direktoriumsmitglied Fabio Panetta im Zuge der Europäischen Parlamentarischen Woche im Februar 2020 an einer Diskussion zur Vertiefung und Erweiterung der Wirtschafts- und Währungsunion teil und im Juli bzw. Oktober an einem Meinungsaustausch mit dem ECON zur internationalen Rolle des Euro und zum Thema digitaler Euro. Außerdem beantwortete die EZB 2020 die 48 schriftlichen Anfragen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments, welche im Vergleich zum Vorjahr deutlich zahlreicher ausgefallen waren.
Den jüngsten Ergebnissen der Eurobarometer-Umfrage zufolge genießt der Euro die Zustimmung von 75 % der Menschen im Euro-Währungsgebiet, und 40 % haben tendenziell Vertrauen in die EZB.[65] Diese Ergebnisse zeigen, dass das Vertrauen in die EZB nach wie vor von wirtschaftlichen Entwicklungen beeinflusst wird – selbst wenn diese außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Sie zeigen aber auch, dass die EZB weiter den Dialog mit dem Europäischen Parlament und der Bevölkerung suchen muss, um einerseits ihre eigenen Entscheidungen zu kommunizieren und zu erklären und anderseits die Anliegen und Sorgen der Menschen in Europa besser verstehen zu können.
10.2 Internationale Beziehungen
G 20
Die EZB lieferte konstruktive Beiträge zu G‑20-Initiativen zur Bekämpfung der Covid‑19-Krise
Nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie beschlossen die G‑20-Länder einen umfassenden Aktionsplan mit Notmaßnahmen zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Krise, zur Absicherung des globalen Finanzsystems und zur Unterstützung armer Länder. Gemeinsam mit dem Pariser Club einigten sich die G 20 auf eine Initiative zur vorübergehenden Aussetzung des Schuldendiensts (DSSI) für die ärmsten Länder und befürworteten einen gemeinsamen Rahmen für Umschuldungen und Schuldenerlässe abseits dieser Initiative. Angesichts der neuen Herausforderungen infolge der Krise wurde auch die Arbeit rund um Infrastruktur und Zugang zu Finanzdienstleistungen intensiviert. Unter Einbeziehung des Finanzstabilitätsrats widmeten sich die G 20 auch Finanzsektorthemen; so wurde ein Bericht über die Auswirkungen der Prozyklizität von Kreditratingagenturen auf die Finanzstabilität erstellt und ein Fahrplan zur Verbesserung des globalen grenzüberschreitendenden Zahlungsverkehrs ausgearbeitet. Die G 20 führten auch Gespräche zu globalen Stablecoins und zur Digitalsteuer. Die Arbeit bzw. die Diskussionen in diesen Bereichen werden auch 2021 fortgesetzt.
IWF und internationale Finanzarchitektur
Der IWF reagierte zeitnah auf die Krise – mit Analysearbeit und Notkreditvergabe
Auch im Berichtsjahr gestaltete die EZB den im IWF und anderen Foren geführten Diskurs zum internationalen Währungs- und Finanzsystem aktiv mit, indem sie bei gemeinsamen Positionierungen innerhalb der EU bzw. des Euroraums ihre Perspektive einbrachte. Hauptthema war dabei die Covid‑19-Pandemie und ihre Auswirkungen.
Nicht zuletzt aufgrund seiner Wirtschafts- und Finanzanalysen kam dem IWF eine zentrale Rolle in der Krisenbekämpfung auf internationaler Ebene zu. Er setzte zeitnah Maßnahmen, darunter die Bereitstellung von Notfinanzierungen an eine außergewöhnlich hohe Zahl an Ländern, die Vergabe von neuen flexiblen Kreditlinien (FCLs), eine Erleichterung des Schuldendiensts für die ärmsten Mitgliedsländer und die Einführung eines neuen Kreditinstruments zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe (SLL). Diese Krisenfinanzierungen erfolgten innerhalb des bestehenden Kreditvergaberahmens des IWF von rund 1 Billion USD. Dieser Rahmen kann auch in den kommenden Jahren konstant gehalten werden, da die Neuen Kreditvereinbarungen des IWF (NAB) mit Wirkung vom 1. Januar 2021 verdoppelt wurden und eine neue Runde bilateraler Kreditvereinbarungen abgeschlossen wurde. Dennoch muss der Bedarf an IWF-Mitteln genau beobachtet werden. Die EZB unterstützt eine angemessene Mittelausstattung des IWF und sieht darin ein zentrales Element des globalen Finanzsicherheitsnetzes.
Angesichts der Auswirkungen der Pandemie auf die Schuldensituation vieler Länder intensivierte der IWF seine Arbeit in diesem Bereich stark. So stieß er eine Diskussion zur Verbesserung der internationalen Strukturen zur Bewältigung von Schuldenkrisen an und präsentierte Pläne zur erneuten Überprüfung seiner eigenen Strategien im Bereich der Staatsschulden. Der IWF setzte außerdem seine alle fünf Jahre stattfindende eingehende Überprüfung der Überwachungstätigkeit fort, im Zuge derer die Prioritäten in diesem Bereich für 2020-2025 definiert werden. Auch die Evaluierung des Programms zur Bewertung des Finanzsektors (FSAP) wurde vorangetrieben. Diesbezüglich trug ein Bericht des ESZB-Ausschusses für internationale Beziehungen zur internationalen Debatte bei und lieferte Empfehlungen zur Steigerung der Effektivität von FSAP-Analysen.
Internationale Zentralbankkooperation mit Schwellenländern
Zusammenarbeit mit Zentralbanken in Schwellenländern erneut ein Fixpunkt
Auch in der Ausnahmesituation der Pandemie setzte die EZB ihre Kooperation mit Zentralbanken außerhalb der EU fort. Diese erfolgte insbesondere auf Grundlage der bestehenden bilateralen Memoranda of Understanding (MoUs) mit wichtigen afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Zentralbanken bzw. im Rahmen der strukturierten Zusammenarbeit mit regionalen Zentralbankorganisationen und dem IWF. Diese Kooperation spiegelt nicht zuletzt das weltweite Interesse an den Maßnahmen, Positionen, Analysemodellen und Arbeitsprozessen der EZB wider. So fand ein Austausch zu den Strategien und Kernaufgaben der EZB sowie zu technischen und Governance-Themen statt – sowohl auf Belegschaftsebene als auch unter Beteiligung politischer Entscheidungsträgerinnen und ‑träger. Auf großes Interesse stieß insbesondere die Betrachtung von Themen wie Covid-19, Klimawandel und Digitalisierung aus Zentralbankperspektive. Als EU-Institution führte die EZB auch im Berichtsjahr gezielte Gespräche mit Zentralbanken in Ländern des Westbalkans mit EU-Beitrittsperspektive und trug so zum EU-Erweiterungsprozess bei.
