Suchoptionen
Startseite Medien Wissenswertes Forschung und Publikationen Statistiken Geldpolitik Der Euro Zahlungsverkehr und Märkte Karriere
Vorschläge
Sortieren nach

Konjunktur- und Geldpolitik am Wendepunkt – Wohin steuert die Wirtschaft in Europa, den USA und China?

Anmerkungen von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, beim Petersberger Sommerdialog, Königswinter, 29. Juni 2019

Trotz des eskalierenden Handelsstreits zwischen den USA und China wächst die Weltwirtschaft weiter robust, wenn auch mit gebremstem Schaum .

Wenn wir den Blick auf die Entwicklungen in den großen Volkswirtschaften jenseits des Euroraums richten, so zeigt sich, dass die Wirtschaftsleistung in den USA von einem dynamischen Arbeitsmarkt, günstigen Finanzierungsbedingungen und laufenden fiskalischen Impulsen getragen wird. Dennoch dürfte sich das Wirtschaftswachstum verlangsamen.

In China hingegen wurde die nachlassende Binnennachfrage durch eine Reihe finanz- und geldpolitischer Maßnahmen abgefedert. Obgleich die Eskalation des Handelsstreits mit den USA den Handel voraussichtlich belasten wird, dürfte China den geordneten Übergang zu einem ausgewogeneren Wachstum weiterverfolgen.

Im Euroraum fielen die Daten für das erste Quartal 2019 etwas besser aus als erwartet. Vor dem Hintergrund einer robusten Binnennachfrage legte das reale BIP um 0,4 % gegenüber dem Vorquartal zu.

Umfrageergebnisse und Konjunkturindikatoren deuten jedoch auf ein etwas schwächeres Wachstum im zweiten und dritten Quartal des laufenden Jahres hin. Verantwortlich hierfür sind die fortdauernde Schwäche des Welthandels und die anhaltenden Unsicherheiten, die das Wachstum im Euroraum weiterhin belasten, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe.

Die Experten des Eurosystems gehen daher in ihren gesamtwirtschaftlichen Projektionen von einem realen BIP-Wachstum im Euroraum von 1,2 % im Jahr 2019 aus, das sich 2020 und 2021 auf 1,4 % beschleunigen wird. Gegenüber März 2019 haben die Experten ihren diesbezüglichen Ausblick für das laufende Jahr geringfügig nach oben korrigiert. Ausschlaggebend hierfür war in erster Linie das unerwartet starke erste Quartal. Gleichzeitig wurde das reale BIP-Wachstum für 2020 und 2021 nach unten korrigiert, was in erster Linie auf den schwächeren Beitrag der Auslandsnachfrage zurückzuführen ist.

Die wachstumsfördernden fundamentalen Faktoren im Euroraum haben im Großen und Ganzen nach wie vor Bestand. Die Lage am Arbeitsmarkt ist weiterhin stabil; mit 7,6 % lag die Arbeitslosenquote im April auf ihrem tiefsten Stand seit August 2008. Wie schon im vorangegangenen Vierteljahr erhöhte sich die Beschäftigung im ersten Quartal 2019 um 0,3 % gegenüber dem Vorquartal. Kumuliert ist die Anzahl der Beschäftigten zwischen dem zweiten Quartal 2013, dem Tiefpunkt des Beschäftigungsniveaus im Euroraum, und dem ersten Quartal 2019 um 10,8 Millionen gestiegen.

Angesichts der anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten, der Gefahr von Protektionismus und Anfälligkeiten in den aufstrebenden Volkswirtschaften überwiegen jedoch mit Blick auf das Wachstum im Euroraum die Abwärtsrisiken.

Der Vorausschätzung von Eurostat zufolge lag die Gesamtinflation im Juni bei 1,2 % und war damit unverändert gegenüber dem Vormonat. Dahinter verbergen sich niedrigere Energiepreise und wieder steigende Preise für Dienstleistungen. Die zugrunde liegende Inflation entwickelte sich indes sehr verhalten. Ausgehend von den aktuellen Terminpreisen für Öl dürfte die Gesamtinflation in den kommenden Monaten zurückgehen, bevor sie gegen Ende des Jahres wieder anzieht. Der Ölpreis (Brent in USD) ist seit Beginn des Jahres um über 20 % angestiegen.

Dieses Szenario entspricht auch weitgehend den von den Experten des Eurosystems erstellten gesamtwirtschaftlichen Projektionen für das Euro-Währungsgebiet. Diesen zufolge wird sich die jährliche HVPI-Inflation 2019 auf 1,3 % belaufen und dann allmählich ansteigen, 2020 auf 1,4 % und 2021 auf 1,6 %, was den Ausblick vom März weitgehend bestätigt.