Kasten 9
Entwicklungen im WKM II
Am 10. Juli 2020 wurden der bulgarische Lew und die kroatische Kuna zu ihren aktuellen Wechselkursen in den Wechselkursmechanismus (WKM II) aufgenommen. Die Aufnahme der Währungen erfolgte auf der Grundlage der Entschließung des Europäischen Rates vom 16. Juni 1997 und unter Berücksichtigung weiterer fundamentaler Faktoren, wie der Schaffung der Bankenunion. Vor ihrem Antrag auf Teilnahme am WKM II setzten die bulgarischen und kroatischen Behörden eine Reihe von Vorabverpflichtungen um. Deren Erfüllung wurde von der EZB und der Europäischen Kommission innerhalb des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs überwacht und beurteilt. Die EZB agierte hier in den Bereichen Bankenaufsicht und makroprudenzielle Politik, die Europäische Kommission in Bezug auf Strukturmaßnahmen. Entsprechend bisheriger Praxis machten Bulgarien und Kroatien bei der Aufnahme in den WKM II weitere politische Zusagen, um einen hohen Grad an dauerhafter Konvergenz mit dem Euro-Währungsgebiet sicherzustellen.[66] Zeitgleich mit dem Beitritt zum WKM II haben die beiden Zentralbanken im Bereich der Aufsicht eine enge Zusammenarbeit mit der EZB aufgenommen.[67] Die Aufnahme eines Landes in den WKM II ist eine Voraussetzung für die Einführung des Euro. Die Währung muss mindestens zwei Jahre lang spannungsfrei am WKM II teilnehmen, insbesondere ohne Abwertung gegenüber dem Euro. Nach erfolgreicher Bewertung der Erfüllung aller Konvergenzkriterien muss der Beitritt zum Euro-Währungsgebiet im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union durch einen Beschluss des Rates der Europäischen Union bestätigt werden.[68]
11 Bessere Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
„Gute Kommunikation ist das Fundament der Glaubwürdigkeit der EZB. Sie untermauert unsere Legitimität in den Augen der Menschen, für die wir arbeiten.“
Christine Lagarde, EZB-Präsidentin
Die Covid-19-Pandemie hat beispiellose Verunsicherung mit sich gebracht – nicht nur in der Wirtschaft und unserer Gesellschaft insgesamt, sondern auch für jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns. Angst oder Orientierungslosigkeit sind oft die Folge. In einer solchen Situation ist eine zuverlässige, faktenbasierte, zeitnahe und klare Kommunikation von offizieller Seite unerlässlich, um einerseits wichtige Informationen weiterzugeben und andererseits Vertrauen zu schaffen. Dementsprechend hat die EZB ihre Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit im Berichtsjahr angepasst und intensiviert. Sie lieferte den Märkten und der breiten Öffentlichkeit zeitnahe und leicht zugängliche Informationen über ihre Einschätzung der wirtschaftlichen Aussichten und der beschlossenen politischen Maßnahmen. Vor allem verstärkte die EZB ihre Bemühungen, die Beweggründe für bestimmte Schritte sowie deren beabsichtigte Wirkung zu erklären und zu vermitteln, welche konkreten Vorteile diese den Menschen, Unternehmen, Banken und Regierungen im Euroraum bringen.
11.1 Kommunikation in Zeiten der Pandemie
Die EZB passte ihre Kommunikationsstrategie 2020 an die Erfordernisse der Pandemie an – Stichwort: Online-Kommunikation
Angesichts der Pandemie musste die EZB neue Wege erkunden, um ihr Publikum zu erreichen. Durch innovative Kommunikationsformen konnte sie den intensiven Dialog mit ihren Zielgruppen aufrechterhalten und diese weiterhin gut informieren. Auch im Berichtsjahr gelang es der EZB, Finanzmärkten und Fachleuten die technischen Details ihrer Maßnahmen gut zu erläutern und rasch auf alle Fragen zu reagieren. Auf ihrer Website richtete sie einen eigenen Bereich mit leicht zugänglichen Informationen zu den gesetzten Maßnahmen ein: Unsere Antwort auf die Coronavirus-Pandemie.
Ein wesentlicher Teil des neuen Kommunikationskonzepts war die Umstellung von persönlichen Treffen auf Online-Veranstaltungen, ‑Seminare und ‑Vorträge. Da es zu Beginn der Pandemie weniger Reden und Interviews der Direktoriumsmitglieder gab, erweiterte die EZB ihre Kommunikationskanäle um den ECB Blog. Der Blog bietet unter anderem Einblicke in aktuelle geldpolitische Entscheidungen sowie wirtschaftliche Trends im Euroraum und in anderen Teilen der Welt. Alle Beiträge werden von Entscheidungsträgerinnen und ‑trägern der EZB verfasst. 2020 wurden 19 Blogposts veröffentlicht, von denen sich viele mit der Reaktion der EZB auf die Krise befassten. Der 2019 eingeführte ECB Podcast ist ein weiterer wichtiger Kanal, um die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Im Berichtsjahr wurden neun Episoden veröffentlicht. Die Themen reichten dabei von den Auswirkungen der Pandemie auf die EZB und ihre geldpolitischen Maßnahmen und Geschäfte über die Rolle der Zentralbanken im Klimaschutz bis hin zur Möglichkeit eines digitalen Euro.
Das ECB Forum on Central Banking, das dem Thema Zentralbanken in einer sich wandelnden Welt gewidmet war, wurde ebenfalls erstmals online abgehalten. Dank des gewählten Studioformats, interaktiver Elemente und Livestreaming konnte ein größeres Publikum als sonst erreicht und mehr Interesse in den sozialen Medien generiert werden. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt die Rede der Präsidentin zur Geldpolitik in der Ausnahmesituation der Pandemie. Wie in den Jahren zuvor konnte mit dem Forschungswettbewerb „Young economists“ ein breiteres, jüngeres Publikum angesprochen werden.
Das EZB-Besucherzentrum, das sich sonst großer Beliebtheit unter Schulklassen und Studierenden erfreut, die mehr über die EZB und ihre Politik erfahren möchten, konnte im Berichtsjahr keine Führungen vor Ort durchführen. Stattdessen bietet die EZB jetzt einen virtuellen Rundgang an. Mit Virtual-Reality-Brille können Interessierte noch tiefer in die Welt der EZB eintauchen.
Digitale Kanäle waren und sind während der Pandemie essenziell für die Kommunikation. Infolge der Ausweitung ihres Online-Angebots sowie der deutlich verstärkten Präsenz der EZB, ihrer Präsidentin und anderer Direktoriumsmitglieder in den sozialen Medien konnte die EZB ihre Reichweite erhöhen und den Dialog mit der Online-Community festigen. So konnten in den sozialen Medien 2,8 Millionen Reaktionen seitens der Nutzerinnen und Nutzer verzeichnet werden. Eigens konzipierte Online-Formate, so wie der Austausch im Rahmen des European Youth Event, waren vor allem für jüngere Zielgruppen attraktiv. Bei dieser gemeinsam mit dem Europäischen Parlament organisierten Veranstaltung beantwortete Präsidentin Lagarde im Mai 2020 die Fragen junger Menschen aus ganz Europa. Die Themen reichten dabei von beruflichen Sorgen und Fragen zur Zukunft Europas bis hin zu Digitalisierung und Klimawandel. Auch durch Kooperationen mit erfahrenen Outreach-Organisationen bzw. Influencern, wie Finanzfluss, einer Plattform für Finanzwissen, konnte die EZB ihren Dialog mit jüngeren Zielgruppen intensivieren und besser auf deren Anliegen eingehen.
11.2 Kommunikation als Austausch: Die EZB hört zu
Die EZB hört zu: Wir wollen sicherstellen, dass das, was wir tun, dem Verständnis und den Erwartungen der Menschen in Europa entspricht
Im Rahmen ihrer Strategieüberprüfung evaluiert die EZB auch ihre Kommunikationsverfahren. Schließlich müssen ihre Ziele, Strategien und politischen Entscheidungen gut nachvollziehbar sein und von Menschen aus den verschiedensten Tätigkeits- und Interessenbereichen mitgetragen werden. Daher hat sich die EZB vorgenommen, sich nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch stärker an die breite Öffentlichkeit zu wenden. Sie ist entschlossen, sich ein genaueres Bild von den wirtschaftlichen Sorgen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger Europas zu verschaffen und herauszufinden, wie die EZB die Erwartungen der Menschen erfüllen kann.
Zu diesem Zweck luden Präsidentin Christine Lagarde und Chefökonom Philip R. Lane im Oktober 2020 zur ersten Veranstaltung im Rahmen der Reihe Die EZB hört zu ein. An diesem virtuellen Event nahmen 22 Vertreterinnen und Vertreter von 18 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus neun verschiedenen Tätigkeitsbereichen teil. Letztere reichten von Umweltschutz und Nachhaltigkeit über Soziales und Wirtschaft bis hin zu Religion, Kultur und Transparenz.
Bei der Veranstaltung schalteten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus sieben verschiedenen Ländern zu. Das Programm konzentrierte sich auf zwei wesentliche Themenbereiche: zum einen auf die Wirkung der Geldpolitik und der Kommunikation der EZB und zum anderen auf die globalen Herausforderungen der Zukunft. Die Diskussionen dazu waren von großer Offenheit geprägt.
Unter dem Motto Ihre Zentralbank hört zu organisierten auch verschiedene nationale Zentralbanken im gesamten Euroraum ähnliche Events, die weitere Erkenntnisse über die Anliegen und Erwartungen der Menschen brachten.
Um die Vorstellungen und Standpunkte eines breiten Querschnitts der diversen Interessengruppen in Erfahrung zu bringen, richtete die EZB ein Online-Portal ein (deutscher Titel: Die EZB hört zu). Auch bei diesem Kommunikationskanal geht es darum, die Ansichten der Bürgerinnen und Bürger zur Wirtschaft im Euroraum sowie die Erwartungen der Bevölkerung an die EZB besser erfassen zu können. Im Jahr 2020 wurden fast 4 000 Kommentare zur geldpolitischen Strategie der EZB in das Portal eingestellt.
Die über das Portal und bei der Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Die EZB hört zu“ bzw. im Zuge von NZB-Veranstaltungen erhaltenen Rückmeldungen werden 2021 in die Beratungen zur Strategieüberprüfung einfließen.
Darüber hinaus initiierte die EZB eine Reihe von Webinaren in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das erste fand im September 2020 statt und befasste sich mit den Auswirkungen von Covid-19 auf die Wirtschaft des Euroraums und mit der geldpolitischen Reaktion der EZB.
12 Organisatorische Resilienz und Corporate Governance
Als Arbeitgeberin sind der EZB Motivation, Engagement und Weiterentwicklung innerhalb der Belegschaft ein zentrales Anliegen. Trotz der zusätzlichen Herausforderungen angesichts der Covid-19-Pandemie konnte die EZB im Berichtsjahr neue Talente ins Unternehmen holen und erfahrene Spitzenkräfte halten, deren Entwicklung weiterhin gefördert wurde, und bei einer Reihe von anderen Initiativen und Prozessen im Personalbereich weitere Fortschritte erzielen. Die außergewöhnlichen Eindrücke und Herausforderungen des Jahres 2020 werden in Kapitel 12 Abschnitt 2 aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beleuchtet.
Die EZB bekennt sich uneingeschränkt zu höchsten Integritäts- und Governance-Standards. Mit dem im Berichtsjahr verbesserten Whistleblowing-Rahmen bekräftigt die EZB ihr Engagement für gemeinsame Werte und garantieren höchste Vertraulichkeit für Beschäftigte, die potenzielle Verstöße melden.
12.1 Personelle Höchstleistungen in außergewöhnlichen Zeiten
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZB sind das Fundament ihrer Leistungen
Die Covid-19-Pandemie stellt die EZB vor neue Herausforderungen. Oberste Priorität im Berichtsjahr hatten die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gleichzeitig war es der EZB ein Anliegen, ihre Belegschaft dabei zu unterstützen, berufliche und private Verpflichtungen bestmöglich zu vereinbaren, und so ein optimales Arbeiten zu ermöglichen.
Die EZB traf mehrere Vorsichtsmaßnahmen, um ihre Beschäftigten zu schützen und sicherzustellen, dass sie ihr Mandat weiterhin erfüllen kann. So forderte sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Ausbruch der Pandemie auf, von zu Hause aus zu arbeiten – ausgenommen sind nur jene, die besonders sensible Aufgaben in den Gebäuden der EZB wahrnehmen müssen. Bereichen mit kritischen Funktionen, die zusätzliche Unterstützung benötigten, wurden personelle Ressourcen aus anderen Abteilungen zur Verfügung gestellt.
Im Hinblick auf die außergewöhnlichen Umstände der Covid-19-Krise nahm die EZB zudem regelmäßige Anpassungen ihrer Arbeitsplatzbedingungen, ‑bestimmungen und ‑richtlinien vor; so konnten das Wohlergehen und die berufliche Weiterentwicklung ihrer Beschäftigten sowie ein inklusives Unternehmensumfeld gefördert werden. Initiativen in diesem Zusammenhang umfassten regelmäßige Kommunikation und Sensibilisierung innerhalb der Organisation, verstärkte emotionale Unterstützung durch medizinische und psychologische Beratung sowie flexible Arbeitszeiten und Unterstützung im Bereich der Kinderbetreuung. Die EZB verlängerte auch vorübergehend einzelne Verträge, die ansonsten im Berichtsjahr ausgelaufen wären. Das Onboarding neuer Belegschaftsmitglieder erfolgte größtenteils virtuell.
Auch im Bereich der beruflichen Weiterentwicklung wurde im Berichtsjahr Unterstützung angeboten. So wurde im Januar 2020 ein neues Karrierekonzept umgesetzt, auf dessen Grundlage Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfacher in andere Tätigkeitsbereiche innerhalb der Organisation – entweder auf derselben oder einer höheren Hierarchieebene – wechseln können. Darüber hinaus standen dem Personal der EZB diverse Schulungen und Kurse offen, die online besucht werden konnten. Zur Stärkung der internen Führungskompetenz, die eine Schlüsselrolle im Personalmanagement spielt, investierte die EZB in Remote-Coaching und ‑Beratung für Führungskräfte sowie Teamkoordinatorinnen und ‑koordinatoren. Schwerpunktthemen waren die Bewältigung der Covid‑19-Krise und die Leitung virtueller bzw. hybrider (vor Ort und remote arbeitender) Teams. Neben Tipps und Informationen zu Best Practices aus anderen Organisationen wurde auf den internen Plattformen der EZB außerdem ein eigenes Forum angeboten, in dem sich Personal und Führungskräfte austauschen und Fragen stellen können.
Ein von Offenheit, Respekt, Diversität und Inklusion geprägtes Arbeitsumfeld ist der EZB ein großes Anliegen. Angesichts der vorrangig virtuellen Arbeitssituation galt es 2020 mehr denn je, eine inklusive Organisationskultur zu fördern. So wurde im Berichtsjahr auf Grundlage von neuen Zielwerten auch eine verbesserte Strategie zur Durchsetzung eines ausgewogenen Frauen- und Männeranteils sowie einige flankierende Maßnahmen zur Förderung der Geschlechterdiversität beschlossen. Diese Zielwerte beziehen sich nicht nur auf den Gesamtanteil der Frauen in der Belegschaft, sondern erstmals auch auf Neuaufnahmen und Beförderungen.