Zugleich gewinnt der Arbeitskostendruck an Stärke und Breite. Allein in Deutschland sind die Löhne im ersten Vierteljahr 2019 nominal um 2,5 % gestiegen – und damit real um 1,2 %. Die Gründe hierfür liegen in einer hohen Kapazitätsauslastung und einer zunehmend angespannten Lage an den Arbeitsmärkten, die sich in einem kräftigeren Lohnwachstum niederschlägt.

Zusammenfassend ist die Datenlage für das erste Quartal 2019 zwar besser als erwartet, der schwache Welthandel und die anhaltenden Unsicherheiten bremsen das Wachstum im Euroraum jedoch weiterhin.

Der geldpolitische Kurs

Dies veranlasste den EZB-Rat dazu, auf seiner Sitzung am 6. Juni mit Blick auf sein Preisstabilitätsziel eine Reihe von Beschlüssen zu fassen.

  1. Wir haben beschlossen, unsere Forward Guidance im Hinblick auf die Leitzinsen der EZB anzupassen. Wir gehen inzwischen davon aus, dass diese mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020 und in jedem Fall so lange wie erforderlich auf ihrem aktuellen Niveau bleiben werden, um eine fortgesetzte nachhaltige Annäherung der Inflation an ein Niveau von unter, aber nahe 2 % auf mittlere Sicht sicherzustellen.
    Die Entscheidung, den im erstgenannten Teil angegebenen Zeitpunkt weiter in die Zukunft zu verschieben, von „mindestens über das Ende 2019“ auf „mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020“, vermittelt der Öffentlichkeit auf transparente Weise die tatsächliche Erwartung des EZB-Rates, dass angesichts der aktuellen Aussichten für die Preisstabilität sehr wahrscheinlich für mindestens ein weiteres Jahr kein Anlass für eine Straffung der geldpolitischen Zügel besteht.
  2. Wir haben bekräftigt, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten erworbenen Wertpapiere für längere Zeit über den Zeitpunkt hinaus, zu dem wir mit der Erhöhung der Leitzinsen beginnen, und in jedem Fall so lange wie erforderlich bei Fälligkeit weiterhin vollumfänglich wieder anzulegen, um günstige Liquiditätsbedingungen und eine umfangreiche geldpolitische Akkommodierung aufrechtzuerhalten.
  3. Wir haben die Modalitäten der neuen Serie vierteljährlicher gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte (GLRG III) festgelegt, die wir im März angekündigt hatten. Von September 2019 bis März 2021 werden GLRG III mit jeweils zweijähriger Laufzeit angeboten. Wir haben beschlossen, den Zinssatz für die einzelnen Geschäfte auf ein Niveau von 10 Basispunkten über dem Durchschnittszinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems während der Laufzeit des jeweiligen GLRG festzusetzen. Für Banken, deren anrechenbare Nettokreditvergabe eine Referenzgröße überschreitet, ist der Zinssatz für GLRG III niedriger; Untergrenze ist dabei der durchschnittliche Zinssatz für die Einlagefazilität, der über die Laufzeit der jeweiligen Operation gilt, zuzüglich 10 Basispunkten.

Die Konditionen für die Kreditaufnahme im Rahmen der GLRG III sind etwas weniger großzügig als bei den ausstehenden GLRG II. Denn wir wollen diejenigen Banken, die in der Lage sind, sich am Markt zu attraktiven Bedingungen zu refinanzieren, nicht davon abhalten, dies bei Fälligkeit der GLRG II zu tun. Zugleich enthalten die Konditionen Modalitäten, die unseren akkommodierenden geldpolitischen Kurs erheblich verstärken können, da Banken mit einer starken Kreditvergabe weiterhin die Möglichkeit haben, sich zu negativen Zinssätzen Geld zu leihen.

Die Konditionen sind nach wie vor so großzügig, insbesondere im Vergleich zu alternativen Refinanzierungsquellen, dass Banken die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte in einem Umfang aufrechterhalten, der Wirtschaft und Inflation auch künftig stützen kann.

Insgesamt werden diese Beschlüsse für die geldpolitische Akkommodierung sorgen, die für eine fortgesetzte nachhaltige Inflationsentwicklung auf ein Niveau von unter, aber nahe 2 % auf mittlere Sicht erforderlich ist. Zugleich werden sie zur Aufrechterhaltung günstiger Kreditvergabekonditionen der Banken und zu einer reibungslosen Transmission unserer Geldpolitik beitragen. Davon abgesehen ist der EZB-Rat nach wie vor bereit, im Falle nachteiliger Entwicklungen zu handeln und seine Instrumente gegebenenfalls zur Gewährleistung der Preisstabilität einzusetzen.

Eine verlässliche Strategie ist der Anker für eine glaubwürdige Geldpolitik. Sprunghafte Strategiedebatten mit dem Ziel, kurzfristige Impulse zu generieren, bergen die Gefahr, diese Glaubwürdigkeit langfristig zu unterwandern.

KONTAKT

Europäische Zentralbank

Generaldirektion Kommunikation

Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.

Ansprechpartner für Medienvertreter