Schaubild 4
Frauen bei der EZB: Neuaufnahmen, Beförderungen und Gesamtanteil – Status quo und Zielvorgaben
Auch während der Covid-19-Pandemie setzte die EZB ihre bewusstseinsbildenden Aktivitäten zu Diversität und Inklusion fort. Mit Unterstützung ihrer Mitarbeiternetzwerke beging sie in diesem Bereich mehrere wichtige Anlässe, wie den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, den Internationalen Frauentag, den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT), den Internationalen Tag gegen Rassismus und den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung. Seit 2020 gibt es in der EZB auch ein Elternnetzwerk zur stärkeren Bewusstseinsbildung hinsichtlich Themen, die für Mütter und Väter relevant sind. Ziel des Netzwerks ist es, eine Organisationskultur, Dienstbestimmungen und Angebote zu fördern, die den Interessen und Bedürfnissen von (werdenden) Eltern bestmöglich entsprechen.
Um Wohlergehen und Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der derzeit außergewöhnlichen Situation im Blick zu behalten, beschloss die EZB im Berichtsjahr, regelmäßige Erhebungen in der Belegschaft durchzuführen. Solange die Covid‑19-Pandemie andauert, wird diese Initiative fortgesetzt, damit die EZB angemessene Unterstützungsmaßnahmen setzen kann, um Wohlbefinden, Engagement und Inklusion innerhalb der Belegschaft zu fördern.
12.2 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben Einblick in ihre Arbeit
Massimo Antolini, Adviser, Generaldirektion Informationssysteme
Ich arbeite im End-User-Support. Wir sind dafür zuständig, Laptops und Telefone für die gesamte Belegschaft bereitzustellen und zu verwalten. Damit alle bei der EZB ortsunabhängig arbeiten und in Kontakt bleiben können, stellen wir Tools und Dienste zur Verfügung, mit denen man sich schnell austauschen, zusammenarbeiten und Videokonferenzen abhalten kann. Darüber hinaus unterstützen wir die Direktoriumsmitglieder und deren Sekretariate in allen IT-relevanten Fragen.
Gemeinsam mit anderen Teams der Abteilung Infrastruktur und Betrieb betreuen wir den Fernzugriff auf alle IT-Dienste der EZB. Dank des Fernzugriffs konnten die Kolleginnen und Kollegen nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie auf Arbeit im Homeoffice umsteigen. So konnte das Ansteckungsrisiko in den EZB-Bürogebäuden gering gehalten werden. Auch wenn bei der Remote-Arbeit so manche Vorteile der Zusammenarbeit und des persönlichen Austauschs vor Ort zum Teil verloren gehen, so hat uns die Technik doch seit Beginn der coronabedingten Beschränkungen dabei geholfen, unseren Betrieb aufrechtzuerhalten und die Widerstandsfähigkeit unserer Organisation zu bewahren.
Für jene Kolleginnen und Kollegen, die weiter im Gebäude arbeiten müssen, haben wir mehrere Besprechungsräume mit verbesserter Videokonferenzausrüstung ausgestattet. Generell sind wir immer da, um unsere User zu unterstützen. Unsere Bemühungen zeigen auch bereits Ergebnisse: Sowohl die Kolleginnen und Kollegen als auch die Direktoriumsmitglieder haben gelernt, mit den neuen Tools umzugehen. Sie nutzen die Kommunikationstools mittlerweile routiniert, um Online-Meetings zu organisieren oder Pressetermine bzw. interinstitutionelle Termine per Videoschaltung abzuhalten. Durch den Wegfall vieler Geschäftsreisen sind neue Termine für zusätzliche Veranstaltungen frei geworden, und ich glaube, dass die EZB für die Bevölkerung noch nie so erreichbar und greifbar war wie jetzt.
Shani Kopolo, Praktikantin, Generaldirektion Personal
Ich habe vor Kurzem meinen Master in internationalem Personalmanagement an der University of Edinburgh gemacht. Meine Wurzeln liegen in Finnland und Sambia. Aufgewachsen bin ich in Wien, wo ich eine internationale Schule besucht habe. Aufgrund meiner kulturell vielfältigen Erfahrungen freue ich mich sehr, bei der EZB arbeiten zu dürfen. Als Praktikantin im Bereich Arbeitskultur in der Abteilung Talentmanagement arbeite ich an Projekten, die unter anderem mit Diversität und Inklusion zu tun haben. Mit unseren Initiativen wollen wir sicherstellen, dass die EZB ein Ort ist, an dem sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertgeschätzt, respektiert und gut integriert fühlen und die Gewissheit haben, sämtliche Facetten ihrer Persönlichkeit einbringen zu können. Das ist immer wichtig. In Zeiten von Covid-19 aber umso mehr – da spreche ich aus eigener Erfahrung, denn ich habe mein Praktikum mitten in der Pandemie angetreten. Da die persönliche Interaktion nicht wie gewohnt stattfinden kann, ist es eine Herausforderung, sich in ein Team zu integrieren, und auch die Einarbeitung ist nicht so leicht wie sonst. Extrem hilfreich fand ich, dass ich mich während der Einarbeitungsphase mit meinen Kolleginnen und Kollegen über Videoanrufe austauschen konnte statt nur per E-Mail. Meine Kolleginnen und Kollegen haben alles dafür getan, dass ich mich als Teil des Teams fühle. Ich habe also selbst erlebt, wie wichtig unsere Arbeit zur Inklusion für das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, besonders in so außergewöhnlichen Zeiten wie jetzt, während der Covid-19-Pandemie, wenn fast alle im Homeoffice arbeiten.
Julia Körding, Lead Financial Risk Expert, Direktion Risikomanagement
Ich bin 2006 zur EZB gekommen, nach einer Doktorarbeit und einem Postdoc in Reiner Mathematik. Ich wollte mit mehr Praxisbezug arbeiten und einen positiven Beitrag zum Leben der Menschen leisten. Das Ziel der EZB, zum Wohle aller Menschen in Europa zu arbeiten, motiviert mich in meiner täglichen Arbeit. Anfang 2020 arbeitete ich noch in der Generaldirektion Sekretariat und koordinierte dort die Sitzungen des EZB-Rats und die Erstellung des EZB-Jahresberichts 2019. Als die EZB dann in anderen Bereichen im Zusammenhang mit der Reaktion auf die Covid-19-Pandemie dringender Ressourcen benötigte, wechselte ich im April 2020 kurzfristig in die Direktion Risikomanagement. Dort kann ich mich aufgrund meiner Mathematikexpertise einbringen, wenn es darum geht, im Team neue Bonitätsbeurteilungsquellen zu bewerten und geeignete Maßnahmen zur Risikominderung zu erarbeiten. Ziel dabei ist es, die Finanzierung der Realwirtschaft zu sichern, indem wir Banken die Möglichkeit geben, ein breiteres Spektrum an Krediten als Sicherheiten für unsere geldpolitischen Operationen zu hinterlegen. Meine neuen Kolleginnen und Kollegen habe ich viele Monate lang nur über den Bildschirm zu Gesicht bekommen. Komplexe technische Fragen im Homeoffice via Laptop zu diskutieren, war nicht immer einfach, aber als Teil eines guten Teams sehr bereichernd. Ich bin stolz, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass die Folgen der Pandemie für die Menschen im Euroraum abgemildert werden.
Belén Pérez Esteve, Senior Public Outreach Expert, Generaldirektion Kommunikation
Damit die EZB ihr Preisstabilitätsmandat erfüllen kann, müssen Marktakteure und auch die europäische Bevölkerung die Arbeit der EZB verstehen. Dies gilt besonders in Zeiten extremer Umstände wie während der Covid-19-Pandemie. In meinem Team geht es darum, der Bevölkerung die Arbeit der EZB näherzubringen. Ich organisiere dabei unter anderem Initiativen, die sich an junge Europäerinnen und Europäer richten. Junge Menschen sind sehr schlimm von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen. Daher haben wir uns 2020 sehr bemüht, gute und zielgruppengerechte Online-Alternativen sowie innovative Formate für ursprünglich als Präsenzveranstaltungen geplante Events zu erarbeiten. Ein Beispiel war der Online-Dialog im Rahmen des European Youth Event, bei dem die Teilnehmenden ihre Fragen direkt an Präsidentin Christine Lagarde richten konnten. Unser Team hat auch mehrere Interviews für den YouTube-Kanal von „Finanzfluss“, einer Plattform für Finanzwissen organisiert, sowie eine Social-Media-Kampagne mit dem European Youth Forum. Letztere soll sicherstellen, dass auch die Sichtweisen junger Menschen in Europa in die Überprüfung der geldpolitischen Strategie der EZB einfließen. Im digitalen Zeitalter inmitten einer Pandemie mit neuen Kommunikationstrends und den Präferenzen unterschiedlicher Zielgruppen Schritt zu halten, ist nicht leicht, aber äußerst lohnend, wenn es einem gelingt, der Bevölkerung unsere Arbeit näherzubringen und neue Zielgruppen zu erreichen.
Olivier Strube, Principal Banknote Issuance Expert, Direktion Banknoten
Ich bin dafür zuständig, die Lieferung von Euro-Banknoten aus den neun Druckereien, in denen sie hergestellt werden, an die 19 nationalen Zentralbanken (NZBen) des Euroraums zu koordinieren. Die NZBen stellen sie dann für die Bürgerinnen und Bürger bereit. Auf Grundlage der prognostizierten Bargeldnachfrage erstelle ich in der Regel mehrere Monate im Voraus den monatlichen Lieferplan für ein bestimmtes Jahr für alle NZBen. Dabei hilft mir eine Optimierungssoftware, Angebot und Nachfrage effizient aufeinander abzustimmen. Im Vorfeld des ersten Lockdowns erlebten wir im März 2020 eine unvorhergesehen hohe Nachfrage nach Banknoten. Dann folgte eine teilweise bzw. vollständige Schließung von Druckereien und von Bargeldlogistikzentren, die für die Auswahl von umlauffähigen Banknoten zuständig sind. Dadurch verringerte sich das Banknotenangebot unerwartet. Aufgrund dieser seltenen Kombination aus Nachfrage- und Angebotsschock musste ich den Lieferplan komplett umorganisieren und auf unsere strategischen Banknotenreserven zurückgreifen. So konnte ich mehr als 20 Ad-hoc-Lieferungen von Banknoten nach ganz Europa veranlassen. Um sicherzustellen, dass nirgendwo im Euroraum die Banknoten knapp werden, musste ich die vorhandenen Bestände und die Versorgung mit Banknoten genau im Auge behalten und mich mit den NZBen abstimmen. Diese Herausforderung zu meistern, gelang nicht zuletzt dank einer intern entwickelten Anwendung, mit deren Hilfe unterschiedliche Angebots- und Nachfrageszenarien durchgespielt werden können. In dieser schwierigen Zeit habe ich wirklich ein Gefühl der Gemeinschaft in Europa erlebt. Alle 19 NZBen haben sich gegenseitig unbürokratisch unterstützt, damit alle Menschen im Euroraum jederzeit und überall Zugang zu Bargeld haben.
Anne van der Graaf, Graduate-Programme-Teilnehmerin, Generaldirektion Finanzmarktoperationen
Ich bin in meinem zweiten Jahr im Graduate Programme der EZB. Aktuell arbeite ich im Bereich Euroraum-Anleihemärkte. Meine Hauptaufgabe ist es, die NZBen bei der Umsetzung von Wertpapierankäufen im Unternehmenssektor zu unterstützen – und zwar im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) und des Pandemie-Notfallankaufprogramms (PEPP). Ich leiste einen direkten Beitrag dazu, dass Unternehmen trotz der extremen Umstände während der Pandemie weiterhin günstige Finanzierungsbedingungen vorfinden, und schätze mich glücklich, dass ich Erfahrungen vor Ort im Handelsraum der EZB sammeln konnte. Da immer nur eine begrenzte Anzahl an Personen im Büro sein darf, hat die Pandemie meinen Arbeitsalltag sehr verändert. Jetzt beobachte ich die Anleihemärkte des Euroraums von zu Hause aus. Der sonst als gemütliches Gästezimmer genutzte Raum in meiner Wohnung wurde zum Homeoffice umfunktioniert – das Schlagzeug meines Mitbewohners neben meinem Schreibtisch ist eine nette Ergänzung zum Büromobiliar.
Stefan Wredenborg, Senior Team Lead und Sekretär des Ausschusses für Finanzstabilität, Generaldirektion Makroprudenzielle Politik und Finanzstabilität
Wichtige Teile der Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden erfolgen auf Ausschussebene, zum Beispiel im Ausschuss für Finanzstabilität. Dieser war 2020 aufgrund der Pandemie besonders gefordert. Es fanden mehr (Online-)Sitzungen statt als sonst, um die Entwicklung der Finanzstabilität und Entscheidungen im Bereich der Makroaufsicht zu diskutieren. Ich habe die Aufgabe des Sekretärs des Ausschusses 2020 übernommen und angesichts der Rahmenbedingungen gleich eine echte Feuertaufe erlebt, die ich aber dank einer reibungslosen Übergabe, großartiger Kolleginnen und Kollegen im Sekretariatsteam und der Unterstützung durch den Ausschussvorsitzenden bestehen konnte.
2020 war ein herausforderndes Jahr, auch für die Ausschussmitglieder, da wir uns alle erst an die neuen Formen der Zusammenarbeit gewöhnen und gleichzeitig eine erhöhte Arbeitsbelastung bewältigen mussten. Ich glaube, dass uns das gelungen ist – dank der sehr großen Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten, der ausgezeichneten Analysen der nationalen Behörden und der EZB und der Unterstützung durch unsere IT, die uns geholfen hat, mit dem neuen Arbeitsumfeld umzugehen. Etwas paradox finde ich, dass wir meinem Empfinden nach in diesem Jahr im Ausschuss trotz der räumlichen Distanz näher zusammengerückt sind. Die Ausschussmitglieder aus allen EU-Ländern bei Video-Meetings im jeweiligen Homeoffice statt in der EZB an einem großen Tisch zu sehen, hat mir das Gefühl vermittelt, dass wir alle gemeinsam diese fordernde Zeit durchleben. Dennoch: Die gelegentlichen persönlichen Treffen und die Möglichkeit zum informellen Austausch in den Sitzungspausen vermissen wir alle sehr!
12.3 Verbesserte Integritäts- und Governance-Standards
Verbesserter, vertraulicher Whistleblowing-Rahmen stärkt Integrität und Corporate Governance der EZB
Zur Stärkung ihrer Integrität und Corporate Governance stellte die EZB ihr internes Hinweisgebersystem 2020 auf eine bessere Basis. Dank des neuen Whistleblowing-Rahmens können jetzt potenzielle Verstöße gegen Dienstpflichten sowie unangemessenes Verhalten oder andere Unregelmäßigkeiten unter Nutzung eines internen Tools einfach, sicher und anonym gemeldet werden. Den heute gängigen Standards folgend können Whistleblower sowie Zeuginnen und Zeugen außerdem Schutz vor Sanktionen beantragen. Darüber hinaus wurde der Anwendungsbereich der neuen Regeln auf alle hochrangigen Funktionsträgerinnen und ‑träger bei der EZB ausgeweitet. Der Whistleblowing-Rahmen ergänzt den bestehenden Meldemechanismus der EZB, der vor allem für Verstöße in der Bankenaufsicht genutzt wird und extern zugänglich ist.
Im Berichtsjahr wurden in der EZB auch neue Initiativen und Kommunikationskampagnen entwickelt, um die Belegschaft über die geltenden Ethikregeln zu informieren. Neu ist zum Beispiel ein verpflichtendes E-Learning-Programm bei Dienstantritt („Being ethical“). Die Stabsstelle Compliance und Governance reagierte 2020 auf mehr als 1 900 Anfragen zu einer Vielzahl von Themen, die zu gleichen Teilen aus dem Zentralbank- und dem Bankenaufsichtsbereich eingebracht wurden. Fast 60 % der Anfragen betrafen private Finanztransaktionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gefolgt von Anfragen zu externen Tätigkeiten und Interessenkonflikten (siehe Abbildung 25). Die mithilfe eines externen Dienstleisters durchgeführten Compliance-Prüfungen bestätigten die generelle Einhaltung der Vorschriften zu privaten Finanztransaktionen durch die Mitglieder der EZB-Belegschaft und ihrer hochrangigen Gremien.
Abbildung 25
Übersicht zu Anfragen aus der EZB-Belegschaft im Jahr 2020
Auf der Ebene des Eurosystems und des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus wurde die Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralbanken und den nationalen zuständigen Behörden im Rahmen der für Ethikfragen verantwortlichen Arbeitsgruppe (Ethics and Compliance Officers Task Force) fortgesetzt. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Abstimmung und Kohärenz der in den verschiedenen Institutionen geltenden Ethikleitlinien.
Auf internationaler Ebene wurde die EZB in das Ethiknetzwerk multilateraler Organisationen (ENMO) aufgenommen. Dieses Forum für Informations- und Erfahrungsaustausch wurde ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit in Integritätsfragen von allgemeinem Interesse zu erleichtern und die Anwendung von Praxisstandards in diesem Bereich voranzutreiben. Die ENMO-Mitgliedschaft dokumentiert das Engagement der EZB in Fragen der Ethik und der verantwortungsvollen Unternehmensführung.
Im Einklang mit dem Verhaltenskodex für hochrangige Funktionsträger der Europäischen Zentralbank evaluierte der Ethikausschuss der EZB die von den Mitgliedern des Direktoriums, des EZB-Rats und des Aufsichtsgremiums zur Online-Veröffentlichung vorgelegten Erklärungen betreffend Interessenkonflikte. Im Jahr 2020 nahm die Zahl der vom Ethikausschuss abgegebenen Stellungnahmen zu; sie betrafen vorwiegend Handlungen, die Bedienstete als Privatpersonen gesetzt hatten, sowie Aktivitäten nach Ausscheiden aus dem Amt.
Im Interesse von noch mehr Transparenz beschloss der EZB-Rat, die an die aktuellen und künftigen Mitglieder des EZB-Direktoriums, des EZB-Rates und des Aufsichtsgremiums gerichteten Stellungnahmen des Ethikausschusses zu möglichen Interessenkonflikten und Erwerbstätigkeit nach Amtsniederlegung auf der Website der EZB zu veröffentlichen.
Darüber hinaus bearbeitete die EZB im Berichtsjahr 67 von EU-Bürgerinnen und ‑Bürgern eingebrachte Anträge auf Einsichtnahme in EZB-Dokumente und ermöglichte den (teilweisen oder vollständigen) Zugang zu mehr als 190 Dokumenten.
Der Prüfungsausschuss der EZB[69] führte 2020 die alle drei Jahre stattfindende Überprüfung seines Mandats durch. In diesem Zusammenhang beschloss er zusätzliche Bestimmungen zur weiteren Stärkung und Absicherung der Unabhängigkeit seiner Mitglieder, nicht zuletzt, um den Aufrufen des Europäischen Parlaments und unterschiedlicher NGOs nachzukommen. Der Prüfungsausschuss berät den EZB-Rat in zentralen Fragen der Corporate Governance im Eurosystem und in der EZB – sowohl im Zentralbankbereich als auch in der Bankenaufsicht. Er wurde im Berichtsjahr regelmäßig über die von der EZB ergriffenen Maßnahmen und Initiativen zur Bewältigung der aus der Covid-19-Pandemie erwachsenden finanziellen und operativen Risiken unterrichtet und sprach sich weiterhin für die rechtzeitige Umsetzung offener Prüfempfehlungen aus.
Jahresabschluss
Erweiterter Jahresabschluss der EZB 2020 (europa.eu)Konsolidierte Bilanz des Eurosystems zum 31. Dezember 2020
Konsolidierte Bilanz des Eurosystems zum 31. Dezember 2020 (europa.eu)Statistikteil (nur auf Englisch verfügbar)
https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/annrep/ecb.ar_annex2020_statistical_section~ae79ac8ab8.en.pdf© Europäische Zentralbank, 2021
Postanschrift 60640 Frankfurt am Main, Deutschland
Telefon +49 69 1344 0
Internet www.ecb.europa.eu
Alle Rechte vorbehalten. Die Anfertigung von Kopien für Ausbildungszwecke und nichtkommerzielle Zwecke ist mit Quellenangabe gestattet.
Redaktionsschluss für die in dieser Ausgabe enthaltenen Daten war am 25. Februar 2021 (auf allfällige Abweichungen wird separat hingewiesen).
Zu Terminologie und Abkürzungen siehe auch das Glossar der EZB (liegt nur auf Englisch vor).
HTML ISBN 978-92-899-4632-2, ISSN 1725-2849, doi:10.2866/767141, QB-AA-21-001-DE-Q
- Die Aussichten Ende 2020 fußten auf der Erwartung, dass die Pandemie medizinisch gelöst wird und ab Mitte 2021 eine großflächige Verabreichung von Impfstoffen erfolgt.
- Die Daten in Kapitel 1 Abschnitt 2 entsprechen der zweiten Schätzung von Eurostat vom 9. März 2021.
- Siehe EZB, Ergebnisse einer Umfrage unter führenden Unternehmen zu den langfristigen Auswirkungen der Pandemie, Kasten 6, Wirtschaftsbericht 8/2020, Januar 2021.
- Siehe EZB, Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den Arbeitsmarkt im Euro-Währungsgebiet – eine vorläufige Einschätzung, Kasten 5, Wirtschaftsbericht 5/2020, Juli 2020.
- Siehe EZB, Auswirkungen eines Covid-19-bedingten Anstiegs der Marktaustritte von Unternehmen auf das Produktionspotenzial, Kasten 2 in: Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Produktionspotenzial im Euro-Währungsgebiet, Wirtschaftsbericht 7/2020, November 2020.
- Der fiskalische Kurs spiegelt Richtung und Ausmaß des Fiskalimpulses auf die Volkswirtschaft ohne die automatische Reaktion der öffentlichen Finanzen auf den Konjunkturzyklus wider. Er wird hier anhand der Veränderung des konjunkturbereinigten Primärsaldos ohne Anrechnung der staatlichen Unterstützungsleistungen für den Finanzsektor gemessen. Zum Konzept des Fiskalkurses im Euroraum siehe EZB, Der fiskalische Kurs im Euro-Währungsgebiet, Wirtschaftsbericht 4/2016, Juni 2016.
- Siehe Europäische Kommission, Herbstprognose 2020.
- Siehe hierzu EZB, Die finanzpolitischen Reaktionen der Länder des Euro-Währungsgebiets in den Anfangsphasen der Covid-19-Krise, Wirtschaftsbericht 1/2021, Februar 2021.
- Siehe Europäische Kommission, Herbstprognose 2020.
- Die Daten in Kapitel 1 Abschnitt 4 entsprechen der zweiten Schätzung von Eurostat vom 9. März 2021.
- Eine eingehende Erörterung der Faktoren, die diese vorübergehende Preisspitze bei Nahrungsmitteln auslösten, findet sich in EZB, Jüngste Entwicklung der Nahrungsmittelpreise im Euro-Währungsgebiet, Kasten 7, Wirtschaftsbericht 5/2020, Juli 2020.
- Eine Erörterung der Schwierigkeiten bei der Messung der Verbraucherpreise während der Pandemie findet sich in EZB, Konsumverhalten und Inflationsmessung während der Covid-19-Pandemie, Kasten 3, Wirtschaftsbericht 7/2020, November 2020.
- Siehe auch EZB, Kurzarbeitsregelungen: Auswirkungen auf Löhne und verfügbares Einkommen, Kasten 6, Wirtschaftsbericht 4/2020, Juni 2020; und EZB, Können Daten zu den Tarifverdiensten zur Messung der Lohndynamik während der Covid-19-Pandemie beitragen?, Kasten 7, Wirtschaftsbericht 8/2020, Januar 2021.
- Nähere Informationen über die aufsichtlichen Maßnahmen im Hinblick auf Kapitalerleichterungen und operative Flexibilität für Banken finden sich in Kapitel 3 Abschnitt 3 sowie im EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit 2020.
- Der EZB-Rat kündigte außerdem an, dass das zukünftige Auslaufen des PEPP-Portfolios in jedem Fall so gesteuert werden würde, dass eine Beeinträchtigung des angemessenen geldpolitischen Kurses vermieden werde. Diese Wiederanlagestrategie des PEPP würde das Risiko einer ungerechtfertigten Verschärfung der Finanzierungsbedingungen vermindern.
- Das Eurosystem richtete außerdem eine Absicherung gegen Liquiditätsengpässe ein, und zwar über zusätzliche LRGs im März und anschließend durch eine Serie von sieben Pandemie-Notfallrefinanzierungsgeschäften (PELTROs) im April.
- Das Eurosystem strebt eine marktneutrale Portfoliostruktur an. Dementsprechend wird beim Ankauf von Anleihen eine Streuung über alle zulässigen Laufzeiten pro Land angepeilt, die der Struktur des Staatsanleihemarktes im Euroraum entspricht.
- Weiterführende Informationen zur Wertpapierleihe im Rahmen der verschiedenen Ankaufprogramme finden sich auf der Website der EZB unter Securities lending of holdings under the asset purchase programme (APP) and the pandemic emergency purchase programme (PEPP).
- Die EZB veröffentlicht auf aggregierter Basis den Monatsdurchschnitt der Beleihung von PSPP-Wertpapieren sowie den monatlichen Durchschnitt der erhaltenen Barsicherheiten.
- Siehe EZB, The financial risk management of the Eurosystem’s monetary policy operations, Juli 2015.
- Siehe auch den Bereich Programme zum Ankauf von Vermögenswerten auf der Website der EZB.
- Für Asset-Backed Securities müssen Ratings von mindestens zwei zugelassenen Ratingagenturen vorliegen.
- Siehe Artikel 138 Absatz 3(b) der Leitlinie (EU) 2015/510 der EZB vom 19. Dezember 2014 über die Umsetzung des geldpolitischen Handlungsrahmens des Eurosystems (ECB/2014/60) (ABl. L 91 vom 2.4.2015, S. 3).
- Die Obergrenze je Emittent entspricht dem maximalen Anteil am Umlaufvolumen der Anleihen einzelner Emittenten, den das Eurosystem erwerben dürfte.
- Siehe EZB, Die stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie des Eurosystems, Monatsbericht Januar 1999; und EZB, Ergebnis der von der EZB durchgeführten Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie, Monatsbericht Juni 2003.
- Siehe M. Parker, The impact of disasters on inflation, Working Paper Series der EZB, Nr. 1982, November 2016.
- Siehe R. De Haas und A. Popov, Finance and carbon emissions, Working Paper Series der EZB, Nr. 2318, September 2019.
- Siehe G. Benmir, I. Jaccard und G. Vermandel, Green asset pricing, Working Paper Series der EZB, Nr. 2477, Oktober 2020.
- Siehe M. Agnoletti, S. Manganelli und F. Piras, Covid-19 and rural landscape: the case of Italy, Working Paper Series der EZB, Nr. 2478, Oktober 2020.
- Siehe EZB, Financial Stability Review, November 2020.
- Siehe EZB, Financial Stability Review, November 2020.
- Siehe beispielsweise COVID-19 Vulnerability Analysis, Bankenaufsicht der EZB, 28. Juli 2020, und K. Budnik et al., Banking euro area stress test model, Working Paper Series der EZB, Nr. 2469, September 2020.
- Nach den entsprechenden Anträgen auf eine enge Zusammenarbeit mit der EZB wurde 2019 eine umfassende Bewertung, d. h. ein Comprehensive Assessment von bulgarischen Banken und 2020 ein Comprehensive Assessment von kroatischen Banken durchgeführt.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB nimmt enge Zusammenarbeit mit der bulgarischen Zentralbank auf, Pressemitteilung vom 10. Juli 2020.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB nimmt enge Zusammenarbeit mit der kroatischen Zentralbank auf, Pressemitteilung vom 10. Juli 2020.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB gibt bekannt, welche bulgarischen und kroatischen Banken sie ab Oktober 2020 direkt beaufsichtigen wird, Pressemitteilung vom 11. September 2020.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB-Bankenaufsicht reagiert auf Coronavirus – vorübergehende Kapitalerleichterungen und operative Flexibilität für Banken, Pressemitteilung vom 12. März 2020.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB-Bankenaufsicht reagiert mit zusätzlichen Flexibilisierungsmaßnahmen für Banken auf die Ausbreitung des Coronavirus, Pressemitteilung vom 20. März 2020.
- Siehe E. McCaul, A pragmatic SREP delivers appropriate supervision for the crisis, The Supervision Blog, EZB-Bankenaufsicht, 12. Mai 2020.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB-Bankenaufsicht reagiert mit zusätzlichen Flexibilisierungsmaßnahmen für Banken auf die Ausbreitung des Coronavirus, Pressemitteilung vom 20. März 2020.
- Siehe EZB-Bankenaufsicht, EZB erlaubt vorübergehende Erleichterung bei der Verschuldungsquote nach Feststellung außergewöhnlicher Umstände infolge der Pandemie, Pressemitteilung vom 17. September 2020. Gemäß Eigenkapitalverordnung (CRR) in ihrer geänderten Fassung („CRR Quick Fix“) ist die Bankenaufsicht berechtigt, nach Rücksprache mit der betreffenden Zentralbank Kreditinstituten zu erlauben, bestimmte Risikopositionen gegenüber Zentralbanken aus ihrer Verschuldungsquote auszuschließen.
- Siehe Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1) und insbesondere Artikel 178 Absatz 2 der Verordnung.
- Siehe A. Enria und E. Fernandez-Bollo, Fostering the cross-border integration of banking groups in the banking union, The Supervision Blog, EZB-Bankenaufsicht, 9. Oktober 2020.
- Siehe Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 8. November 2017 zu Änderungen des Unionsrahmens für das Krisenmanagement (CON/2017/47) (Abl. C 34 vom 31.1.2018, S. 17).
- Siehe beispielsweise L. de Guindos, F. Panetta und I. Schnabel, Europe needs a fully fledged capital markets union – now more than ever, The ECB Blog, EZB, 2. September 2020.
- Siehe EZB, Financial Integration and Structure in the Euro Area, März 2020.
- Im Januar 2020 wurde ein neuer statistischer Berichtsrahmen für T2S eingeführt. Eine Übersicht über die wichtigsten Änderungen und ihre Auswirkungen auf die T2S-Indikatoren findet sich in einem Kasten im T2S-Jahresbericht 2019 – siehe Changes in the T2S statistical framework.
- Im Rahmen von Repo-Vereinbarungen gewährt die kreditgebende Zentralbank anderen Zentralbanken Zugang zu finanziellen Mitteln in der Währung der kreditgebenden Zentralbank. Im Gegenzug akzeptiert der Kreditgeber auf diese Währung lautende Wertpapiere als Sicherheiten, um die Rückführung durch die kreditnehmende Zentralbank sicherzustellen.
- Siehe auch F. Panetta und I. Schnabel, The provision of euro liquidity through the ECB’s swap and repo operations, The ECB Blog, EZB, 19. August 2020.
- Siehe EZB, EZB veröffentlicht ab 15. April 2021 durchschnittliche vergangenheitsbezogene Zinssätze auf Basis des Euro Short-Term Rate (€STR) mit Aufzinsung, Pressemitteilung vom 18. März 2021.
- Gemäß Artikel 141 Absatz 2 AEUV, Artikel 17, 21.2, 43 und 46.1 der ESZB-Satzung sowie Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 des Rates vom 18. Februar 2002.
- Gemäß Artikel 122 Absatz 2 und Artikel 132 Absatz 1 AEUV, Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung sowie Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010.
- Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung (in Verbindung mit Artikel 10 der Verordnung (EU) 2020/672 des Rates vom 19. Mai 2020 zur Schaffung eines Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch).
- Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung (in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 5 des EFSF-Rahmenvertrags).
- Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung (in Verbindung mit Artikel 5.12.1 der General Terms for ESM Financial Assistance Facility Agreements).
- Im Zusammenhang mit der Kreditrahmenvereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (mit Ausnahme Griechenlands und Deutschlands) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – die im öffentlichen Interesse handelt und den Anweisungen der Bundesrepublik Deutschland unterliegt, die wiederum eine Garantie zugunsten der KfW übernimmt – als Kreditgeber einerseits und der Hellenischen Republik als Kreditnehmerin und der griechischen Zentralbank als deren Vertreterin andererseits sowie gemäß Artikel 17 und 21.2 der ESZB-Satzung und Artikel 2 des Beschlusses EZB/2010/4 vom 10. Mai 2010.
- Gemäß Artikel 430c der Eigenkapitalverordnung wurde die EBA vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union mit einer entsprechenden Machbarkeitsstudie unter Einbeziehung des Beitrags des ESZB beauftragt.
- Siehe EZB, ECB communication to reporting agents on the collection of statistical information in the context of COVID-19, 15. April 2020; und EZB, ECB communication to reporting agents on the extension of deadlines for the reporting of statistical information in the context of COVID-19, 29. April 2020.
- Siehe EZB, Europäische Finanzmarktintegration während der Covid-19-Krise, Wirtschaftsbericht 7/2020, November 2020.
- Die Umfrage wird derzeit monatlich in den sechs größten Euro-Ländern durchgeführt. Die Stichproben umfassen in Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien jeweils rund 2 000 Personen, in Belgien und den Niederlanden jeweils rund 1 000 Personen.
- Kreditnehmerseitige Maßnahmen umfassen z. B. Obergrenzen für Beleihungsquoten und die Verschuldung im Verhältnis zum Einkommen.
- Siehe EZB, Online-Workshop Tracking the economy with high frequency data, 16. Oktober 2020; S. Eraslan und T. Götz, An unconventional weekly economic activity index for Germany, Technical Paper der Deutschen Bundesbank, Nr. 2, 2020; und D. Delle Monache, S. Emiliozzi und A. Nobili, Tracking economic growth during the Covid-19: a weekly indicator for Italy, Note Covid-19, Banca d’Italia, 27. Januar 2021.
- Verstöße gegen die Konsultationspflicht umfassen: a) Fälle, in denen es eine nationale Behörde unterließ, der EZB Entwürfe für Rechtsvorschriften, die innerhalb der Zuständigkeitsbereiche der EZB liegen, zur Stellungnahme vorzulegen; und b) Fälle, in denen eine nationale Behörde die EZB zwar formell konsultierte, ihr jedoch zur Prüfung der betreffenden Entwürfe für Rechtsvorschriften sowie zur Verabschiedung einer Stellungnahme vor Erlass der jeweiligen Rechtsvorschriften keinen ausreichend bemessenen Zeitrahmen einräumte.
- Siehe R. Dall’Orto Mas, B. Vonessen, C. Fehlker und K. Arnold, The case for central bank independence: a review of key issues in the international debate, Occasional Paper Series der EZB, Nr. 248, Oktober 2020.
- Mehr Informationen über Die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der EZB, dem Euro und der Wirtschafts- und Währungsunion finden sich im gleichnamigen Aufsatz im EZB-Wirtschaftsbericht 4/2020. Dieser beleuchtet nicht nur die Entwicklungen der Vergangenheit und den Status quo, sondern auch soziodemografische Aspekte.
- Siehe die auf der Website der EZB veröffentlichten Kommuniqués im Zusammenhang mit dem WKM II (Bulgarien und Kroatien) sowie die Antragsschreiben der Länder einschließlich der Aufstellung der Verpflichtungen Bulgariens und Kroatiens vor und nach dem Beitritt.
- Nähere Informationen dazu finden sich in Kapitel 4 Abschnitt 1 im EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit 2020.
- Siehe auch EZB, Der europäische Wechselkursmechanismus als Vorbereitung für die Einführung des Euro am Beispiel Bulgariens und Kroatiens, Wirtschaftsbericht 8/2020, Januar 2021.
- Im Februar 2020 übernahm Yannis Stournaras den Vorsitz des Prüfungsausschusses.